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Schneider: "Russischen Islam aufbauen"

Stephanie Höppner2. Januar 2014

Wie kann dem Terrorismus in Russland der Nährboden entzogen werden? Diese Frage versucht Eberhard Schneider, Politologe und Mitglied des EU-Russland-Zentrums, im Gespräch mit der DW zu beantworten.

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Moschee in Kasan, Russland (Foto: Maxim Marmur/AFP/Getty Images)
Bild: Maxim Marmur/AFP/Getty Images

Deutsche Welle: In den vergangenen Tagen sind bei den Anschlägen in Wolgograd mehr als 30 Menschen gestorben. Noch hat sich niemand zu den Anschlägen bekannt. Welche Täter kommen für Sie in Frage?

Eberhard Schneider: Ich gehe davon aus, dass es eine Verbindung zum selbsternannten Emir des Emirats Kaukasus, Doku Umarow, gibt. Er hat vor einem halben Jahr diese Terroranschläge angekündigt, um die Olympischen Spiele zu stören. In dem Gebiet Sotschi, wo die Spiele stattfinden sollen, lebten vor 150 Jahren rund eine Million Tscherkessen. Das ist ein Kaukasus-Volk islamischen Glaubens, das viele Jahre dem Zaren Widerstand gegen die Vereinnahmung ins russische Zarenreich geleistet hat. 400.000 Tscherkessen fielen im Kampf, weitere 400.000 wurden vertrieben. Umarow hat eine Revanche für damals angekündigt.

Hinzu kommt: Umarow ist Tschetschene. Bis 2007 kämpfte er vor allem für die Loslösung Tschetscheniens von Russland. Ab 2007 hat er seine Einstellung geändert. Es geht ihm nicht mehr unbedingt um Tschetschenien, sondern um die Ausbreitung des Islams, speziell des Wahhabismus. Das ist eine fundamentalistische Auslegung des Korans. Hauptelement dieser Auslegung ist, dass die Gläubigen den Heiligen Krieg durchführen müssen.

Eberhard Schneider, EU-Russland-Zentrum, Brüssel (Foto: Eberhard Schneider)
"Hohe Arbeitslosigkeit im Kaukasus": Russland-Experte SchneiderBild: Eberhard Schneider

Welche Bedeutung hat die große Armut des Kaukasus?

Ein Grund für die Terrorakte liegt in den wirtschaftlichen und sozialen Spannungen der kaukasischen Republiken. In Tschetschenien ist es inzwischen ruhig, doch dafür haben sich die Unruhen in die Nachbarregionen verlagert, etwa nach Dagestan. Dort herrscht eine Arbeitslosigkeit von 70 Prozent. 40 Prozent der Jugendlichen leben unterhalb des Existenzminimums. Die wirtschaftliche Situation muss sich verbessern, um mittelfristig die soziale Basis der Terroristen auszutrocknen.

Wie sollte Putin sich nun verhalten?

Wenn ich Putin wäre, würde ich versuchen, einen russischen Islam aufzubauen - also einen gemäßigten Islam, der sich an Russland orientiert. Er sollte alles unternehmen, damit sich der Wahhabismus in Russland nicht weiter ausbreitet. Zurzeit dringt er immer stärker in die Moscheen ein, verbreitet sich unter den Imamen, vor allem in Kasachstan. Zu Sowjetzeiten war die Religion bekämpft worden vom Staat. Nach dem Zerfall der Sowjetunion stellten die Moslems fest, dass ihnen Imame fehlen. Also wandten sie sich an das islamische Ausland. Und Saudi-Arabien, aus dem der Wahhabismus kommt, war sehr gerne bereit zu helfen, Imame zu schicken.

Putins harte Hand hilft also nicht unbedingt weiter?

Es ist seine Art, sich mit kräftigen Sprüchen zu äußern. Aber die Sprüche alleine helfen nicht. Er müsste die sozialökonomische Situation verbessern. Wo gehen die Jugendlichen hin, wenn sie keine Arbeit finden? Sie gehen zu den Terroristen, denn da haben sie die Garantie, dass sie jeden Monat ihr Geld bekommen.

Die USA haben Russland Hilfe zugesichert. Wie sinnvoll ist das?

Die Amerikaner können vor allem durch Informationen helfen. Die Russen haben den Amerikanern ja auch bei dem Anschlag in Boston geholfen. Leider haben die amerikanischen Stellen die Informationen nicht richtig bewertet, die sie aus Moskau bekommen haben.

Warum ist gerade Wolgograd Ziel von Anschlägen?

Wolgograd ist ein sehr großer Verkehrsknotenpunkt. Zudem ist die Stadt nicht weit entfernt von den Kaukasus-Republiken. Außerdem genießt Wolgograd - das ehemalige Stalingrad - großes Prestige in Russland. Und wenn man dort solche Terrorakte durchführen kann, wirkt das natürlich in der Bevölkerung Russlands. Im Grunde zeigt Umarow, dass Putin keine Sicherheit garantieren kann und dass die russischen Sicherheitsorgane unfähig sind.