1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schnee von gestern

Vera Kern17. Februar 2014

Ein Winter ohne Schnee? In deutschen Wintersportgebieten keine Seltenheit. Snowfarming soll weiße Pisten garantieren: mit riesigen Depots, die den Schnee über den Sommer retten. Ein Zukunftsmodell?

https://p.dw.com/p/1BAGD
Snowfarming im Schwarzwald Foto: Patrick Seeger/dpa
Künstlicher Berg in Titisee-Neustadt: Schneevorrat für den nächsten WinterBild: picture-alliance/dpa

Er ist nicht zu übersehen: Gewaltig ragt ein künstlicher Berg in der Landschaft empor. An die 10 Meter hoch, bis zu 25 Meter breit, dick eingepackt in Styroporplatten und Folie, die den Schatz darunter hüten sollen. Nicht gerade ein hübsches Postkartenmotiv, aber in deutschen Wintersportgebieten freut man sich über den Anblick: Etwa 10.000 Kubikmeter Schnee verbergen sich unter der Verpackung - vorsorglich gehortet für den nächsten Winter.

Snowfarming nennt sich die Methode, mit der riesige Schneemengen über den Sommer gelagert werden. Es ist eine trotzige Kampfansage an die milden Wintertemperaturen in Deutschland - und den ausbleibenden Schnee. Das Prinzip ist einfach: viel Schnee auftürmen, gut einpacken und in der nächsten Wintersaison auf der Piste verteilen.

Schnee "übersommern"

Schnee über den Sommer hinweg retten? Die Idee klingt zunächst absurd. Doch es funktioniert - ganz ohne überdimensionierte, energiefressende Kühlhäuser. Die wichtigste Zutat: viel Kunstschnee, der im Januar oder Februar produziert wird. Der wird dann mit einer Isolationsschicht aus Styroporplatten, Sägespänen oder Hackschnitzeln abgedeckt. Anschließend kommt eine wind- und lichtabweisende Folie darüber - fertig ist die Verpackung für die warme Jahreszeit. Der Schnee kann nun "übersommern".

Finnland lagert seit mehreren Jahren Schnee im Frühjahr ein, der dann im November auf Langlaufloipen ausgebracht wird - noch vor dem ersten Schneefall. Auch einzelne Skigebiete in der Schweiz und Österreich experimentieren mit dieser Art des Schneemanagements. In Deutschland sind Ruhpolding in Bayern und Titisee-Neustadt im Schwarzwald für ihre Schneedepots bekannt - beides wichtige Austragungsorte für internationale Wintersportwettbewerbe.

"Das ist für jeden Ort interessant, der einen Weltcup hat", sagt Joachim Häfker, der in Titisee-Neustadt das internationale Skispringen organisiert. Damit die Sprungschanze garantiert weiß ist, setzt er auf Snowfarming mit künstlich vorproduziertem Schnee. Naturschnee einsammeln wäre schlicht zu aufwendig.

Snowfarming in Titisee-Neustadt Foto: Patrick Seeger/dpa
Styroporplatten bewahren das wertvolle Weiß vor dem SchmelzenBild: picture-alliance/dpa

Styropor statt Sägespäne

Forscher vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos haben herausgefunden, dass Sägespäne den Schnee am besten konservieren. Der Nachteil: Sie lassen sich später nicht sauber vom Schnee trennen.

In Titisee-Neustadt und Ruhpolding haben sich die Schneemanager daher gegen Sägespäne entschieden. "Styroporplatten sind vom Handling her viel einfacher", resümiert Joachim Häfker. Sie lassen sich leichter auf dem riesigen Berg verteilen und sind zudem preiswerter. Denn die Platten lassen sich mehrfach verwenden.

Auch Kunstschnee braucht Minusgrade

Eine Grundidee des Snowfarming ist es, nicht erst auf kalte Temperaturen zu warten, sondern bereits im Jahr davor für genügend Schnee zu sorgen. "Richtig guten Schnee produzieren Sie ab minus fünf Grad", sagt Joachim Häfker. Je kälter, desto effektiver arbeiten die Schneekanonen - sie verbrauchen weniger Wasser und weniger Strom. Beim Snowfarming wirft er seine Schneemaschine erst im Januar oder Februar an, wenn es möglichst kalt ist. Und produziert den Kunstschnee dann für die nächste Wintersaison vor.

Snowfarming ist für den Hochleistungswintersport auch finanziell interessant: Früher mussten die Biathleten in den frühen Wintermonaten zum Training nach Skandinavien. Heute präpariert das bayerischen Ruhpolding die Loipe schon im November mit dem gehorteten Schnee. So können die Profis auch bei relativ milden Wintertemperaturen in Deutschland trainieren.

Joachim Häfker Foto: Patrick Seeger/dpa
Hüter des Schnees: Weltcup - Schanzenchef Joachim HäfkerBild: picture-alliance/dpa

Hauptfeind Regen

Wie Landwirte müssen auch die "Schneebauern" ihr Feld das ganze Jahr über bestellen. Nicht die Hitze ist der größte Feind des Schneebergs; viel gefährlicher sind Wind und Regen. Schon kleine Sturmböen können die Planen wegreißen. Dann dringt Regen ein, und Kegel bilden sich. "Das Wasser frisst uns den Schnee weg", sagt Alois Reiter von der Chiemgau-Arena Ruhpolding, einem Trainingszentrum für Biathlon. Im Sommer kontrolliert er täglich, ob die Planen noch dicht sind.

Warme Temperaturen seien hingegen nicht so schlimm. Denn selbst wenn die Sonne auf den Schneehügel knallt, verdunstet das Schmelzwasser an der Oberfläche. Es entsteht Verdunstungskälte - ein zusätzlicher Kühleffekt. So schmelzen nur rund 20 bis 30 Prozent des Schnees weg.

Umweltverträglicher als frischer Kunstschnee

Umweltschützer kritisieren schon lange den enormen Wasserverbrauch und die hohen Energiekosten, die bei der künstlichen Schneeproduktion entstehen. Auch Snowfarming verlässt sich nicht auf Naturschnee. Die Ökobilanz dürfte dennoch besser ausfallen als bei klassischer Beschneiung durch Skikanonen. Denn beim Snowfarming wird der Maschinenschnee erst bei kühlen, effizienten Temperaturen produziert und verbraucht somit weniger Wasser und Energie.

Auch der Ort des Schneedepots spielt eine Rolle. Im Idealfall lagert der Schnee auf einem Kiesplatz, damit keine Vegetation zerstört wird. Wichtig für die Umweltverträglichkeit ist zudem, dass keine großen Transportwege entstehen. In Titisee-Neustadt und Ruhpolding müssen die LKWs nur wenige Meter fahren, um den Schnee auf der Piste oder der Schanze auszubringen.

Kein Zukunftsmodell für normale Skigebiete

Die Vorteile des "Schnee-Anbaus" liegen für Joachim Häfker auf der Hand. Für ihn bedeutet das Snowfarming vor allem Planungssicherheit. Wer einen internationalen Skisprung-Weltcup veranstaltet, will schließlich keine grüne Piste riskieren.

Doch könnte Snowfarming auch größere Skigebiete vor der Schneelosigkeit retten? Wohl kaum. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das rentabel wäre", meint Joachim Häfker. Es müssten riesige Schneemassen gebunkert und dann kompliziert auf steilen Hängen verteilt werden - zu teuer, zu umständlich. Auch die Schneequalität dürfte Skiurlauber nicht zufrieden stellen: Der alte Kunstschnee ist nicht so pulvrig wie echter Neuschnee.

Für die Biathleten aus Ruhpolding ist der Schnee von gestern hingegen ein Erfolgsrezept: Sie haben sich damit auf Sotschi vorbereitet - und bereits die ersten Medaillen gewonnen.