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"Uns muss man ernstnehmen"

Kay-Alexander Scholz3. September 2012

Die Piratenpartei will in den nächsten Bundestag und sich dort unter anderem für mehr Bürgerbeteiligung einsetzen. Als Volkspartei sieht man sich schon jetzt, sagt Bundesgeschäftsführer Bernd Schlömer im DW-Interview.

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Piraten-Vorsitzender Bernd Schlömer (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Bald beginnt der Wahlkampf für die Bundestagswahl im September 2013. Noch haben sich die Piraten zu den großen Themen nicht positioniert. Wird sich das ändern?

Bernd Schlömer: Bis zum April 2013 wollen wir auf die wesentlichen Fragen der Bürger eine Antwort geben und uns in den wichtigen politischen Themenfeldern positionieren. Dazu werden wahrscheinlich zwei Programmparteitage im November und im Frühjahr dienen. Aber, um nicht falsche Erwartungen zu wecken, wir werden nicht zu allen Fragen eine Antwort haben.

Aber zur Eurokrise wird es schon eine Position der Piratenpartei geben, oder?

Die Eurokrise wird sicherlich eines der großen Wahlkampfthemen werden. In der Partei beobachte ich rege Aktivitäten, sich diesen Fragen zu stellen.

Ganz generell bin ich allerdings dafür, dass wir im parlamentarischen Alltag stärker als bisher Bürger- und Expertensysteme einbeziehen und dass Politiker bescheidener auftreten. Denn gerade in der Eurokrise erleben wir, dass die in den Medien von zu lauten Politikern minutenschnell dargebotenen Lösungsvorschläge oftmals eine sehr geringe Haltbarkeit haben. Ich persönlich bin kein Anhänger eines Leadership-Modells, wonach Politiker allwissend sind.

Nun ist die Eurokrise nicht das einzige Thema, zu dem die Piraten noch eine Position finden müssen. Werden zwei Parteitage ausreichen, um die programmatischen Lücken zu füllen?

Die Piratenpartei ist bei ihrer programmatischen Entwicklung sehr professionell organisiert. Die Parteimitglieder sind jetzt schon aufgefordert, Beschlussanträge für das Wahlprogramm einzureichen. Dann gibt es Antragskonferenzen, um Vorschläge zu sichten und zu bündeln. Zugleich laufen die Anträge durch unser innerparteiliches Meinungsbildungsinstrument Liquid Feedback. Sie können dort bereits empirisch beschlossen werden und es entstehen Meinungsbilder. Mit dieser Vorarbeit sollte das Wahlprogramm auf den Parteitagen effizient verabschiedet werden können.

Die Umfragewerte für die Piraten sind in den letzten Monaten ziemlich gesunken. Ob sie es im September 2013 über die Fünfprozenthürde schaffen werden, ist nicht sicher. Womit wollen Sie die Wähler von sich überzeugen?

Wir sind eine ernstzunehmende Partei in Deutschland. Ich glaube, dass wir mit Bescheidenheit, Ernsthaftigkeit und Klarheit in unserem Willen zur parlamentarischen Mitarbeit die notwendige Zustimmung gewinnen werden.

Welche Themen sind für die Piraten derzeit unabdingbar, wo ziehen Sie rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen?

Die klare Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung als Instrument der Verbrechensbekämpfung ist ein Thema, bei dem wir unsere Position in einem thematischen Bündnis durchsetzen wollen. Ein anderer Bereich ist die Reform des Urheberrechts. Wir müssen aber abwarten, was im Wahlprogramm niedergelegt wird. Danach lassen sich die anderen unabdingbaren Punkte herausarbeiten.

Und allgemein gefragt, welches sind weitere typische Themen für die Piratenpartei?

Im Grund genommen ist gar kein Thema piratig. Das ist ein falsches Label. Die Bürger sehen Probleme, die bearbeitet werden wollen. Und bei vielen Problemen erhoffen sich die Bürger, an der Entscheidungsfindung beteiligt zu werden. Deshalb treten die Piraten für mehr direkte Demokratie und plebiszitäre Elemente ein.

Nur nicht so schüchtern, Herr Schlömer. Die Piratenpartei ist ja auch deshalb so erfolgreich, weil sie Themen anspricht, die sonst kaum jemand auf der Agenda hat.

Ja, das stimmt schon. Ich bin seit 2009 im Bundesvorstand der Partei und in den letzten Jahren konnte ich erleben, dass wir der politischen Meinungsbildung unseren Stempel aufdrücken konnten. Es wird viel mehr über die Themen Urheberrecht, Datenschutz, Transparenz, Bürgerbeteilung, Überwachung oder über Vor- und Nachteile der Digitalisierung gesprochen. Das ist sicherlich auch ein Verdienst der Piratenpartei. Die Öffentlichkeit hat erkannt, dass wir an der Schwelle eines digitalen Informationszeitalters stehen. Neue Themen werden wichtig.

Manche Politikwissenschaftler bezeichnen die Piraten als eine neue Volkspartei. Sehen Sie das eigentlich auch so?

Wir erleben einen gesellschaftlichen Wertewandel. Menschen wenden sich anderen Haltungen, Schwerpunkten und Orientierungen zu. Die Piratenpartei profitiert von dieser Wechselstimmung und kann Wähler von allen anderen Parteien gewinnen. Wir werden vielleicht auch deshalb als eine Volkspartei bezeichnet, weil wir von allen Altersgruppen bis 60 Jahre und allen sozialen Schichten gewählt werden. Auch nach den Bildungsabschlüssen haben wir eine ausgewogene Wählerschaft.

Warum ist die Piratenpartei so erfolgreich?

Ihr Meinungsbildungstool im Internet, Liquid Feedback, hat vor kurzem ein Update erfahren. Was hat sich verändert?

Die neue Version hat dazu geführt, dass sich auch Neulinge besser zurechtfinden. Wir erhoffen uns, dass damit die Meinungsbildung effizienter und effektiver wird.

Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Bundesregierung in der Eurokrise?

Unser Hauptkritikpunkt ist, dass die Bundesregierung eine Sachzwang-Argumentation konstruiert hat. Die Rede ist immer von Alternativlosigkeit. Alles muss sehr schnell gehen. Die Parlamente aber sollten bei der Krisenbewältigung viel stärker beteiligt werden und sich Einfluss darauf sichern, was mit den Milliarden-Hilfsgeldern geschieht.

Warum passiert das Ihrer Meinung nach so?

Es ist bequemer für die Politik, wenn man nicht beteiligt. Ein absoluter König kann selbst entscheiden und muss Volk oder Parlament nicht fragen. Auf internationaler Ebene kann so schneller gehandelt werden. Man wird dann als die starke deutsche Kanzlerin beschrieben und hat international einen guten Ruf, weil man Dinge schnell auf den Weg gebracht hat. Man hat vermeintlich gerettet und doch alles verloren - Demokratie und Teilhabe gibt es nicht mehr, gute Lösungen dann auch nicht.

Das Interview führte Kay-Alexander Scholz.

Bernd Schlömer ist seit April 2012 Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland. Er ist als Regierungsdirektor im Bundesministerium der Verteidigung tätig.