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Schlagabtausch im Social Web

Farnaz Seifi12. Juni 2013

Bei Irans Wahlen 2009 entdeckten Anhänger der "Grünen Bewegung" soziale Netzwerke für sich: als Plattform für Regierungskritik. Nun setzen auch Regime-Unterstützer auf Social Media. Im Netz prallen beide aufeinander.

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Mann betrachtet Video von den Unruhen in Teheran 2009 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Im Februar tauchten auf einer Google+-Seite namens "Dialogue" eine Reihe von Youtube-Videos auf, in denen sich der iranische Regime-Kritiker Foad Sojoodi Farimani auf der einen Seite und Regierungsanhänger Tohid Aziz auf der anderen Online-Video-Debatten aus der Ferne lieferten. Thema: "Was ist eine freie und faire Wahl?" Beide Redner riefen ihre jeweiligen Unterstützer auf, Fragen zu stellen und sich in die Diskussion einzuschalten. Verschiedene Videos zeigen, wie die Kontrahenten die Auffassung des jeweils anderen kritisieren, sich gegenseitig mit Argumenten zu überzeugen versuchen – und auch an den "Gegner" appellieren, die eigene Sichtweise zur anstehenden Präsidentschaftswahl zu überdenken.

Diese Netz-Debatte ist einer der wenigen Schritte von Seiten iranischer Oppositionsanhänger hin zu einem Dialog – von Seiten der Regierung gibt es diesbezüglich überhaupt keine vergleichbaren Vorstöße. Wut, Misstrauen, Angst und Hass – das sind in der Regel die vorherrschenden Gefühle, die zwischen beiden Seiten im Internet hochkochen, besonders nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl im Jahr 2009. "Wir müssen aufhören, uns gegenseitig zu hassen und stattdessen lieber anfangen, miteinander zu reden. Die Gespräche werden uns helfen, uns gegenseitig besser zu verstehen", meint der Gründer der interaktiven "Dialogue"-Seite, Sojoodi Farimani, gegenüber der Deutschen Welle.

Nur Regierungstreue dürfen auf die Facebook-Seiten

Nach Ansicht von Farimani gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen den Mitarbeitern der iranischen "Cyber-Polizei" (FATA) und sonstigen Regierungsanhängern. "Die sogenannten Cyber-Funktionäre verfolgen, schikanieren und unterdrücken Regime-Gegner. Aber es gibt auch Unterstützer der Regierung, die genau wie wir die sozialen Netzwerke nutzen, um sich auszutauschen und mehr über die gegnerische Partei zu erfahren." Trotz des ausgefeilten Filter-Systems ist das Internet nach wie vor eine der wenigen Plattformen, auf denen Iraner ihre Meinung frei äußern können – nicht zuletzt deshalb sind die sozialen Netzwerke auch gerade bei Regime-Kritikern sehr beliebt.

Zwar sind sämtliche der bekannten und beliebten Seiten – wie beispielsweise Facebook oder der Kurznachrichtendienst Twitter – von den Behörden geblockt. Gleichzeitig aber nimmt nach Beobachtungen von Bloggern die Zahl der regierungstreuen User auf diesen Seiten rapide zu. "Sie rechtfertigen das, indem sie behaupten, die Präsenz in solchen Netzwerken sei Teil des Dschihad, und der Kampf gegen die Feinde finde eben überall statt", erklärt der in den Niederlanden lebende iranische Internet-Experte Ali Nikoee. Außerdem würden muslimische Internet-Experten eine ganze Reihe von Weblogs zu Propagandazwecken einsetzen, so Nikoee weiter.

Screenshot der Twitter-Seite, wo nach dem Suchbegriff "Iran" aktuelle Einträge von Nutzern gezeigt werden (Foto: dpa)
Offiziell sind Seiten wie Facebook und Twitter im Iran verboten - und geblocktBild: picture-alliance/dpa

Unter falschem Namen: Propaganda durch die Hintertür

Im Februar 2013 erstellten regierungstreue Cyber-Aktivisten Dutzende falsche Facebook-Seiten und Weblogs - im Namen iranischer Journalisten, die im Ausland leben und dort für Zeitung, Radio oder TV auf Farsi arbeiten. "Manchmal haben Regimeanhänger sich bei Facebook oder in einem Blog selbst als Regierungskritiker dargestellt – und dann langsam ihre Propaganda einfließen lassen. Herauszufinden, wer tatsächlich hinter einem solchen Blog steckt, braucht Zeit", sagt ein unter dem Namen "Vahid Online" auftretender, bekannter iranischer Netizen, der allein beim Kurznachrichtendienst Twitter inzwischen weit mehr als 15.000 Follower hat.

Außerdem gebe es immer wieder Versuche, die Aktivitäten regimekritischer Nutzer in den Sozialen Netzwerken zu stören. Anhänger des Regimes "posten Hunderte von Hass-Kommentaren unter ein Facebook- oder Youtube-Video über die Grüne Bewegung. Oder sie melden es als Schmähvideo und erreichen so, dass es geblockt wird", sagt Ali Nikoee.

Iranische Studenten in einem Internet-Cafe in Teheran (Foto: AP)
Seit der Präsidentschaftswahl 2009 wird das Internet immer massiver genutzt - von beiden SeitenBild: AP

Im Umfeld der letzten Präsidentschaftswahl im Iran im Jahr 2009 und der Demonstrationen der Grünen Bewegung nutzte die Opposition massiv die Sozialen Netzwerke, um Anhänger zu mobilisieren und die Proteste auch außerhalb des Landes bekannt zu machen. Nach Ansicht von "Vahid Online" ist heute die Regierungsseite sehr viel erfolgreicher darin, ihre Überzeugungen via Internet publik zu machen. "Sie haben das nötige Geld, den politischen Einfluss und die nötigen Institutionen im Hintergrund. Dem gegenüber stehen Einzelpersonen, die aus persönlicher Überzeugung handeln, aber Angst vor Verfolgung haben."

Der Kampf ums Netz

Unbestätigten Berichten des Netz-Experten Nikoee zufolge rekrutiert die iranische Netz-Polizei Freiwillige, um ihre Gegner in den Sozialen Netzwerken aufzuspüren. Für diese Detektivarbeit sollen diese "Netz-Spione" einen Stundenlohn von sieben Dollar bekommen – für iranische Verhältnisse viel Geld. Jüngsten Studien der Webseite "ViewDNS" zufolge wird jede vierte iranische Website gefiltert. Die Seite befasst sich speziell mit Userstatistiken, Netzaktivitäten und Zensur.

Vor der Wahl machten die Behörden zudem einen großen Teil der sogenannten VPN-Anschlüsse (Virtual Private Network) dicht. "Ich glaube nicht, dass die Regierung in nächster Zeit etwas an dieser Filter- und Zensurstrategie ändern wird", meint Internet-Experte Ali Nikoee. "Sobald sie den Social-Media-Filter aufheben, ist das iranische Netz wieder voll mit regierungskritischen Aktivitäten."

Handschellen auf einer Computertastatur (Foto: Fotolia)
Vor allem im Vorfeld der Wahlen verschärfte die Regierung die ZensurBild: fotolia/mezzotint

Wenig Grund für Optimismus

Ein Dialog in den Sozialen Netzwerken ist offenbar auch nicht erwünscht: So wurden die Youtube-Debatten zwischen Sojoodi und Azizi auf dem iranischen Youtube-Pendant, der Seite "Aparat", gelöscht.

"Die Offiziellen in der Islamischen Republik versuchen immer, Kritiker als unmoralisch, heuchlerisch und als westliche Spione darzustellen. Sie wollen verhindern, dass ihre eigenen Anhänger feststellen, dass es sich bei der Gegenseite um Menschen handelt, die ihr Land lieben und es zu einem besseren Ort machen wollen", ist Sojoodi Farimani überzeugt. "Deshalb unterstützen sie auch Angebote wie die "Dialogue"-Seite nicht und entfernen stattdessen die Videos sofort aus dem Netz."