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Debatte über Armutsbericht

Bettina Marx6. März 2013

Wer ist von Armut bedroht und wer schafft den Aufstieg in Deutschland? Das sind Fragen, die der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beantworten soll. Doch der rief schon im Vorfeld heftige Kritik hervor.

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Das Plenum des Deutschen Bundestags im Reichstag in Berlin. (Foto: dapd)
Bild: dapd

Alle vier Jahre legt die Bundesregierung einen Bericht über die Verteilung von Armut und Reichtum in Deutschland vor. Eigentlich soll dies in der Mitte der Legislaturperiode geschehen. Doch der vierte Armuts- und Reichtumsbericht steckte seit September in den Beratungen der Ministerien fest. Am Mittwoch (06.03.2013) wurde er nun endlich vom Kabinett verabschiedet, damit er dem Bundestag zugeleitet werden kann.

Die Opposition hatte den Bericht längst angemahnt. SPD, Grüne und Linkspartei verlangten schon zuvor eine Debatte im Deutschen Bundestag. Denn im letzten Herbst war bekannt geworden, dass der erste Entwurf des Berichts von Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Bundeswirtschaftsministerium, das Philipp Rösler (FDP) führt, überarbeitet und an entscheidenden Stellen verändert worden war.

Tricksen, verschleiern, schönfärben

So hieß es im ersten Entwurf: "Während die Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war, sind die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken. Die Einkommensspreizung hat zugenommen. Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und kann den gesellschaftlichen Zusammenhang gefährden." Daraus wurde nun der Satz, sinkende Reallöhne seien Ausdruck struktureller Verbesserungen am Arbeitsmarkt.

Bundeswirtschaftsminister Rösler und Bunesarbeitsministerin von der Leyen im Gespräch (Foto: dapd)
Unterschiedliche Ansichten: Wirtschaftsminister Rösler und Arbeitsministerin von der LeyenBild: dapd

"Sie versuchen, die soziale Realität in diesem Land durch Zensur zu verschleiern", warf die Grünen-Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt im Bundestag der Regierung vor. Die Grünen hatten die Debatte mit einer Großen Anfrage ausgelöst. "Wir sind es leid, dass wir auf der einen Seite die Spaltung der Gesellschaft haben, die sich immer weiter vertieft, und Sie noch nicht einmal bereit sind, sich mit dem Armuts- und Reichtumsbericht zu beschäftigen", sagte die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl im kommenden Herbst. Sie kritisierte, dass viele Sätze aus dem ersten Entwurf des Berichts im Wirtschaftsministerium gestrichen worden seien. Zum Beispiel auch der Hinweis darauf, dass vier Millionen Menschen in Deutschland für einen Stundenlohn von sieben Euro arbeiten. Fast acht Millionen Menschen lebten in der Bundesrepublik von Niedriglöhnen. Das seien mehr Menschen als die Bevölkerungen der vier größten Städten Berlin, Hamburg, München und Köln zusammen.

Niedriglohn und prekäre Arbeitsverhältnisse

Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel kritisierte, dass Millionen Menschen in Deutschland zwar Vollzeit arbeiteten, von ihrem Lohn aber nicht leben könnten. Sie seien dazu gezwungen, den Staat um zusätzliche Unterstützung zu bitten. "Es geht nicht nur um die Höhe des Lohns, sondern um Wert und Würde von Arbeit. Es kann nicht wahr sein, dass Menschen hart arbeiten gehen und am Ende des Monats so wenig haben, dass sie zum Sozialamt betteln gehen müssen. Das wollen wir nicht mehr in Deutschland", sagte Gabriel und fügte hinzu: "Sozial ist nicht, was Arbeit schafft. Sozial ist, was Arbeit schafft, von der man leben kann."

Gabriel warf der Regierung vor, mit den Veränderungen am ersten Entwurf des Armutsberichts die Wirklichkeit fälschen zu wollen. Mit ihren Streichungen und Umformulierungen verschleiere sie die Tatsachen und halte Informationen vor der Öffentlichkeit geheim. "Wer zu solchen Mitteln greift, verhöhnt nicht nur die Betroffenen, er schadet auch der demokratischen Öffentlichkeit und der Demokratie."

Keine Massenarmut in Deutschland

Redner der Regierungsfraktionen wiesen die Vorwürfe aus der Opposition zurück. Es sei ein normaler Vorgang, wenn der Bericht aus dem Arbeitsministerium den anderen Ressorts zur Abstimmung vorgelegt werde, sagte der CDU-Sozialpolitiker Matthias Zimmer. In Deutschland finde keine Massenverelendung statt. Im Gegenteil. Seit der Regierungsübernahme durch Angela Merkel im Jahr 2004 schließe sich die soziale Schere wieder. Dies werde der Armutsbericht bestätigen.

Ein Mann sitzt mit seinem Hab und Gut auf einer Bank in Berlin (Foto: dpa)
Armut ist auch in Deutschland sichtbarBild: picture-alliance/dpa

Für die FDP betonte Johannes Vogel, arbeitsmarktpolitischer Sprecher seiner Fraktion, im Armuts- und Reichtumsbericht würden die Erfolge der Bundesregierung klar benannt: "Wir haben weniger Arbeitslose, weniger Langzeitarbeitslose, die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa. Der Niedriglohnsektor ist geschrumpft. Von einer sozialen Verfallsgeschichte kann mit Blick auf diese Regierung ganz sicher nicht die Rede sein."

Vorwürfe der Sozialverbände

Die Streichungen im ersten Entwurf des Armutsberichts hatten in Deutschland zu heftigen Diskussionen geführt. Der Sozialhistoriker Ulrich Wehler hatte der Bundesregierung in der Wochenzeitung "Die Zeit" vorgeworfen, sie wolle dem mündigen Staatsbürger eine ehrliche Debatte offenbar nicht zumuten. Das Thema soziale Gerechtigkeit müsse deutlicher artikuliert und debattiert werden. Der Streit um die Verschiebung des Armutsberichts der Bundesregierung sei "ein Beispiel für die Verlogenheit der Politik".

Ein Bettler hält ein Schild mit der Aufschrift "Hilfe, bitte!" in Händen. (Foto: dpa)
In deutschen Städten sieht man immer häufiger Bedürftige, die um Hilfe bittenBild: picture-alliance/dpa

Auch die sozialen Wohlfahrtsverbände hatten die Verschiebung des Berichts kritisiert und der Regierung vorgeworfen, die Armut in Deutschland zu verharmlosen. Die Nationale Armutskonferenz (nak), ein Zusammenschluss von Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden, stellt eine Verfestigung der Armut in Deutschland fest. Armut sei politisch gewollt, sagte die nak-Vizesprecherin Michaela Hofmann bei der Vorstellung eines eigenen Armutsberichts im letzten Dezember.