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Satellitentechnik für die Kurvenfahrt

Ronny Blaschke10. März 2014

Seit Jahren wird bei den Paralympics über Hightech-Prothesen und Rollstühle diskutiert, die nur einer kleinen Spitzengruppe vorbehalten sind. Für Millionen Behinderte bleiben Wettkämpfe unerreichbar.

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Der Paralympics-Skifahrer Georg Kreiter steht mit seinem sogenannten Monoski im Windkanal des deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) (Foto: DLR)
Bild: picture-alliance/dpa

Viele Pressemitteilungen, Workshops und Empfänge während der Paralympics sind mit Zahlen garniert, die Eindruck schinden. Zum Beispiel die Zahlen eines deutschen Unternehmens, das bei den Weltspielen des Behindertensports seit 1988 einen Reparatur-Service für Athleten anbietet: Die 28 eingesetzten Techniker kommen aus elf Ländern, ihnen stehen 11.000 Ersatzteile und drei Tonnen Ausrüstung zur Verfügung.

Seit Jahren sind die Paralympics von einer auf Technik ausgerichteten Bewunderungskultur umgeben. In deren Zentrum stand - bis zu seinem Mordverdacht - der südafrikanische Prothesenläufer Oscar Pistorius. Auch im Wintersport spielt Technik eine enorme Rolle. Die Skirennfahrerin Anna Schaffelhuber gewann ihre Goldmedaille in der Abfahrt auf einem Monoski, für den Wissenschaftler der TU München ein Trainingskonzept entwickelten. Sie zeichneten mit GPS-Satellitentechnik die Kurvenfahrt auf und konnten später Hinweise für ihren Krafteinsatz geben. Auch sonst tauchen in Broschüren und Workshops Begriffe auf, die an eine Messe für Raumfahrttechnik erinnern.

Großes Missverhältnis

Bruno Banani (l.) aus Tonga präpariert seinen Schlitten in Sotschi (Foto: Getty Images)
Große Ausnahme: Südsee-Rodler Bruno Banani aus TongaBild: picture-alliance/Zuma

Fast 600 Athleten aus 45 Ländern nehmen an den XI. Winter-Paralympics teil, knapp achtzig Prozent stammen aus Europa und Nordamerika. Zwölf Sportler sind aus Ozeanien angereist, aus Afrika ist niemand dabei. Wintersport wird eben auf der Nordhalbkugel betrieben. Bei den Olympischen Winterspielen vor wenigen Wochen waren in Sotschi immerhin 81 Athleten aus Afrika und Ozeanien dabei. Deutlicher wird die paralympische Zweiklassengesellschaft bei Sommerspielen: In London 2012 kamen vierzig Prozent der 4500 Teilnehmer aus neun wohlhabenden Ländern, insgesamt waren 164 Nationen vertreten. Nimmt man die Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO dazu, wird der Kontrast deutlich: Mehr als eine Milliarde Menschen - das sind fünfzehn Prozent der Weltbevölkerung - haben eine Behinderung. Achtzig Prozent von ihnen leben in Entwicklungsländern.

Wegen militärischer Konflikte und unzureichender Versorgung werden die Zahlen steigen. "Es ist eine unserer größten Aufgaben, die paralympische Bewegung auszudehnen", sagt Philip Craven, Präsident der Internationalen Paralympischen Komitees (IPC). Das IPC organisiert mit den Vereinten Nationen und Ottobock Workshops und spendet günstige Rollstühle für Menschen, die sie sich nicht einfach so leisten können. Für die Paralympics verteilt es Einladungen für Athleten aus Schwellenländern, die sich nicht qualifizierten konnten. Doch das IPC kann unmöglich alle Anfragen beantworten, geschweige denn auch nur annähernd die Technik zur Verfügung stellen, die sich die wenigen Spitzensportler aus den privilegierten Ländern leisten können.

Leistung ist, den Alltag zu bewältigen

Paralympics-Läufer Oscar Pritorius beim Rennen in London 2012 (Foto: AP Photo/Kirsty Wigglesworth, File)
Er war der Star der Paralympics-Szene: Oscar PistoriusBild: picture-alliance/AP

Die Paralympics von London 2012 erinnerten ganz besonders an die "Unterhaltungsindustrie" Olympia: Der britische Privatsender Channel 4 inszenierte Athleten als "Superhumans" (Übermenschen) und ließ Prothesen und Rollstühle in geheimnisvollem Neonlicht ausleuchten. "Die Spitzensportler sind Vorbilder, aber ihre Überhöhung kann auch abschrecken", sagt Raul Krauthausen. Der Aktivist, der viele Projekte für die Teilhabe von behinderten Menschen angestoßen hat, wirbt für eine moderate Beschreibung des Leistungssports. Menschen mit Behinderung seien weder Opfer noch Superhelden: "Ich habe Glasknochen, ich kann höchstens Schach spielen, aber das ist nicht paralympisch", sagt Krauthausen. Durch die mediale Zuspitzung könne leicht der Eindruck entstehen, ganz "normale" Menschen mit einer schweren Behinderung könnten weniger leisten als die paralympischen Spitzensportler.

Auch der Hamburger Sportdidaktiker Willibald Weichert möchte den paralympischen Sport nicht in Frage stellen, allerdings plädiert er in einem Essay für eine Betrachtung, die über Technik-Ehrfurcht und das Medaillenzählen hinausgeht. Für die viereinhalb Millionen Menschen in Deutschland mit einer schweren Behinderung bestehe die Leistung darin, den Alltag zu bewältigen: Gehen, Essen, Toilettengang. Millionen Menschen mit Behinderung kennen eine Debatte um so genanntes Technodoping, in der es um Vorteile durch Prothesen im Wert eines Kleinwagens geht, nur aus den Medien.

Sport zur Rehabilitation

Dennoch, die 13 Athleten des deutschen Paralympics-Teams in Sotschi verkörpern die wachsende Professionalität des Behindertensports in Marketing, Training, Technik. "Ein kleines, aber feines Team", sagt Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Verbandes. "Ihre öffentlichkeitswirksamen Leistungen helfen uns an der Basis." Der Behindertensportverband ist in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel gewachsen, er zählt nun 650.000 Mitglieder in 6000 Vereinen. Die Gesellschaft wird älter, und so ist die große Mehrheit der Mitglieder im Rehabilitationssport aktiv. Ihr Durchschnittsalter? Über Sechzig.