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Sorge um deutsch-ägyptischen Autor

Jeanette Seiffert26. November 2013

Hamed Abdel-Samad hat offen und schonungslos den Islam kritisiert. Jetzt ist der deutsch-ägyptische Politologe und Publizist in Kairo spurlos verschwunden. Sein Bruder Mahmud geht von einer Entführung aus.

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Der deutsch-ägyptische Schriftsteller und Politologe Hamed Abdel-Samad (Foto: Inga Kjer/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Beschimpft und bedroht zu werden - das kennt der deutsch-ägyptische Schriftsteller Hamed Abdel-Samad schon seit Langem. Immer wieder hat er sich in den vergangenen Jahren mit streitbaren Thesen über die Rückständigkeit des Islam zu Wort gemeldet. "Dieser Kultur ist seit langer Zeit die Substanz verloren gegangen. Diese Kultur ist nicht mehr integrationsfähig für das Wissen anderer. Und deshalb wird sie untergehen." Mit Sätzen wie diesen im ARD-Fernsehen hat er sich viele Feinde gemacht.

Als er dann im vergangenen Juni bei einem Vortrag in Kairo der Muslimbruderschaft "religiösen Faschismus" vorwarf, belegten ihn islamische Glaubensführer mit einer so genannten "Fatwa" - damit war er der Logik islamischer Fundamentalisten nach vogelfrei. "Wer vom islamischen Glauben abfällt, der verdient den Tod", mit diesen Worten rief ein ägyptischer Professor live im arabischen Fernsehen dazu auf, Abdel-Samad zu ermorden. Im Internet kursiert ein Foto des Publizisten, auf dem der Ausdruck "Gesucht - tot" auf seiner Stirn steht. Nun wird Abdel-Samad seit Sonntag (24.11.2013) vermisst.

Der Al-Azhar Park in Kairo (Foto: EPA/MIKE NELSON)
Hier verlor sich Abdel-Samads Spur: Der Al-Azhar Park in KairoBild: picture-alliance/dpa

Taxi statt U-Bahn

Abdel-Samad wurde 2009 durch sein Buch "Mein Abschied vom Himmel" bekannt. Es hat in seinem Herkunftsland Ägypten heftige Diskussionen ausgelöst. Doch selbst nach dem Mordaufruf wollte sich Hamed Abdel-Samad nicht verstecken, sich nicht einschüchtern lassen. Hatte er Angst? "Ich nehme das ernst, aber Angst ist schon ein großes Wort", sagte er in einem seiner letzten Fernsehinterviews am 30.07.2013 im Bayrischen Rundfunk. "Wenn ich Angst hätte, würde ich jetzt nicht mit Ihnen reden, würde ich nicht weiter schreiben - und würde mich nicht in der Öffentlichkeit zeigen."

Schon seit einigen Wochen stand er in Deutschland unter Polizeischutz. "Ich bin früher gerne U-Bahn gefahren. Das mache ich jetzt nicht mehr. Ich fahre immer Taxi. Ich erwische mich gelegentlich dabei, mich umzudrehen, wenn ich die Straße überquere", so beschrieb er selbst seine Unsicherheit. Dennoch reiste er nach Ägypten - obwohl sogar die deutsche Botschaft in Kairo um seine Sicherheit besorgt war: Auf ihr Drängen stellte ihm das ägyptische Innenministerium einen zusätzlichen Leibwächter zur Seite.

Kritiker leben in Ägypten gefährlich

Abdel-Samads Mut könnte ihm nun zum Verhängnis geworden sein: Am Sonntag verlor sich seine Spur, nachdem er ohne Personenschützer sein Hotel verlassen hatte. Warum er sich in diese Gefahr begab, obwohl er sich verfolgt und bedroht fühlte, ist unklar. Mittlerweile hat sich auch die Bundesregierung eingeschaltet: Außenminister Guido Westerwelle forderte die ägyptischen Behörden auf, intensiv nach dem Schriftsteller zu suchen. Das Auswärtige Amt richtete einen Krisenstab ein.

Demonstration von Mursi-Anhängern in Kairo (Foto: REUTERS/Amr Abdallah Dalsh)
Extreme Polarisierung: Demonstration von Mursi-Anhängern in KairoBild: Reuters/Amr Abdallah Dalsh

Auch die Leiterin des Goethe-Instituts in Kairo, Gabriele Becker, zeigt sich besorgt über das Verschwinden des deutsch-ägyptischen Schriftstellers. Er habe sich, auch bei Veranstaltungen in ihrem Institut, immer sehr deutlich zur politischen Situation in Ägypten geäußert: "Er machte keinen Hehl aus seiner Meinung. Ich könnte mir vorstellen, dass das möglicherweise ein Hintergrund sein könnte."

Der Fall Abdel-Samad wirft die Frage auf, wie gefährdet kritische Intellektuelle seit dem Erstarken islamistischer Kräfte in Ägypten sind. Becker sieht keine generelle Bedrohung - viele seien aber verunsichert wegen der starken Polarisierung der ägyptischen Gesellschaft. Für die gespannte politische Situation seien aber nicht nur die Islamisten verantwortlich: "Künstler und Intellektuelle berichten auch, dass man als Verräter gilt, wenn man sich kritisch über das Militär äußert." Es gebe aber keinen Grund, sich über die Sicherheit von Ausländern insgesamt Sorgen zu machen. "Abdel-Samad ist ja gebürtiger Ägypter, auch wenn er deutscher Staatsbürger ist. Und deshalb würde ich das auf jeden Fall unterscheiden von der Situation der Deutschen in Ägypten oder speziell hier in Kairo", sagt Gabriele Becker.

Die Leiterin des Goethe-Institutes in Kairo (Foto: Stephanie Pilick dpa/lbn)
Gabriele Becker vom Goethe-Institut in Kairo: Keine generelle Gefahr für AusländerBild: picture-alliance/dpa

Islamistische Hintergründe oder Streit um Geld?

Doch haben tatsächlich radikal-islamische Fanatiker Abdel-Samad in ihre Gewalt gebracht? Bislang hat sich niemand öffentlich zu einer Entführung bekannt. Der Bruder des Publizisten, Mahmud Abdel-Samad, hält eine solche aber durchaus für wahrscheinlich: "Wir sprechen über radikale Islamisten, die in Ägypten, auf den Straßen in Kairo unterwegs sind. Sie suchen nach Menschen wie Hamed, nach Liberalen, Schriftstellern, Journalisten", sagte er der Deutschen Welle nach dem Verschwinden seines Bruders. "Wenn sie jemanden finden, der auf ihrer Liste steht, dann entführen oder töten sie ihn."

Doch Mahmud Abdel-Samad hält es auch für möglich, dass etwas anderes hinter dem Verschwinden seines Bruders stecken könnte: Hamed habe sich mit Bekannten um Geld gestritten, das er ihnen geliehen hatte und zurückhaben wollte.

Ein reichlich verworrener Fall also. Die angespannte Sicherheitslage in der ägyptischen Hauptstadt und die unübersichtliche politische Situation dürften es zusätzlich erschweren, herauszufinden, was tatsächlich mit dem Schriftsteller geschehen ist. Dessen Bruder zeigt sich aber zuversichtlich: "Die Polizei arbeitet daran, die sozialen Netzwerke beschäftigen sich damit, bekannte Schriftsteller schreiben darüber - alle wollen Hamed finden."