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Russland verschärft Demonstrationsrecht

Roman Goncharenko, Jegor Winogradow6. Juni 2012

Im Vorfeld neuer Anti-Putin-Proteste hat das russische Parlament höhere Geldstrafen für Verstöße bei öffentlichen Veranstaltungen beschlossen. Der Präsident erzürnt damit seine Gegner. Und schwächt sie.

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Russian police detain protesters outside the parliament building in Oppositionellen-Demo vor dem russischen Parlament (Foto: AP/dapd)
Bild: dapd

Im russischen Internet brodelt es. Ob Facebook, Twitter oder die Bloggerplattform LiveJournal - überall wird über die vom russischen Parlament beschlossene Verschärfung des Versammlungsrechts diskutiert. "Das ist nur ein Pyrrhussieg", schreibt etwa der Blogger Andrej Malgin auf der Seite des Kreml-kritischen Radiosenders "Echo Moskwy". Die Anwendung der Gesetzesänderungen werde die innenpolitische Lage in Russland "explodieren lassen". Ähnlich sieht es der Mitbegründer des zivilgesellschaftlichen Bündnisses "Liga der Wähler", Dmitrij Oreschkin. "Es ist klar, dass die Machthaber keine konkrete Antwort auf die Forderung nach fairen Gerichtsprozessen und fairen Wahlen haben und einfach versuchen, die Protestler mundtot zu machen", sagte Oreschkin der DW im Interview.

Die regierende Partei "Einiges Russland" hatte in der Nacht zum Mittwoch (06.06.2012) in einer mehr als neunstündigen Marathonsitzung in der Staatsduma mehrere Gesetzesänderungen beschlossen, die das Versammlungsrecht drastisch verschärfen. Demnach müssen Teilnehmer öffentlicher Proteste und sonstiger Versammlungen mit einer Geldstrafe zwischen umgerechnet 250 und 7000 Euro rechnen, wenn zum Beispiel bei einer Demonstration Menschen verletzt werden oder Eigentum beschädigt wird. Für Staatsbedienstete ist eine doppelt so hohe Summe vorgesehen. Firmen können sogar mit einer Strafe von bis zu umgerechnet 25.000 Euro belegt werden.

Vladimir Putin (Foto: Reuters)
Putin setzt eine Verschärfung des Demonstrationsrechts durchBild: Reuters

Eine Alternative zur Geldstrafe soll künftig gemeinnützige Arbeit sein. Wer kein Geld zahlen will, kann 200 Stunden Sozialarbeit leisten und zum Beispiel Moskaus Straßen fegen. Im ursprünglichen Gesetzentwurf waren noch deutliche härtere Strafen vorgesehen. Doch nach einer Welle der Kritik aus der Öffentlichkeit wurde die Höhe der Geldstrafen herabgesetzt. Der Abgeordnete Saled Omarow von der Regierungspartei "Einiges Russland" meint, das sei ein Beweis für die "humane Einstellung" der Machthaber.

Kritik seitens des Menschenrechtsrats

Die russische Staatsduma hatte es offenbar sehr eilig. Die Gesetzesänderung sei ungewöhnlich schnell beschlossen worden, so Beobachter. Die oppositionelle Fraktion "Gerechtes Russland" war zuvor mit ihrem Versuch gescheitert, mit hunderten Änderungsanträgen die Verabschiedung hinauszuzögern. Sie alle wurden von der Mehrheit der Abgeordneten im Sekundentakt abgelehnt. Bereits wenige Stunden nachdem die Duma das neue Gesetz beschlossen hatte, wurde es auch vom Föderationsrat, dem Oberhaus des russischen Parlaments, abgesegnet.

Das Gebäude der Duma in Moskau (Foto: picture-alliance/dpa)
Die Staatsduma beschloss das Gesetz im EiltempoBild: picture-alliance/dpa

In letzter Minute hatte noch der Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten versucht, das neue Gesetz zu stoppen. Der Ratsvorsitzende Michail Fedotow bezeichnete in einem Brief den Beschluss der Staatduma als "Fehler". Eine Verschärfung des Versammlungsrechts würde zu "schweren Menschenrechtsverletzungen führen und Konflikte in der Gesellschaft vertiefen", so Fedotow. Doch die Vorsitzende des Föderationsrats, Walentina Matwijenko, sagte, Fedotows Brief sei "aus welchem Grund auch immer am Mittwoch nicht eingegangen".

Das neue Gesetz wird nun dem Präsidenten Wladimir Putin zur Unterzeichnung vorgelegt. Sein Pressesprecher erklärte, Putin werde es genau prüfen. Denn nach Ansicht des neuen alten Russland-Lenkers dürften die Rechte und Freiheiten der Bürger nicht eingeschränkt werden, so sein Sprecher.

Öl ins Feuer der Proteste

Die Verschärfung des Demonstrationsrechts wurde nur wenige Tage vor einer neuen großen Protestaktion in Moskau beschlossen. Die Opposition plant für den "Tag Russlands" am 12. Juni einen neuen "Marsch der Millionen". Millionen werden an diesem Nationalfeiertag wohl nicht gegen Präsident Putin und dessen Machtsystem auf die Straße gehen. Doch Zehntausende könnten es werden.

"Marsch der Millionen" Anfang Mai in Moskau (Foto: EPA/SERGEI CHIRIKOV)
"Marsch der Millionen" Anfang Mai in MoskauBild: picture-alliance/dpa

Die Protestwelle, die durch Fälschungsvorwürfe nach der Parlamentswahl im Dezember 2011 in Russland entstanden war, ist in den vergangenen Monaten abgeebbt. Die Verschärfung des Versammlungsrechts dürfte den Protesten neuen Schub geben, glauben Beobachter in Russland. "Man sollte die Menschen nicht daran hindern, ihre Meinung kundzutun", sagte der DW der Anführer der Linken Front, Sergej Udalzow, einer der Veranstalter der Proteste. Der Oppositionspolitiker ist sich sicher, dass aus den Protesten in Russland schon bald Massenunruhen werden.

Dass sich ein Teil der Oppositionsbewegung radikalisieren wird, glaubt auch der Moskauer Rechtsanwalt Wadim Prochorow, der immer wieder Oppositionelle vor Gericht vertritt. Allerdings, so Prochorow, könnte sich ein Teil der städtischen Mittelschicht aufgrund der künftig drohenden härteren Strafen von den Protesten zurückziehen.