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Russland in Straßburg ohne Stimme

Roman Goncharenko28. Januar 2015

Wegen der Ukraine-Krise hat Russland bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats derzeit kein Stimmrecht. Die Delegation aus Moskau droht nun, die Zusammenarbeit auf Eis zu legen.

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Der Europarat in Straßburg (Foto: epa)
Bild: picture-alliance/dpa

Sergej Naryschkin kam mit einer klaren Botschaft nach Straßburg. Sollte die Abstimmung an diesem Mittwoch "enttäuschen", werde man die Arbeit bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats für ein Jahr anhalten, sagte der Vorsitzende der russischen Staatsduma nach seiner Ankunft. Russland bestehe darauf, sein im April 2014 entzogenes Stimmrecht zurückzubekommen.

Anlass für die Einschränkung war die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim. Die russische Delegation darf seitdem nicht abstimmen, nicht in Führungsgremien vertreten sein und an keinen Beobachtermissionen teilnehmen. Die Parlamentarische Versammlung hat wenig politische Macht, gilt jedoch als Forum für den Dialog von Vertetern der nationalen Parlamente Europas.

Rückgabe des Stimmrechts empfohlen

Der Bundestagsabgeordnete Axel E. Fischer von der CDU (Foto: dpa)
Fischer: "Wir erwarten, dass sich Russland auf den Europarat zubewegt"Bild: picture-alliance/dpa

Aus der Sicht von Axel Fischer sollte es beim Stimmentzug für Russland bleiben - "bis zur nächsten Sitzung im April", sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete, Leiter der deutschen Delegation und Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats im DW-Gespräch. "Wir erwarten, dass sich Russland auf den Europarat zubewegt." In der Krim-Frage sei das nicht geschehen. Auch die Lage in der Ostukraine habe sich verschlechtert. Ähnlich sieht es Gerhard Mangott: "Es gibt nichts, was Russland in den letzten Monaten Positives zur Beilegung des ostukrainischen Konfliktes beigetragen hat", so der Osteuropa-Experte von der Universität Innsbruck.

Im Monitoring-Auschuss der Parlamentarischen Versammlung hat es laut Fischer am Dienstag eine heiße Diskussion gegeben. Der Hauptstreitpunkt sei die Frage des Stimmrechts gewesen. Die einen würden der russischen Delegation dieses Recht jetzt schon zurückgeben wollen, die anderen plädierten dafür, noch zu warten. Mit 22 zu 20 habe sich der Ausschuss für die Rückgabe der Stimme entschieden, so Fischer. Die endgültige Entscheidung werde aber von allen Abgeordneten am Mittwoch getroffen.

Russland verlor das Stimmrecht zweimal

Der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Europarat ist mit 47 Mitgliedsstaaten die größte europäische Organisation, in der auch Russland seit 1996 vertreten ist. Die Parlamentarische Versammlung tagt viermal jährlich und zählt neben dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu den wichtigsten Organen des Europarats.

Bisher wurde der russischen Delegation nur zweimal das Stimmrecht entzogen - im vergangenen Jahr und davor im Jahr 2000 wegen des Krieges in Tschetschenien. Damals wurden die Einschränkungen nach einem Jahr wieder aufgehoben. Vor der Abstimmung am Mittwoch zeigte sich Naryschkin optimistisch: "Ich gehe davon aus, dass die Parlamentarische Versammlung eine richtige Entscheidung bezüglich der russischen Delegation trifft", so der russische Politiker.

Wiederaufbau in Mariupol nach dem Raketenbeschuss (Photo: Mykola Ryabtschenko)
In Mariupol trafen Geschosse ein Wohngebiet - 30 Zivilisten starbenBild: DW

Mariupol schlägt auf die Stimmung

Gerhard Mangott teilt diesen Optimismus nicht. Die jüngste Verschärfung der Lage in der Ostukraine werde die Stimmung vieler Parlamentarier beeinflussen, sagte der Experte. Bei einem Raketenbeschuss der ukrainischen Hafenstadt Mariupol starben am Wochenende rund 30 Zivilisten. Die Ukraine gab den prorussischen Separatisten und Russland die Schuld daran. Am Dienstag stufte das ukrainische Parlament Russland als Aggressor ein. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats wurde gebeten, das Stimmrecht der russischen Delegation auszusetzen.

"Ich gehe davon aus, dass an den Maßnahmen festgehalten wird, dass es aber zu keiner Verschärfung kommt", sagte der Politologe Mangott. "Wir sind uns alle einig, dass wir der russischen Delegation nicht die Tür vor der Nase zuschlagen wollen", meint auch Axel Fischer.

Streit um ukrainische Kämpferin in Russland

Für die Ukraine ist die Wintertagung der Parlamentarischen Versammlung nicht nur wegen der Sanktionen gegen die russische Delegation wichtig. Kiew möchte mit Straßburgs Hilfe eine Freilassung der in Russland inhaftierten ukrainischen Kämpferin Nadija Sawtschenko durchsetzen. Die ausgebildete Militärpilotin kämpfte als Freiwillige in der Ostukraine gegen prorussische Separatisten. Sie wurde im Sommer 2014 gefangengenommen und tauchte später in Untersuchungshaft in Russland auf. Die russische Justiz wirft ihr Beihilfe zur Tötung von zwei russischen Journalisten bei einem Beschuss durch die ukrainische Arme vor. Sawtschenko widerspricht. In der Ukraine wird sie als Heldin gefeiert. Das renommierte russische Menschenrechtszentrum "Memorial" stufte die Ukrainerin als politische Gefangene ein.

Sergej Naryschkin, russischer Parlamentspräsident (Foto: Getty Images)
Naryschkin: "Ukrainische Kämpferin Sawtschenko muss zuerst vor Gericht"Bild: Getty Images

Bei der Wahl Ende Oktober 2014 wurde Sawtschenko für die "Vaterlandspartei" der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko ins Parlament gewählt. Sie soll die Ukraine auch bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vertreten. Seit Montag habe Sawtschenko diplomatische Immunität und müsse sofort freikommen, so die ukrainische Regierung. Anne Brasseur, Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung, bat Russland schriftlich, Sawtschenko nach Straßburg ausreisen zu lassen. Doch Moskau lehnte ab. Zunächst müsse die Ukrainerin vor Gericht, sagte Naryschkin.

Verlässt Russland den Europarat?

Der Vorsitzende des russischen Parlaments sagte mehrmals, dass sein Land die Arbeit des Europarats schätze. Er schloss jedoch nicht aus, dass Russland aus der Organisation austreten könnte. Sollte es aus Moskaus Sicht keinen Fortschritt geben, werde "die Frage über die Mitgliedschaft im Europarat gestellt", sagte Naryschkin in einem Interview für die Moskauer Zeitung "Kommersant".

Straßburg scheint Russland nicht zu einem solchen Schritt provozieren zu wollen. So durfte Naryschkin zum Beispiel ohne Probleme nach Frankreich reisen. Eigentlich steht der Duma-Vorsitzende auf der Sanktionsliste der Europäischen Union. Es gelang ihm jedoch, das Einreiseverbot auf diplomatischem Weg zu umgehen - weil er diplomatische Immunität genießt. Naryschkin profitierte damit von der Regelung, die Russland der Ukrainerin Sawtschenko verweigert.