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Ruhestätte für Reaktoren

Frank Grotelüschen16. April 2012

Stillgelegte Atomkraftwerke kann man nicht einfach sprengen, weil viele Teile noch stark strahlen. Nach und nach zerlegen geht aber schon. So wie in Lubmin, wo die weltweit größte Demontage eines Kernkraftwerkes läuft.

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Im Maschinenhaus des Kernkraftwerkes Lubmin bei Greifswald zerlegen Mitarbeiter einen 110 Tonnen schweren Zwischenüberhitzer (Foto: dpa - Bildfunk)
Bild: picture-alliance/dpa

Lubmin ist ein kleines, kaum bekanntes Ostseebad nahe Greifswald im Nordosten Deutschlands. Knapp einen Kilometer vom Ortsrand entfernt stehen riesige, baufällig wirkende Betonbunker, flankiert von rostigem Schrott. Es sind die Reste des einst größten Kernkraftwerks der DDR, wo einmal bis zu fünf Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart am Netz waren. 1990, gleich nach der Wende, wurden sie abgeschaltet. Nach westlichen Standards waren die Meiler zu unsicher.

1994 begann die Demontage, die heute immer noch in vollem Gange ist. Es ist ein heikler Job, denn selbst wenn die Brennstäbe entfernt sind, strahlen die Reaktoren noch und müssen aufwendig zerlegt und gelagert werden. "Früher haben wir die Meiler betrieben, nun bauen wir sie ab", sagt Hauptabteilungsleiter Joachim Griep. Er arbeitet seit 1977 in Lubmin. Zunächst im Kernkraftwerk, dann bei den Energiewerken Nord (EWN), einer staatlichen Gesellschaft, die für den Rückbau der Reaktoren verantwortlich ist. Anfangs fand er den Wechsel seltsam, andererseits ist er einer von denen, die die Anlage am besten kennen.

Overalls gegen Radioaktivität

Direkt neben der Kraftwerksruine liegt, gesichert durch hohe Stacheldrahtzäune, ein Neubau, das atomare Zwischenlager Nord. In der Halle, die größer ist als zwei Fußballfelder, liegen zum einen die hochradioaktiven Brennstäbe aus dem Kraftwerk, zum anderen landen hier die schwach- und mittelradioaktiven Überreste der Reaktoren, werden endgültig zerlegt und zwischengelagert. Am Eingang kontrolliert die Wache akribisch den Passierschein, dann bekommt der Besucher Overalls, Überschuhe und Dosimeter verpasst. Eine Sicherheitsmaßnahme, sie soll vor radioaktiver Kontamination schützen. Joachim Griep steckt seinen elektronischen Ausweis in das Lesegerät. Das Gerät gibt einen Piepton von sich, fast lautlos öffnet sich eine wuchtige Tür.

Ein paar Schritte vorbei an mächtigen, die Strahlung abschirmenden Betonwänden, dann bleibt Griep vor einer großen Glasscheibe stehen. In dem Raum hinter dem Glas steht eine ferngesteuerte Spezialsäge mit einem vier Meter langen Sägeblatt. Sie macht sich an einem Dampferzeuger zu schaffen, eine riesige, haushohe Metalltonne. Im Kraftwerk verwandelte sie einst das Wasser, das im Reaktor erhitzt wurde, zu Dampf, der letztlich die Stromturbine antrieb. Die Bandsäge zerlegt den Dampferzeuger in handhabbare Stücke, etwa einen Meter groß und maximal 500 Kilogramm schwer. Das dauert lange, das Sägeblatt kann sich nur im Schneckentempo durch das extrem dickwandige Material fressen. Bis das Ungetüm komplett zerlegt ist, vergehen sechs Monate.

Überblick über die Blöcke sowie das Maschinenhaus des Kernkraftwerkes in Lubmin (Foto: dpa - Bildfunk)
Überblick über die Blöcke sowie das Maschinenhaus des Kernkraftwerkes in LubminBild: picture-alliance/dpa

Blei gegen Strahlung

Die strahlenden Teile, darunter unzählige Pumpen, Leitungsrohre und Reinigungsschlämme, landen in einer der acht Hallen des Zwischenlagers, verpackt in Container und Spezialfässer, massive, blau lackierte Tonnen, die 500 Liter fassen. Außen ein Stahlmantel, in den zusätzlich einen Betonmantel hineingegossen wurde, innen wieder Stahl mit einem höheren Bleianteil, der die Strahlung stark abschirmt. Einige Tausend solcher und ähnlicher Sicherheitsbehälter stapeln sich in der 18 Meter hohen Halle. Um die Meiler zu zerlegen, mussten die Experten ganz neue Techniken entwickeln. Plasmabrenner zum Beispiel, die unter Wasser funktionieren und Speziallaser, um Wandauskleidungen zu zerschneiden.

Die eigentlichen Reaktoren aber sind noch nicht zerlegt. 230 Tonnen schwere Metallungetüme, die wie zu dick geratene Tanklaster aussehen und nebeneinander aufgebahrt liegen wie in einem Leichenschauhaus. "Zurzeit sind die Reaktoren noch zu radioaktiv, um sie auseinander nehmen zu können", sagt Griep. "Deshalb lassen wir sie 50 bis 70 Jahre hier liegen. Dann sind sie soweit abgeklungen, dass man sie zerlegen kann." Dagegen soll das, was jetzt schon demontiert und in Spezialbehältern verkapselt ist, ab 2015 nach und nach zum Schacht Konrad transportiert werden, dem deutschen Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle im norddeutschen Salzgitter. Wo die stark strahlenden Brennelemente eines Tages landen werden, ist noch unklar. Der geplante deutsche Endlager-Standort Gorleben ist umstritten.

Abwrackprämie für Reaktoren

Pro Kraftwerksblock werden ungefähr 1500 Kubikmeter Material an das Endlager Konrad abgeben, ein Volumen, als würde man zwei Reihenhäuser vollpacken. Alles in allem musste der deutsche Steuerzahler rund 2,4 Mrd. Euro für die Stilllegung des Kraftwerkes berappen. Nach den Erfahrungen aus Lubmin kostet das Abwracken eines einzelnen Reaktorblocks rund 500 Millionen Euro. Manche hatten kritisiert, die Demontage von Kernreaktoren sei zu heikel. Man solle sie lieber abschließen und über Jahrzehnte stehen lassen, bevor man sich an die Zerlegung wage. Dieter Rittscher, Geschäftsführer von EWN, ist anderer Meinung: "Man geht weltweit davon aus, dass man Kernkraftwerke heute unproblematisch beseitigen kann."

Letztlich sei es sicherer, einen Kernreaktor zu zerlegen und in einem unterirdischen Endlager zu lagern, als ihn einfach stehen zu lassen. Schließlich könne man nicht ausschließen, dass im Laufe von Jahrzehnten Radioaktivität aus dem alten Meiler entweicht. Dennoch werden die Lubminer Kraftwerksbauten nicht ganz abgerissen. Einige nicht verstrahlte Hallen bleiben stehen, hier soll ein neues Industriegebiet entstehe. In der ehemaligen, riesigen Turbinenhalle wird schon heute wieder gewerkelt – unter anderem an Industriekränen und Schiffsbauteilen.