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Zwischen Anpassung und Tradition

Romy Straßenburg17. September 2013

Die Spuren der Roma in Frankreich reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück. Ihre ethnischen Gruppen kämpfen noch heute gegen Diskriminierung und verurteilen das harte Vorgehen gegen die neuen Einwanderer aus Osteuropa.

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Gläubige tragen bei einer Prozession die Statue der Sara am 25.05.2010 in Saintes-Maries-de-la-Mer. Die Tradition der heiligen Sara geht auf die Anfänge des Christentums in Südfrankreich zurück. Sie soll dort die beiden heiligen Marien, Mütter zweier Jünger Jesu, in Empfang genommen haben, die über das Meer kamen. Die Reliquien der beiden Marien werden seit dem 15. Jahrhundert in Saintes-Maries-de-la-Mer verehrt. Foto: Ulrike Koltermann
"Zigeunerwallfahrt" in Les-Saintes-Maries-de-la-Mer in der Nähe von MarseilleBild: picture-alliance/dpa

Die Schwarzweiß-Fotografie zeigt eine kleine Menschengruppe. Kinder hocken auf dem Sandboden neben einem gusseisernen Ofen und staunen in die Kamera. Dunkelhaarige Frauen und Männer haben sich um zwei Gitarrenspieler gruppiert. Hinter ihnen lässt sich ein Zeltwagen erahnen. Der 36-Jährige Baro hat den Kopf seines Großvaters weiß eingekreist und zeigt auf den Gitarrenspieler mit der Zigarette im Mundwinkel: Django Rheinhardt, Begründer des europäischen Jazz und Teil einer großen belgisch-französischen Manouche-Familie, jener Volksgruppe, die seit dem 15. Jahrhundert in Westeuropa ansässig ist.

Wie Django Rheinhardt wuchs Baro im östlichen Pariser Vorort Montreuil auf. Vor ein paar Jahren lernte er Kake kennen. Später entdeckten sie, dass auch dessen Großvater auf dem Foto zu sehen ist. Heute machen die beiden zusammen HipHop, mischen Beats mit Gitarren- und Violinen-klängen. Ihre Texte zeugen vom Stolz auf ihre Herkunft und vom Ärger über die täglichen Diskriminierungen, besonders seit Ex-Präsident Nicolas Sarkozy 2010 öffentlichkeitswirksam dutzende Roma-Lager räumen ließ. "Unter Sarkozy fingen die Leute an zu denken, dass man nun zu Recht "dreckiger Zigeuner" sagen kann. Wenn der Präsident sagt "Zigeuner, das sind doch alles Diebe, wir schließen sie alle weg, sie stehlen von Kind an", sagen sich die Leute, wenn schon der Präsident das sagt, muss es wohl stimmen."

Ein Foto des Jazzmusikers Django Reinhardt, das unserer Autorin Romy Straßenburg von Django Reinhardts Enkel Baro zur Verfügung gestellt worden ist. Copyright privat
Django Reinhardt mit Freunden und FamilieBild: privat

Franzosen zweiter Klasse

Der Name Sarkozy hat einen bitteren Nachgeschmack für alle Roma in Frankreich. Nicht nur für die rund 20.000 Migranten aus Rumänien und Bulgarien, deren provisorische Lager seit Jahren immer wieder von der Polizei geräumt werden. Das Klima hat sich auch für Menschen wie Baro und Kake verschärft, deren Familien seit Jahrzehnten, mitunter Jahrhunderten in Frankreich ansässig sind. Sie haben die französische Staatsangehörigkeit und fühlen sich trotzdem häufig als Bürger zweiter Klasse. "Meine Kinder gehen in die Schule und dort wissen die anderen nicht, dass sie Manouches sind. Nicht, weil wir uns schämen, sondern weil wir nicht möchten, dass man sie deswegen hänselt," erzählt Baro und Kake fügt schnell hinzu: "Für die Arbeit ist es dasselbe, wenn Du denen sagst, Du bist Zigeuner oder Manouche, dann nehmen sie dich nicht. Oder wir werden überwacht und sobald etwas fehlt, ist ja klar, dass wir das waren."

Abschiebung rumänischer Roma am Pariser Flughafen Charles de Gaulle im August 2010 (Foto: AP)
Abschiebung rumänischer Roma am Pariser Flughafen Charles de Gaulle im August 2010Bild: AP

Roma, Tsigane, Manouche, Sinti, fahrende Leute? Um sich im Dschungel der Begriffe zurecht zu finden, empfiehlt sich ein Besuch beim Verein für das "Fahrende Volk" (Fnasat), versteckt auf einem Hinterhof im 19. Pariser Arrondissement. Auf einem kleinen Tisch im Eingangsbereich liegen zahlreiche Broschüren. So wie Baro und Kake legen viele Menschen, die man verallgemeinernd als Roma bezeichnet, Wert darauf, zwischen den einzelnen Volksgruppen zu unterscheiden. Auch der Künstler Gabi Jimenez fürchtet, das negative Bild der aktuell rund 15.000 Migranten aus Rumänien und Bulgarien könnte auf alle Nachfahren unterschiedlichster Ethnien abfärben. "Wenn man uns sagt, ihr seid alle Roma, dann stecken dahinter schon politische Strategien von Seiten Europas. Mit der Absicht, uns alle in einen Hut zu werfen, zu tun, als hätten wir alle etwas gemeinsam."

Der eingescannte Ausweis des Musikers Gabi Jimenez, den er als Angehöriger der Roma-Minderheit in Frankreich regelmäßig von der Polizei abstempeln lassen muss. Copyright privat
"Carnet de circulation" des Musikers Gabi JimenezBild: privat

Lebendige Kultur

Seit 30 Jahren lebt Gabi selbst in einem Wohnwagen. Er weiß, wie schwierig es ist einen geeigneten Stellplatz für sein Zuhause auf Rädern zu finden. Europaweit existiert nur noch in Frankreich, Belgien und England eine beachtliche Anzahl "moderner Nomaden". In Frankreich wird ihre Zahl auf 250.000 geschätzt, ein Fünftel zählt zu den Roma. Ihre Wohnwagen verfügen mitunter über mehr Komfort als eine Wohnung. Gesetzlich ist jede französische Kommune mit mehr als 5000 Einwohnern verpflichtet, einen Stellplatz für Wohnwagen zur Verfügung zu stellen, doch nur knapp die Hälfte kommt bisher dieser Auflage nach, auch wenn die Bewohner natürlich für den Platz zahlen müssen. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts waren die fahrenden Leute gezwungen ein "Reisebuch" (carnet de circulation) mit sich zu führen und darin alle drei Monate ihren aktuellen Aufenthaltsort durch Polizeistempel nachzuweisen. Erst vor einem Jahr wurde diese diskriminierende Regelung zumindest abgeändert. Das Büchlein muss nun ein Mal jährlich den Behörden vorgelegt werden. "Das ist eine bewusste juristische Kontrolle und wirklich diskriminierend", findet Gabi.

Seit langem beschäftigt sich der Soziologe Olivier Peyroux mit der Ungleichbehandlung der Roma und den Eigenheiten der einzelnen Untergruppen. In Frankreich beobachtet er einerseits Anpassungserscheinungen bei der jüngeren Generationen, andererseits das Fortleben familiärer Traditionen. "Die Hochzeit mit einem "gadgé", also einem Franzosen ohne Roma-Wurzeln, wird nicht immer gutgeheißen. " Das besondere Genie aller Roma-Gruppen bestünde aber darin, die lokale Kultur mit einer Prise Virtuosität in etwas Eigenes umzuwandeln. Auch Baro und Kake wollen ihre von den Vorfahren übernommenen Werte und Lebensvorstellungen an ihre Kinder weitergeben, aber in der Version von 2013. "Eine Kultur ist dazu gemacht lebendig zu bleiben," sagt Baro. Und lachend fügt er hinzu: "Gitarre, lange Kleider, Lagerfeuer, der kleine Wohnwagen mit dem Pferd davor - da sind wir nicht mehr, das ist vorbei." Die Erben von Django Rheinhardt suchen aller Diskriminierungen zum Trotz weiter ihren eigenen, nie ganz vorhersehbaren Weg.

Roma-Familie in einem Lager bei Paris, 1950er Jahre
Roma-Familie in einem Lager bei Paris, 1950er JahreBild: picture alliance/akg-images