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Rohanis diplomatischer Spagat

Thomas Latschan26. September 2014

Vor der UN-Vollversammlung machte Irans Präsident Hassan Rohani den Westen für das Erstarken des IS verantwortlich. Zugleich deutete er Kooperationsbereitschaft im Kampf gegen die Terrorgruppe an.

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Hassan Rohani bei der UN-Vollversammlung (Foto:Reuters)
Bild: Reuters

Seine Rede war in der UN-Vollversammlung mit besonderer Spannung erwartet worden. Denn von Irans Präsident Hassan Rohani erhofften sich internationale Beobachter mehr Klarheit darüber, wie sich sein Land im Kampf gegen die Terrormiliz in Irak und Syrien positioniert. Als Rohani am Donnerstag ans Rednerpult trat, ließ er keinen Zweifel daran, wem er die Schuld am Erstarken der Terrormiliz "Islamischer Staat" im Irak und in Syrien anlastet: "Die strategischen Patzer des Westens im Nahen Osten, in Zentralasien und im Kaukasus haben diese Gegenden der Welt zu einem Rückzugsort für Terroristen und Extremisten gemacht", so der iranische Präsident. In Anspielung auf das vom IS erbeutete amerikanische Kriegsgerät sagte er weiter: "Gewisse Geheimdienste haben einer Gruppe Wahnsinniger Schwerter in die Hand gegeben, und diese Wahnsinnigen verschonen nun niemanden."

Dennoch zeige seine Rede, dass die alten Fronten zwischen USA und Iran weiter aufweichen, so Walter Posch, Iran-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik: "Im Prinzip hat Rohani dem Westen durch die Blume erklärt, dass man bereit ist zu einer Kooperation, allerdings nur dann, wenn auf westlicher Seite zugegeben wird, welche Fehler man gemacht hat." Und wenn der Westen dem Iran Zugeständnisse im Atomkonflikt macht, etwa durch die vorzeitige Lockerung von Sanktionen. Der iranisch-stämmige Berliner Publizist Bahman Nirumand glaubt, dass der Westen einen derartigen Deal zwar nicht formal, aber doch in der Praxis akzeptieren wird. "Wie weit das Entgegenkommen sein wird, darüber lässt sich nur spekulieren, aber es ist ziemlich klar, dass beide Regierungen, die von Obama und die von Rohani, so einen Deal im Sinn haben."

Unterschiedliche Voraussetzungen im Irak und in Syrien

Eine informelle Kooperation zwischen dem Westen und dem Iran im Kampf gegen den IS könne es aber – wenn überhaupt – nur auf irakischem Staatsgebiet geben, ist SWP-Experte Posch überzeugt. Auch Hassan Rohani zog in seiner Rede indirekt eine Grenze zwischen dem westlichen Engagement im Irak und dem in Syrien. Dort sprach er von einer "unangemessenen Einmischung in die Entwicklungen des Landes."

US-Flugzeuge bei Luftangriffen auf IS-Stellungen in Syrien (Foto:Reuters)
Irans Haltung zu den US-amerikanischen Luftschlägen ist zwiegespaltenBild: Reuters/U.S. Air Force/Senior Airman Matthew Bruch

Im Irak spielen die westlich-arabischen Luftschläge gegen den IS dem Iran in die Hände: "Im Irak haben die Iraner eigentlich das erreicht, was sie wollten: Sie haben die aus ihrer Sicht wichtigsten schiitischen Gebiete befreit" – indem sie das irakische Militär mit ihren eigenen Al Quds-Brigaden unterstützen. "Nur Mossul können sie nicht befreien. Aber sie besitzen jetzt eine konsolidierte Grenze zum IS und können abwarten."

In Syrien stelle sich die Interessenlage des Iran völlig anders dar, so Posch: "Iran und die Hisbollah unterstützen das syrische Regime von Bashar al-Assad." Deshalb schließe sich der Iran auch der russischen Haltung an, dass Luftschläge in Syrien nur mit Genehmigung der Regierung in Damaskus durchgeführt werden dürften. In diesem Zusammenhang ist auch die von den USA angekündigte Aufrüstung der gemäßigten "Freien syrischen Armee" Teheran ein Dorn im Auge.

Lösung nur aus der Region

Rohani erklärte auf der UN-Vollversammlung auch, dass die Staaten des Nahen Ostens die Führungsrolle beim Kampf gegen Gewalt und Terrorismus übernehmen müssten: "Die richtige Lösung für dieses Dilemma muss aus der Region selbst kommen", sagte er. Die Internationale Gemeinschaft könne lediglich "Unterstützung" leisten. SWP-Experte Posch pflichtet dem iranischen Präsidenten in diesem Punkt bei. Eine Zusammenarbeit der drei Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien und Türkei hält er allerdings aufgrund der völlig unterschiedlichen Interessenslagen insbesondere in Syrien für kaum realisierbar.

US-Außenminister John Kerry sucht Hilfe im Kampf gegen IS beim Golfkooperationsrat (Foto:afp)
US-Außenminister John Kerry sucht auch beim Golfkooperationsrat Hilfe im Kampf gegen ISBild: AFP/Getty Images/Brendan Smialowski

Darüber hinaus sei es bislang noch völlig unklar, wie eine mögliche Rolle des Iran als Ordnungsmacht im Mittleren Osten definiert werden könne. "Soll die Rolle so aussehen wie die der Ordnungsmacht Syrien, die nach ihrem Einmarsch im libanesischen Bürgerkrieg brutal, aber effizient für ein Ende des Blutvergießens gesorgt hat? Dafür ist der Iran militärisch zu schwach." Außerdem hegt der Iran selbst keinerlei Pläne für eine größer angelegte militärische Intervention im Irak. "Die Haltung des Iran im ganzen Konflikt ist unglaublich defensiv", erklärt Walter Posch. "Man hat in Teheran große Sorgen, dass sich im Irak eine Situation herausbilden könnte, in der man am ersten Tag als Befreier begrüßt wird, am zweiten als Okkupant geschmäht und am dritten bekämpft."

"IS wird sich langfristig als politische Kraft etablieren"

Vor diesem Hintergrund ist sich der SWP-Experte sicher, dass sich die politischen Kräfteverhältnisse im Mittleren Osten auf Jahrzehnte hinaus verschoben haben: "Solange dort niemand infanteriemäßig gegen diese Gruppen vorgeht und ihnen alles trockenlegt, ihnen jeden Bunker ausräuchert und jeden Panzer in die Luft jagt, wird es den IS geben. Er funktioniert wirtschaftlich auf einer soliden Grundlage des mafiaartigen Gangstertums, er funktioniert mit einer geschickten Schattenwirtschaft, die vollkommen unter dem Radar der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ist, und er hat unglaublich viel Geld." Zwar unterstütze der Westen jetzt mit den Kurden die einzige ernstzunehmende Gruppe der Region, die gegen den IS kämpft. "Aber den Willen, dass man von westlicher Seite mit Bodentruppen gegen den IS interveniert, sehe ich nirgends", so Posch. Deshalb werde die Welt mindestens "in den nächsten zwei, drei Generationen" mit diesem radikal-fundamentalistischen Quasi-Staat leben müssen, beschwört der SWP-Experte für den Mittleren Osten ein düsteres Zukunftsszenario herauf. "Man muss hoffen, dass diese Gruppierung sich irgendwann einmal von innen heraus normalisiert, und man mit ihnen dann auf politischer Ebene verhandeln kann - was letztendlich auch bedeutet, dass man alle Verbrechen, die sie bisher begangen haben, mehr oder weniger ignorieren wird."

IS-Kämpfer im syrischen Raqqa (Foto:ap)
"Den IS wird es auch in zwei, drei Generationen noch geben", ist SWP-Experte Posch überzeugtBild: picture-alliance/AP Photo