1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Risse im Zweckbündnis gegen Janukowitsch

Roman Goncharenko31. Januar 2014

Proteste gegen den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch zwingen drei Oppositionsparteien zur Zusammenarbeit. Die Allianz ist brüchig. Auf autonome Gruppen haben Politiker wie Vitali Klitschko wenig Einfluss.

https://p.dw.com/p/1B01x
Ukraine Parlamentssitzung 28.01.2014 Klitschko
Bild: Reuters

Als Alexander Moissejenko den Namen "Vitali Klitschko" hört, presst er die Lippen zusammen. Der 35-jährige IT-Fachmann aus Odessa hält nicht viel von dem Anführer der oppositionellen Partei UDAR (Schlag). "Klitschko hat bei uns nichts zu sagen", sagt Moissejenko. Das gilt auch für andere Politiker, so der Sprecher der Bewegung "Spilna Sprawa" (Gemeinsame Sache). "Die Opposition hat ihre Handlungsunfähigkeit bewiesen", meint er.

Moissejenko sitzt in einem Armeezelt auf dem Kiewer Prachtboulevard Chreschtschatik, den oppositionelle Demonstranten seit Dezember besetzt halten. Darin türmen sich Berge gespendeter Kleidung: Pullover, Jacken, Hosen. Bei Temperaturen von unter minus 20 Grad kann man sich nicht warm genug anziehen.

Streit um besetzte Ministerien

"Spilna Sprawa" stand am Anfang der Proteste. "Wir haben die allererste Demonstration angemeldet, als Präsident Viktor Janukowitsch angekündigt hatte, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht zu unterzeichnen", sagt Moissejenko. In Kiew seien einige hundert seiner Leute aktiv. "Auch auf der Hruschewski-Straße", sagt er, ohne Details zu nennen. Dort stehen Demonstranten Polizisten gegenüber. Bei Straßenschlachten gab es Tote.

Zuletzt hatte "Spilna Sprawa" mit Besetzungen von Ministerien auf sich aufmerksam gemacht. UDAR-Anführer Klitschko hatte versucht, das zu verhindern, um die Regierung nicht zu provozieren. Ohne Erfolg. Erst vor wenigen Tagen zogen sich die Aktivisten zurück. Aus dem Agrarministerium wurde "Spilna Sprawa" von der rechtspopulistischen Partei "Swoboda" (Freiheit) vertrieben. Ein Beispiel dafür, dass oppositionelle Demonstranten zwar ein gemeinsames Ziel haben, doch nicht immer an einem Strang ziehen.

Alexander Moissejenko, Sprecher der oppositionellen Vereinigung Spilna Sprawa (Foto: DW)
Alexander Moissejenko von der "Spilna Sprawa"Bild: DW/R. Goncharenko

Die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien sind nur ein Teil der Protestbewegung. Es gibt rund ein Dutzend kleiner Gruppen. Manche sind während des Protests entstanden.

Rechtsextreme als Speerspitze

Um eine von ihnen näher kennenzulernen, muss man zu dem sogenannten "Stab des nationalen Widerstands" im Gewerkschaftshaus am Unabhängigkeitplatz (Maidan) gehen. Auf einer Glastür im vierten Stock hängen Aufkleber wie "Nazi only". Durch die Tür gehen Jugendliche mit vermummten Gesichtern. Sie haben glattrasierte Schädel, tragen Springerstiefel und Militäruniform. Hier haben sich rechtsextreme Aktivisten vom "Prawy Sektor" (Rechter Sektor) einquartiert.

"Wir sind keine Organisation und keine Partei, sondern eine Vereinigung diverser Gruppen", sagt Andrij Tarassenko, ein bärtiger Mann Anfang 40. "Prawy Sektor" sei nach Beginn der Proteste auf der Basis der rechtsextremen Organisation "Trisub" (Dreizack) entstanden. Tarassenko ist stellvertretender Chef von "Trisub". Das Wort "rechtsextrem" will er nicht gebrauchen: "Wir sind Nationalisten, keine Chauvinisten oder Faschisten". Eine rein westukrainische Vereinigung sei "Prawy Sektor" nicht. Die Hälfte spreche sogar Russisch, sagt Tarassenko.

Rechtsextreme Vereinigung Prawy Sektor in Kiew (Foto: DW)
Provokante Parolen am Eingang des "rechten Sektors"Bild: DW/R. Goncharenko

"Prawy Sektor" ist offenbar die Speersitze der gewaltsamen Proteste gegen die Polizei. Man erkennt sie an rot-schwarzen Fahnen. Tarassenko dementiert nicht, dass seine Leute Molotow-Cocktails und Steine auf die Polizei werfen. Es seien ein paar hundert Aktivisten im Einsatz. Überprüfen lässt sich diese Zahl nicht.

Zweckbündnis gegen Janukowitsch

Es gehe dem "Prawy Sektor" weniger um eine Annäherung der Ukraine an die EU, sondern darum, "das Besatzungsregime zu beseitigen". Gemeint ist Präsident Janukowitsch mit seinem prorussischen Kurs. Zusammenarbeit mit Oppositionspolitikern schließt Tarassenko nicht aus. Er und seine Leute würden aber erst dann die Straßenkämpfe einstellen, wenn der Präsident zurücktrete.

Es dürfte für die politische Opposition schwer sein, autonome Gruppen wie "Prawy Sektor" oder "Spilna Sprawa" völlig auf ihre Seite zu ziehen. Dabei sind die Oppositionsführer unter sich alles andere als einig. Vitali Klitschko ist laut Umfragen der beliebteste Oppositionspolitiker und würde gerne als gemeinsamer Kandidat bei der Präsidentschaftswahl 2015 antreten. Doch Arsenij Jaznejuk von der "Vaterland-Partei" und Oleh Tjahnybok von "Swoboda" wollen auch kandidieren.

Andrij Tarassenko, Sprecher der rechtsextremen Vereinigung Prawy Sektor (Foto: DW)
Andrij Tarassenko von der rechtsextremen Vereinigung "Prawy Sektor"Bild: DW/R. Goncharenko

Als Präsident Janukowitsch seinen Gegnern jüngst anbot, Regierungsverantwortung zu übernehmen, zeigten sich Risse im oppositionellen Lager. Jazenjuk ließ erkennen, er wäre bereit, "die Verantwortung zu übernehmen". Es gab Pfiffe aus der Menschenmenge auf dem Maidan. Später ruderte er zurück und lehnte ab.

Mehrheit weder rechtsextrem, noch politisch

Und doch wäre es falsch zu glauben, oppositionelle Proteste in Kiew würden von Rechtsextremen dominiert. Ihre Gesamtzahl dürfte nicht höher als ein paar Tausend sein. Es gibt andere Gruppen, die weniger auffallen. Zum Beispiel die Partei "Demokratische Allianz", in der sich junge Aktivisten gegen Korruption und für eine demokratische und europäische Ukraine engagieren.

Wenn Hunderttausende auf Kiewer Straßen gegen Janukowitsch protestieren, dann sind es meistens parteilose Bürger, die einfach nicht anders können. Viele kommen aus der Mittelschicht. Es sind Menschen wie Wassyl, Ende 40, aus der Westukraine. Er wärmt sich an einer Barrikade in der Hruschewski-Straße. Wassyl findet Klitschko zwar sympathisch, will aber selber entscheiden, was er tut. "Ich werde hier so lange bleiben, bis es Neuwahlen gibt", sagt er.

Oder es sind Schülerinnen wie Maria und Sofia aus Kiew, die auf dem Maidan stehen. "Wir sind gekommen, um die Menschen hier zu unterstützen", sagen sie. Wenn Rechtspopulisten ihren Schlachtruf "Ruhm der Ukraine!" schreien, rufen Maria und Sofia "Ruhm dem Helden!". Dass das der Spruch ukrainischer Nationalisten ist, finden sie nicht schlimm. Es gehe um die "heutigen Helden des Maidan".