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Risiko-Gen für Schizophrenie

Brigitte Osterath15. August 2013

Forscher haben ein Gen gefunden, das Schizophrenie auslösen kann: Wenn es fehlt, steigt die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, dramatisch an. Fündig wurden die Forscher im Hinterland Finnlands.

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A woman suffering from depression and mental illnesses. Foto: KAISA SIREN / LEHTIKUVA
Bild: picture-alliance/dpa

Das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, beträgt normalerweise etwa ein Prozent - rund um den Erdball. Im Nordosten Finnlands aber tritt die psychische Störung dreimal so häufig auf wie anderswo.

In dieser Region - ein beliebtes Skigebiet - gibt es entlegene ländliche Gemeinden, die im 17. Jahrhundert von nur 40 Familien gegründet wurden, sagt Aarno Palotie, Genetiker am Institut für Molekularmedizin Finnland in Helsinki. Alle 20.000 Einwohner, die heute dort leben, gehen auf diese 40 Familien zurück.

"Indem wir dahin gingen, wo die Krankheit besonders häufig vorkommt und der genetische Hintergrund außergewöhnlich ist, hatten wir die einmalige Forschungsgelegenheit, Schizophrenie besser zu verstehen", sagt Palotie im Interview mit der DW.

Er suchte mit seinen Kollegen im Erbgut der dortigen Einwohner nach Genen, die im Vergleich zu anderen Menschen häufig fehlen. Und sie fanden eines: das Gen TOP3β.

Aufgrund des Gens kann der Körper ein Eiweiß mit dem gleichen Namen herstellen. Dieses wirkt auf das Erbgutmaterial in der Zelle ein. Und offensichtlich hat es auch Einfluss darauf, dass sich im Gehirn Fehlstörungen entwickeln. Denn Menschen, denen das Gen und da mit auch das Eiweiß fehlt, erkranken besonders häufig an Schizophrenie - nicht nur in Finnland, sondern weltweit. "Wir hätten dieses Gen nie gefunden, wenn wir Menschen in großen Städten mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund untersucht hätten", sagt Palotie.

Schizophrene Patienten leiden an Halluzinationen und Wahnvorstellungen, Sprache und Denken sind gestört. Wenn die Krankheit früh im Leben diagnostiziert wird und die Patienten sich noch nicht vollkommen in ihre eigene Phantasiewelt zurückgezogen haben, können Medikamente helfen.

Russell Crowe in "A Beautiful Mind"
Der Film "A Beautiful Mind" hat deutlich gemacht, wie eng Genie und Wahnsinn beinander liegen können.Bild: picture-alliance/dpa

Hilfe aus Deutschland

"Wir fragten uns, warum gerade dieses Gen mit Schizophrenie in Verbindung steht", erzählt Palotie. "Und da bekamen wir plötzlich eine E-Mail."

Biochemiker der Universität Würzburg untersuchen das Gen und sein Eiweiß TOP3β bereits seit einiger Zeit. Als sie im Internet von Paloties Entdeckung erfuhren, waren sie begeistert: "Das passte wie die Faust aufs Auge", erzählt Georg Stoll von der Uni Würzburg der DW. "Wir hatten zwar schon eine Ahnung, dass das Gen etwas mit Schizophrenie zu tun hatte, aber dass man es wirklich als Risiko-Gen festmachen konnte, wissen wir erst seit diesem Zeitpunkt."

Die zwei Forschungsteams beschlossen, in Zukunft zusammenzuarbeiten und ihre Daten zu vergleichen. Tatsächlich passte alles perfekt: Wenn das Eiweiß TOP3β in einer Zelle fehlt, steigt die Wahrscheinlichkeit dramatisch, schizophren zu werden.

Ein Mosaikstein im großen Ganzen

TOP3β ist nicht das erste und nicht das einzige Gen, von dem die Wissenschaft weiß, dass es ein Risikofaktor bei der Entstehung der Krankheit ist. Forscher haben bereits mehrere Gene dieser Art entdeckt, sogar eine ganze Ansammlung auf dem Chromosom 22.

Was genau allerdings die biochemische Ursache für die beobachtete Wirkung sein könnte, ist oft unbekannt. Bei TOP3β ist es nicht anders.

Bisher ist nur bekannt, dass das Eiweiß seine Wirkung im Zellkern entfaltet und an der Regulation von Genen beteiligt ist. "Wir haben aber bereits den zellulären Signalweg identifiziert, in dem es aktiv ist", sagt Stoll. "Wir wissen also, wo genau wir suchen müssen."

Die Wissenschaftler planen, als nächstes herauszufinden, was genau in einer Zelle schief geht, wenn das Eiweiß fehlt, und warum diese Vorgänge dann das Krankheitsbild der Schizophrenie auslösen können.

DNA
Viele Gene beeinflussen - gemeinsam oder getrennt voneinander -, ob ein Mensch schizophren wird oder nicht.Bild: Fotolia/majcot

Zwei psychische Störungen sind gekoppelt

Was das Gen außerdem so interessant macht, ist seine direkte Nachbarschaft: Es ist Teil einer größeren Gengruppe. Eines seiner "Partnergene" ist ein Gen namens FMRP - und das hat Einfluss auf eine andere psychische Störung namens fragiles X-Syndrom. Das ist eine geistige Behinderung, die sich unter anderem in Autismus äußert.

Im Spektrum der psychischen Störungen, das Wissenschaftler einst definierten, liegen Schizophrenie und Autismus genau entgegengesetzt. "Wir glauben: Je nachdem, welches der beiden Proteine in der Zelle fehlt, ruft das entweder das eine oder das andere Extrem hervor", sagt Stoll.

Beide Krankheiten wären somit genetisch miteinander gekoppelt und würden daher auch öfters gemeinsam auftreten. Neueste Studien bestätigen diese Theorie, verrät Palotie. "Wir haben bisher unveröffentlichte Daten, die zeigen, dass das fragile X-Syndrom ein Risikofaktor für Schizophrenie ist." Menschen, die am fragilen X-Syndrom leiden, haben also eine hohes Risiko, auch schizophren zu werden.

Mögliches Ziel für Medikamente

Warum ist es überhaupt wichtig zu wissen, welche Gene eine Krankheit beeinflussen? Natürlich könnten Menschen sich jetzt auf diesen Risikofaktor im Erbgut testen lassen. Stoll bezweifelt allerdings, dass das eine gute Idee wäre. Denn wenn das TOP3β-Gen fehlt, heißt das nicht, dass derjenige auch auf jeden Fall schizophren wird.

Viel wichtiger: Das Wissen um die Gene ermöglicht es, neue Medikamente zu entwickeln, beispielsweise eine Substanz, die das fehlende Eiweiß in der Zelle ersetzt.

Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, sagt Stoll: "Ein einzelnes Gen zu finden und seine Funktion zu charakterisieren, ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, aber man kann nicht erwarten, dass wir Schizophrenie jetzt deswegen heilen können."