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Riga: Die singende Kulturhauptstadt

Silke Bartlick18. Januar 2014

Ein Kulturhauptstadtjahr ist eine gute Gelegenheit, auf sich aufmerksam zu machen. Riga freut sich über noch mehr interessierte Besucher. Aber vor allem macht es ein Programm für die eigene Bevölkerung.

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Europäische Kulturhaupstadt 2014 Riga picture-alliance/dpa/Riga 2014/Kaspers Garda"
Bild: picture-alliance/dpa/Riga 2014/Kaspers Garda

Zum Auftakt sind sie auf die Straße gegangen. Für eine Massenaktion, für die Tausende gebraucht wurden. Sie haben eine Menschenkette gebildet, von der alten Nationalbibliothek am Rande der Rigaer Altstadt bis zum markanten Bibliotheks-Neubau am anderen Ufer der Daugava. Und dann reichten sie von Hand zu Hand Bücher weiter. Ein Umzug mit Volksbeteiligung also, der symbolisiert, worum es den Verantwortlichen von Riga 2014 geht: um Veränderung nämlich und darum, dass man Initiative ergreift und gemeinsam etwas bewegt. "Zuallererst", sagt Aiva Rozenberga, die Programmdirektorin des Kulturhauptstadtjahres," ist das ein Jahr für die Bewohner der Stadt". Wenn die enthusiastisch und glücklich seien, dann würde es auch anderen gefallen.

Wenig Geld, große Pläne

Die Kulturhauptstadt Riga muss mit einem sehr überschaubaren Budget auskommen. Für fünf Jahre Vorbereitung und das Jahr selbst stehen gerade einmal 24 Millionen Euro zur Verfügung. Deshalb hat man, anders als frühere europäische Kulturhauptstädte, auf Investitionen in die Infrastruktur verzichtet. Die neue Nationalbibliothek, ein ansteigender Berg aus Glas, wurde bereits in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts geplant – in einer Zeit also, in der es Riga noch richtig gut ging. Denn bis zur Finanzkrise im Jahr 2008 boomten Lettland und seine Hauptstadt. Wenige Monate nach der Lehman-Brothers-Pleite aber brach eine große lettische Bank zusammen. Und damit kam alles ins Rutschen: Lohnsenkungen von mindestens 30 Prozent, Abbau von tausenden Arbeitsplätzen, Rentenkürzungen, Schul- und Krankenhausschließungen. Das kleine Land mit seinen gerade einmal 2,3 Millionen Einwohnern stand am Abgrund.

Neue Nationalbibliothek Riga Copyright: imago/imagebroker
Blick auf Rigas neue NationalbibliothekBild: imago/imagebroker

Viele sind seitdem ausgewandert, andere trauern nun doch wieder den Sowjetzeiten nach, als es "so etwas" nicht gab, als alle Arbeit hatten und der Staat sich kümmerte. Proteste gab es kaum, jeder versucht für sich durchzukommen. "Vom Wesen her sind die Letten Einzelkämpfer", sagt Anna Muhka, bei der Stiftung Riga 2014 zuständig für die ausländischen Medien. Dass es auch anders geht, soll den Rigaern im Laufe des nächsten Jahres wieder nahe gebracht werden. Spielerisch, mit den Mitteln der Kultur.

Ein singendes Volk

Kultur beinhaltet in Lettland auch immer Musik. Denn die Letten singen gerne. "Wir singen von der Wiege bis zum Grab", sagt Anna Muhka. Zu jeder Jahreszeit und seit Generationen. "Wir waren ja Landarbeiter, erst für den deutschen Herrn, später für uns selbst". Und man wisse doch, dass das Singen sehr oft helfe bei physischer Arbeit. Und nicht nur dann. In der Zeit der sowjetischen Besatzung stärkten Feste, bei denen vor allem lettische Volkslieder, die sogenannten "Dainas", gesungen wurden, die nationale Identität. Daraus, erinnert Anna Muhka, sei dann sogar die "singende Revolution" geworden.

Lettland Sängerfestival in Riga Copyright: Latvian National Centre fo Culture/A. Liepins".
Traditonelles Sängerfest in RigaBild: Latvian National Centre fo Culture/A. Liepins

Im Sommer 2014, bei den World Choir Games, sollen 20.000 Sänger aus fast 90 Ländern die Plätze und Straßen Rigas mit Gesang erfüllen. Während des ganzen Jahres werden Weltstars der Musik, die wie Mariss Jansons, Elina Garanca oder Gidon Kremer in Riga geboren wurden, eine Reihe von Konzerten geben. Und bereits am Eröffnungswochenende im Januar feierte die Lettische Nationaloper die Premiere der multimedialen Inszenierung von Richard Wagners Oper "Rienzi". Mit deren Komposition hatte der Deutsche in seiner Zeit als Kapellmeister in Riga (1837 bis 1839) begonnen.

Blick zurück nach vorn

Insgesamt stehen rund 200 Kulturprojekte und Veranstaltungen auf dem Programm von Riga 2014. Nicht wenige von ihnen beleuchten schlaglichtartig europäische wie lettische Geschichte. Den direkten Bogen von der Vergangenheit in Gegenwart und Zukunft schlägt dabei das Projekt "Bernsteinstraße". Denn es gibt nicht nur Einblicke in die kulturelle Bedeutung der ersten Währung des Baltikums, sondern fragt auch, was heute entlang der alten Bernsteinstraße, die einmal bis nach Rom und ans Schwarze Meer führte, ausgetauscht wird. Und was die Zukunft bringt. Denn mit Jahresbeginn wurde in Lettland der Euro eingeführt.

Bernstein, Souvenir mit Tradition Copyright: Silke Bartilick/DW
Bernstein, Souvenir mit TraditionBild: DW/S. Bartlick

Mit dem Start zum Kulturhauptstadtjahr eröffnet im Nationalen Lettischen Kunstmuseum die Ausstellung "1914". Wir fanden, sagt Programmchefin Aiva Rozenberga, dass "der Beginn des Ersten Weltkriegs in unserem Programm vorkommen müsste". Freilich mit einem ungewöhnlichen Zugang. Der Fokus der Ausstellung liegt nämlich auf Positionen von Künstlern, die aus jenen elf Ländern stammen, die erst nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurden - Ländern wie Lettland. Dass dessen Geschichte im 20. Jahrhundert durch diverse Tiefen führte, ist hinlänglich bekannt. 2014 öffnet die Kulturhauptstadt Riga nun eine Tür zum dunkelsten Kapitel der Geschichte des Landes. Das Gebäude des ehemaligen Komitees für Staatssicherheit (KGB), einst ein Ort des Schreckens und der Einschüchterung, soll ab Mai für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Zukunft gestalten

Wenn Aiva Rozenberga, die Programmdirektorin des Kulturhauptstadtjahres, von 2014 spricht, dann am allerliebsten über die kleinen Projekte. Über die dezentralen, die mit geringen Mitteln viel in Bewegung setzen könnten. "Manchmal sind diese Projekte so klein, dass Sie im Westen darüber vielleicht nur lächeln", sagt Anna Muhka. Aber für Riga seien sie sehr wichtig.

Ein begrünter Hof für die Gemeinschaft Copyright: Silke Bartilick/DW
Ein begrünter Hof für die GemeinschaftBild: DW/S. Bartlick

Und dann erzählt sie von dem Hof inmitten einiger einfacher Wohnblocks, den die Anwohner mit professioneller Unterstützung begrünt haben. In dem Kinder nun einen Spielplatz und Erwachsene einen Treffpunkt haben. Wo eine Gemeinschaft wächst mit Interesse am anderen. Und wo die Anwohner staunen, wie viel ein Tag gemeinsamer Arbeit verändern kann. "Kultur", sagt Aiva Rozenberga, "fängt innen drin an, in deinem Herzen". Man darf gespannt sein auf dieses Jahr in Riga!