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Quo vadis Vietnam?

Rodion Ebbighausen4. Februar 2013

22 Mitglieder einer religiösen Vereinigung wurden in Vietnam zu hohen Haftstrafen verurteilt. Der Fall zeigt: Die Spannungen im Land wachsen und die Regierung setzt zunehmend auf Repression.

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Hohe Haftstrafen für Phan Van Thu (rechts, stehend) und seine Gruppe (Foto: AFP)
Vietnam lange Haftstrafen für 22 Aktivisten in Phu YenBild: Vietnam News Agency/AFP/Getty Images

"Das Urteil ist schockierend und übertrifft alle Befürchtungen." Phil Robertson ist die Empörung beim Interview mit der DW anzuhören. Der Direktor von Human Rights Watch in Asien hält die Haftstrafen, die ein Gericht in der zentralvietnamesischen Provinz (04.02.2013) gegen 22 Angehörige einer politisch-religiösen Vereinigung verhängt hat, für vollkommen unangemessen.

Der Führer der Gruppe wurde zu 21 Jahren Gefängnis, weitere Mitglieder zu zehn bis 17 Jahren verurteilt. Die Anklage lautet: Verunglimpfung der Regierung und Untergrabung der Staatsgewalt. Die Gruppe, die laut der vietnamesischen Nachrichtenagentur AVI rund 300 Mitglieder hat, ist in den 60er Jahren gegründet worden und seit 1975 verboten. Es ist nicht ganz klar, welche Ziele sie verfolgt, ob es sich in erster Linie um eine buddhistisch-religiöse, eine politische Vereinigung oder um Umweltschützer handelt. Nur in einem Punkt sind sich die vietnamesischen Staatsmedien einig: Die Gruppe verfolgt ihre Ziele gewaltfrei. Angesichts dieser Tatsache erscheinen die hohen Haftstrafen nicht nachvollziehbar. "Es ist schwer zu sagen, worum es in dem Prozess wirklich ging, da er vollkommen intransparent war."

Repression weitet sich aus

Robertson verweist deswegen ähnlich wie Gerhard Will von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin auch auf den exemplarischen Charakter der Verurteilung. "Ein hohes Strafmaß ist immer auch eine Warnung an alle andere", sagt Will. Er vermutet außerdem, dass die vietnamesische Regierung eine international vergleichsweise unbekannte und wenig vernetzte Gruppe drakonisch bestraft, um ein innenpolitisches Signal zu senden, ohne befürchten zu müssen, ein allzu großes internationales Echo zu erzeugen. Die Warnung ans Inland besagt: Wir haben die Kontrolle und bestrafen jeden, der eine abweichende Meinung äußert.

Polizisten stehen vor Sloagans der Kommunistischen Partei (Foto: AFP/Getty Images, HOANG DINH Nam)
Teile der Partei setzen auf eine leninistische PolitikBild: AFP/Getty Images

Sowohl Robertson als auch Will sehen in dem aktuellen Fall eine Fortsetzung der seit ein bis zwei Jahren zunehmend restriktiven Politik in Vietnam. "Die Repression wird systematischer und umfassender", so Robertson. Erst im Januar waren 14 Dissidenten, unter ihnen Katholiken, Blogger, Studenten und Bauern, mit der gleichen Begründung wie im jetzigen Fall zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.

Ursache der Repression sind wachsende Spannungen innerhalb der vietnamesischen Gesellschaft, die vor allem auf die schwierige Wirtschaftslage des einstigen Boomlandes zurückzuführen sind. Die Legitimität der Regierung beruhte in den letzten Jahren auf einem einfachen Deal: "Wir geben euch wirtschaftliches Wachstum und verbessern euren Lebensstandard. Dafür beanspruchen wir die politische Alleinherrschaft. Aber der Kompromiss, auf den sich das Land lange gestützt hat, ist zerbrochen", sagt Will. "Die ökonomische Krise und die Hyperinflation machen die Regierung nervös", so Robertson.

Fraktionen im politischen Establishment

Widerspruch kommt nicht mehr ausschließlich von oppositionellen Gruppen, sondern auch vom politischen Establishment. Am 19. Januar unterzeichneten 72 vietnamesische Intellektuelle und ehemalige hochrangige Politiker wie der frühere Justizminister Nguyen Dinh Loc und der frühere Minister für Wissenschaft und Technik Nguyen Quang A eine Petition, die eine Veränderung der Verfassung fordert. Die Unterzeichner verlangen unter anderem die Verankerung der Menschenrechte, die Einführung der Gewaltenteilung und die Verpflichtung der Armee, das Land zu schützen. Bislang ist es die Aufgabe der Armee zuerst die Kommunistische Partei und dann das Land zu schützen.

Vietnamesische Nationalversammlung in Hanoi (Foto: dpa)
Die vietnamesische Regierung ist weniger geschlossen als es die Sitzordnung in der Nationalversammlung suggeriertBild: picture alliance/dpa

Die Initiative für das Nachdenken über eine neue Verfassung ist von der Regierung selbst ausgegangen, die in einem dreimonatigen Referendum die Meinung der Bürger erbeten hat. Das zeige, so der Asienexperte Will, "dass die Regierung nicht monolithisch ist, dass es da verschiedene Fraktionen gibt." Diese Fraktionen vertreten unterschiedliche Ansichten darüber, wie das Land aus der Krise zu führen ist.

Während die Unterzeichner der Petition auf Veränderung und Öffnung des Landes setzen, ist der leninistische Flügel der Regierung für die Ausweitung der staatlichen Kontrolle durch ein rigoroses Vorgehen von Polizei und Justiz. "Ich habe den Eindruck, dass es starke Kräfte in der Partei gibt, die ganz klar auf die Karte der Repression setzen. Diese Fraktion ist sehr viel stärker, als sie es noch vor ein oder zwei Jahren war." Das gerade in Phu Yen vollstreckte Urteil ist dafür ein Beleg.