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Reha-Zentrum für syrische Flüchtlinge in Jordanien

Martina Sabra 9. April 2014

Fünf Exil-Syrerinnen haben in der jordanischen Hauptstadt Amman ein Rehabilitationszentrum gegründet, in dem Flüchtlinge aus ihrer Heimat behandelt werden. Sie bieten ihnen medizinische Hilfe - und einen Neuanfang.

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Patientinnen des Reha-Zentrums in Amman (Foto: Syrian Women Across Borders)
Bild: Syrian Women Across Borders

Ein gepflegtes Mehrfamilienhaus in einer ruhigen Seitenstraße von Amman: Hier befindet sich das medizinisch-psychologische Rehabilitationszentrum der Nichtregierungsorganisation "Syrian Women Across Borders". Es ist zwei Uhr nachmittags, Mittagspause für die stationären Patienten. Die sieben Frauen in der oberen Etage haben schon gegessen. Unten, in der Küche der Männerabteilung, duftet es appetitlich nach gefüllten Weinblättern, einem typisch syrischen Festtagsgericht. Für 18 Männer und Jungen wird hier täglich gekocht. Pflegebedürftige Patienten bekommen das Essen am Krankenbett. Diejenigen, die am langen Esstisch aus hellem Holz sitzen, sind mobil - per Rollstuhl oder Rollator, auf Krücken, manche auch wieder auf den eigenen Beinen. Selbstverständlich ist das nicht.

Der 21-jährige Student Marwan aus Deraa musste das Laufen erst wieder lernen, als er hierher kam. Im August 2013 löschte ein Panzerangriff seine halbe Familie aus. "Es war frühmorgens. Wir waren schon in ein anderes Haus gezogen, wo es sicherer war. Eigentlich wollten wir aus unserem alten Haus nur noch ein paar Sachen holen. Wir wollten gerade hineingehen." Marwans Mutter und sein zehnjähriger Bruder waren auf der Stelle tot. Eine Schwester war verletzt. Marwan selbst war schwer getroffen: "Ich hatte überall Splitter: In den Beinen, im Bauch, im Hals. Jemand hat versucht, meine Mutter zu retten. Aber auch er wurde getroffen und war sofort tot." Marwan überlebte, obwohl seine Oberschenkelarterie gerissen war. Als der Angriff endlich vorbei war, packten Helfer den Schwerstverletzten in ein Taxi und fuhren ihn ins nächste Feldkrankenhaus. Doch dort gab es weder schmerzstillende Medikamente noch Narkosemittel für eine Operation.

"Patienten sollen sich geborgen fühlen"

Die Helfer beschlossen, Marwan über die Grenze ins benachbarte Jordanien zu bringen. Bei brütender Hitze ging es nach Amman. Dort konnte Marwan spätabends operiert werden. "Bis dahin war ich die ganze Zeit bei Bewusstsein, vierzehn Stunden lang", erinnert er sich. Als Marwan endlich in den Operationssaal geschoben wurde, war ein Wadenmuskel wegen mangelnder Durchblutung abgestorben. Kompetente Ärzte schafften es, das Bein zu retten. Doch neue Probleme fingen damit erst an: Wie sollte die Familie die teure Rehabilitation finanzieren? Er bekam einen Platz im Reha-Zentrum von "Syrian Women Across Borders". Ausgebildete Physiotherapeuten, Krankenpfleger, Psychologen und ein plastischer Chirurg behandeln hier insgesamt 25 stationäre und 15 ambulante Patienten. Alle Kosten - Behandlung, Aufenthalt, Medikamente, medizinische Hilfsmittel und Fahrten - werden vom Zentrum übernommen. Finanziert wird die Initiative ausschließlich durch private Spenden.

Ein Patient des Reha-Zentrums für syrische Flüchtlinge in Amman mit einer Bein-Prothese beim Sport (Foto: Syrian Women Across Borders)
Sport trotz Bein-Prothese: Ein syrischer Flüchtling im Reha-ZentrumBild: Syrian Women Across Borders

Marwan wird voraussichtlich ein Jahr lang im Zentrum bleiben. Er ist in Sicherheit, der Heilungsprozess verläuft bislang gut. Doch seine Mutter und seinen kleinen Bruder kann ihm niemand zurückbringen. Nachts quälen ihn Albträume, tagsüber hat er oft Kopfschmerzen, möchte nur ins Bett, die Decke über den Kopf ziehen. So ähnlich geht es vielen Überlebenden des Krieges in Syrien. Deshalb sei es wichtig, den Patienten mehr als Physiotherapie anzubieten, sagt Samaara Atassi. Die 31-jährige Apothekerin ist selbst aus Syrien geflohen. Gemeinsam mit vier syrischen Freundinnen hat sie die Nichtregierungsorganisation "Syrian Women Across Borders" gegründet und das Zentrum aufgebaut. "Bei uns ist die Atmosphäre sehr wichtig. Wir wollen, dass sich die Patienten hier geborgen fühlen", so Samaara Atassi. "Wir signalisieren ihnen: Wir sind eine Familie. Eure Verletzungen sind unsere Verletzungen."

Ein Drittel der syrischen Flüchtlinge verletzt oder chronisch krank

Die meisten Patienten im Reha-Zentrum sind Zivilisten, nur wenige wurden bei militärischen Gefechten verletzt. Doch egal, woher die Verletzung kommt: Da Syriens medizinische Infrastruktur weitgehend zerstört ist, gibt es in weiten Teilen des Landes keine ausreichende Erstversorgung. So kommt es zu überdurchschnittlich vielen Amputationen und Lähmungen. Laut aktuellen Berichten der Nichtregierungsorganisation "Handicap International" (HI) müssen zurzeit rund 60.000 syrische Flüchtlinge in Jordanien und im Libanon mit dauerhaften körperlichen Einschränkungen rechnen. Mehr als 30 Prozent aller Syrien-Flüchtlinge hält HI für schutzbedürftig aufgrund von Verletzungen, Behinderungen oder chronischen Krankheiten.

Syrische Luftwaffe bombardiert Aleppo Zivilisten sterben durch Fassbomben (Foto: AFP)
Krieg und Zerstörung in Syrien: Viele der Patienten haben AlbträumeBild: Getty Images

Das stellt nicht nur die Aufnahmegemeinschaften und die internationalen Hilfsorganisationen vor Probleme. Das Ausmaß der Verletzungen sei auch eine Herausforderung für die syrische Gesellschaft, sagt Samaara Atassi: "Wir sind Menschen wie sie, und sie sind wie wir. Sie hatten Pech, und wir haben kein Recht, auf sie herabzusehen. Wir müssen in Zukunft dafür sorgen, dass die Gesellschaft allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht." Nicht Mitleid und Almosen, sondern Empathie, Respekt und Rechte: Das wünscht sich auch Marwan. Er hat angefangen, sein Englisch zu verbessern. Sobald er die Rehabilitation beendet hat, will er sein Studium wieder aufnehmen und danach als Ingenieur arbeiten.