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Reiche Süddeutsche und der arme Rest

Bernd Gräßler19. Dezember 2013

Die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland wächst. Am schnellsten im Ruhrgebiet, stellt der Paritätische Wohlfahrtsverband fest. Die "Amerikanisierung" des Arbeitsmarktes sei eine Ursache.

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Blumen vor einer Abraumhalde, im Hintergrund ein Schornstein (Foto: Archiv)
Bild: Jochen Beier/EMSCHERKUNST

Deutschland erlebe eine Spaltung in Wohlfahrts- und Armutsregionen, warnt der in Berlin vorgestellte Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes, des Spitzenverbandes der Freien Wohlfahrtspflege. Baden-Württemberg und Bayern setzten sich als Bundesländer mit der geringsten Armutsquote immer weiter von den anderen Ländern ab, stellte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider, fest. Andere Regionen gerieten in Abwärtsspiralen aus zunehmender Armut und wegbrechender Wirtschaftskraft. Am schnellsten gehe es seit Jahren im Ruhrgebiet abwärts, dem größten deutschen Ballungsgebiet mit über fünf Millionen Einwohnern. In Städten wie Dortmund und Duisburg müssten immer mehr öffentliche soziale Einrichtungen, Jugendzentren, Seniorenclubs geschlossen und die Öffnungszeiten von Schwimmbädern und Bibliotheken eingeschränkt werden. Die absoluten Armutsquoten liegen allerdings mit über 20 Prozent im Stadtstaat Bremen und den ostdeutschen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt am höchsten. "Wir steuern geradezu auf die soziale Verödung ganzer Regionen zu" heißt es in dem Bericht, der sich unter anderem auf die jüngste Haushaltsbefragung des Statistischen Bundesamtes (Mikrozensus) stützt.

Insgesamt hat die Armutsquote in Deutschland ein neues Rekordhoch von 15,2 Prozent erreicht. In Europa liegt Deutschland damit statistisch auf einem Mittelplatz. Als arm gelten in der EU all jene Menschen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. In Deutschland sind dies 869 Euro für einen Single-Haushalt und 1.826 Euro für ein Paar mit zwei Kindern.

"Solidarische Steuererhöhungen" gefordert

Der aktuelle Anstieg der Armut in Deutschland geht einher mit sinkenden Arbeitslosenquoten. Dies sei "ein deutlicher Fingerzeig auf die immer stärker werdende Amerikanisierung unseres Arbeitsmarktes", sagte Schneider. Dazu gehöre die Ausdehnung des Niedriglohnsektors, der Rückgang an Vollbeschäftigung und die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse in den letzten zehn Jahren.

Schneider lobte die Vorhaben der neuen Bundesregierung, Mindestlöhne einzuführen und die Leiharbeit zu reduzieren. Allerdings sei zu wenig geplant, um die soziale Verödung von Regionen zu bekämpfen. Die versprochene Entlastung der Kommunen von rund fünf Milliarden Euro sei nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Die Wohlfahrtsverbände fordern bessere Programme für benachteiligte Kinder, Langzeitarbeitslose und die ganztägige Schulbetreuung. Alle diese Punkte seien aus Kostengründen wieder aus dem Entwurf des Koalitionsvertrages von Union und SPD gestrichen worden, kritisierte Schneider. Wer wirklich Zukunft gestalten wolle, komme um solidarische Steuererhöhungen und die stärkere Belastung sehr hoher Vermögen und Einkommen nicht herum.