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Krise in Bulgarien

Alexander Andreev30. Juni 2014

Regierungskrise in Bulgarien: Das Parlament soll aufgelöst werden, Neuwahlen sind vorgesehen. Gleichzeitig wird das Land von einer Bankenkrise erschüttert.

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Schlange vor der Filiale der First Investment Bank in Sofia, Bulgarien (Foto: EPA/STRINGER)
Erschüttertes Vertrauen der Sparer - Schlange vor der Filiale der First Investment Bank in Sofia, BulgarienBild: Reuters

Die Minderheitsregierung von Plamen Orescharski, die von der Sozialistischen Partei BSP und von der Partei der türkischsprachigen Minderheit DPS getragen wird, ist bereits seit der Schlappe der Sozialisten bei der Europawahl im Mai schwer angeschlagen. Nach dem bevorstehenden Rücktritt des Kabinetts bis Ende Juli soll das Parlament am 06. August 2014 aufgelöst werden. Bis zu den für den 05. Oktober angesetzten Neuwahlen soll ein Übergangskabinett die Regierungsgeschäfte leiten. Meinungsforscher gehen von einem klaren Sieg der bürgerlichen Partei GERB von Ex-Premierminister Boiko Borissov aus.

Vor diesem politischen Hintergrund ist das Bankensystem in Bulgarien in Schwierigkeiten geraten. Nachdem Mitte Juni die viertgrößte Bank KTB (Corporate Commercial Bank) unter Druck geraten und vorübergehend unter staatlicher Kontrolle gestellt worden ist, wackelt zurzeit auch die drittgrößte Bank PIB (First Investment Bank). Kleinanleger ziehen panisch ihre Ersparnisse ab, auch Großinvestoren und Staatsfirmen versuchen, ihre Anlagen in Sicherheit zu bringen. Allein am 28. Juni hat die PIB die für bulgarische Verhältnisse enorme Summe von 400 Millionen Euro an ihre Kunden ausgezahlt.

Banken als Opfer der Politik

Die Gründe für diese Entwicklung sind aber nicht in erster Linie in einer schlechten Finanzpolitik zu suchen. Im Gespräch mit der Deutschen Welle erklärt der politische Beobachter Kantscho Stoitschev die Situation so: "Das hervorragend kapitalisierte und stabile Bankensystem in Bulgarien wurde Opfer dunkler politischer Machenschaften, die mit wirtschaftlichen Interessen zusammenhängen."

Gemeint ist vor allem die Rolle des 33-jährigen DPS-Politikers Delian Peevski, der kürzlich zum EU-Abgeordneten gewählt worden ist. Peevski, der mit seiner Mutter Iren Krasteva jahrelang eine beherrschende Rolle auf dem bulgarischen Medienmarkt spielte, wurde vor einem Jahr von der Regierung Orescharski als Chef der Geheimdienste nominiert. Da er aber wegen undurchsichtiger Geschäfte als "Oligarch" verhasst ist, löste seine Nominierung Massenproteste aus. Den Posten bekam er letztendlich nicht und zerstritt sich Monate später mit seinem Ziehvater, dem Chef der KTB Zvetan Vassilev. Anfang Juni überschütteten sich beide mit Anschuldigungen wegen angeblicher Morddrohungen. Der Skandal destabilisierte die KTB und bedroht gerade das gesamte Bankensystem.

Bulgariens Premierminister Plamen Orescharski (Foto: REUTERS/Stoyan Nenov)
Bulgariens Premierminister Plamen Orescharski muss seinen Platz räumenBild: Reuters

Stabile Finanzen

Bulgarien ist zwar Mitglied der EU, gehört aber nicht zur Eurozone. Trotzdem ist seine Landeswährung Lew über ein so genanntes "Currency Board" an den Euro gekoppelt. Der US-amerikanische Finanzexperte Steve Hanke, der als "Vater" des bulgarischen Currency Boards gilt, erklärte erst kürzlich in einem Fernsehinterview, dass die Finanzstabilität des Landes nicht gefährdet sei.

Ohne Currency Board würde Bulgarien allerdings bald in die Lage Griechenlands geraten, so Hanke. Finanzexperten behaupten, der Currency Board verfüge über Reserven von 14 Milliarden Euro und könne ohne weiteres eine Panik auf dem Finanzmarkt in den Griff bekommen. Außerdem will auch die EU dem bulgarischen Bankensystem mit einem milliardenschweren Notkredit unter die Arme greifen. Die EU-Kommission teilte am Montag (30.06.2014) mit, man werde der Bitte Bulgariens nach Verlängerung einer Kreditlinie über umgerechnet rund 1,7 Milliarden Euro nachkommen.

Oligarchen ziehen die Fäden

Über den Zusammenhang zwischen politischer Krise und Bankenkrise wird zurzeit in Bulgarien heftig spekuliert. Der Analyst Stoitschev meint, die chronische Instabilität der Gesellschaft werde absichtlich erzeugt, um ein "System dunkler Abhängigkeiten aufrechtzuerhalten". Auch Steve Hanke sieht die Korruption als Bulgariens Achillesferse: "Es gibt in Bulgarien viele korrupte Leute, die man vom Bankensystem nicht fernhalten kann", so Hanke. Es gehe vor allem um "faule Kredite", die nicht mehr bedient werden, meinen zwei weitere Wirtschaftsexperten. Im Gespräch mit der DW äußern Professor Nansen Behar und Krassen Stantschev, dass hinter den Turbulenzen "gewisse große Kreditnehmer" stehen würden, die auf einen Bankencrash spekulierten, um ihre Schulden "verbrennen" zu lassen.

Deswegen appellieren gegenwärtig die meisten bulgarischen Politiker und Finanzexperten an die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren und ihr Geld in den Bankhäusern nicht anzutasten. Bei einem Krisentreffen bei Staatspräsident Rossen Plevneliev am Sonntag (29.06.2014) beteuerten alle bulgarischen Spitzenpolitiker, dass das Bankensystem und die Währung stabil seien. Bei demselben Treffen wurden auch die Termine für Parlamentsauflösung und Neuwahl festgesetzt.

Delian Peevski, Politiker aus Bulgarien (Foto: DW)
Einer der bulgarischen "Oligarchen" - Delian PeevskiBild: BGNES

Nach den Worten des deutschen Ex-Diplomaten und Bulgarien-Kenners Klaus Schrameyer sei momentan im Land kaum jemand an einer Stabilisierung interessiert: "Alle wollen nur ihren Anteil am Kuchen der Macht sichern." Zurzeit herrsche in Bulgarien Chaos, so Schrameyer, der eine pessimistische Prognose wagt: "Auch nach den vorgezogenen Wahlen werden die Probleme nicht gelöst, weil die Oligarchen wieder an die Macht kommen werden - die gleichen wie bisher - oder andere."

Bis zur Auflösung des Parlaments bleibt das Kabinett von Plamen Orescharski im Amt, danach wird der Staatspräsident eine Übergangsregierung einsetzen.