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Bulgaren stimmen über AKW ab

Alexander Andreev27. Januar 2013

Rund 6,5 Millionen Wähler können heute per Referendum über den Ausbau der Atomenergie in Bulgarien entscheiden. Beobachter sehen darin ein Kräftemessen der beiden größten Parteien kurz vor den Wahlen.

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Ansicht der Baustelle am Atomkraftwerk Belene in Bulgarien (Foto: AP)
Bild: PETAR PETROV/AP/dapd

Ob das Ergebnis des ersten Referendums in der post-kommunistischen Geschichte Bulgariens überhaupt gültig sein wird, wird immer unwahrscheinlicher: Laut Gesetz darf die Beteiligung beim Referendum nicht deutlich niedriger sein als bei der vergangenen Parlamentswahl - für dieses Referendum bedeutet das eine Mindestwahlbeteiligung von 60,2 Prozent.

Aktuelle Umfragen gehen davon aus, dass die Mehrheit der Bulgaren für den Ausbau der Atomenergie stimmen würde. Bei eisiger Kälte und viel Neuschnee am Wahlsonntag zeichnet sich jedoch ein extrem niedriges Wählerinteresse ab. Die Beteiligung lag um 13.00 Uhr Ortszeit bei gut neun Prozent, wie die Zentrale Wahlkommission (ZIK) in Sofia mitteilte. Bereits im Vorfeld der Wahl hatten die Meinungsforschungsinstitute eine sehr viel niedrigere Wahlbeteiligung als 60 Prozent vorausgesagt - und damit ein Scheitern des Referendums.

Die Frage, über die entschieden werden soll, lautet wörtlich: "Soll die Atomenergie in Bulgarien durch den Bau eines neuen Atomkraftwerks weiterentwickelt werden?" Vor dem Referendum gab es jahrelange Diskussionen: Bulgarien hatte sich vor seinem EU-Beitritt 2007 unter dem Druck der EU-Kommission dazu entschieden, vier der insgesamt sechs Blöcke des AKW Kosloduj an der Donau zu schließen. Die Blöcke sowjetischer Bauart wurden als veraltet und gefährlich eingestuft.

Verschwendung öffentlicher Gelder?

2008 vereinbarte die damalige sozialistische Regierung Bulgariens mit dem russischen Staatskonzern Atomstrojexport ein Projekt zum Bau eines neuen Kernkraftwerks in Belene, ebenfalls an der Donau. Anfangs war auch der deutsche Konzern RWE bei dem Projekt dabei, doch RWE zog sich zurück, als die vorgesehenen Kosten explosionsartig auf rund 11 Milliarden Euro gestiegen waren. Die heutige konservative Regierung Bulgariens hat das Projekt Belene vorerst aufgegeben - daraufhin reichte Atomstrojexport eine Schadensersatzklage in Höhe von einer Milliarde Euro beim Internationalen Schiedsgerichtshof ein. Inzwischen ist es den Sozialisten, die ursprünglich das Projekt Belene gestartet hatten, gelungen, die notwendigen 500.000 Unterschriften zu sammeln, um ein Referendum zu organisieren.

Eine solche Volksbefragung mit unklarem Ziel sei aber nur eine Verschwendung von öffentlichen Geldern, meint Marco Arndt, Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sofia. Denn die Frage, die ursprünglich nur dem Bau des AKW Belene galt, ist von der Regierungsmehrheit aus parteitaktischen Gründen im Parlament umgeschrieben worden. Und viele Bulgaren wissen nicht mehr, welche Folgen ihr "Ja" oder "Nein" haben könne. Marco Arndt fügt hinzu: "Für die verantwortungsvollen Entscheidungen sind die Parlamente da. Ich glaube nicht, dass die Lösung in einem selbst für Fachleute so komplizierten Sachverhalt mit Hilfe einer Volksbefragung gefunden werden kann."

Dass beim Referendum nicht explizit nach dem Projekt Belene gefragt wird, sondern nach der Weiterentwicklung der Atomenergie, hat für den konservativen Premier Bojko Borissow mehrere Vorteile: Erstens, weil er sich selbst nach langen Diskussionen über die Atomenergiefrage neulich für den Ausbau des alten AKW in Kosloduj ausgesprochen hat. Daher könnte ein "Ja" bei der Volksabstimmung nicht nur als Zustimmung zum Projekt Belene, sondern auch - ganz im Sinne der Regierung - als Zustimmung für das AKW Kosloduj interpretiert werden. Zweitens: Die oppositionellen Sozialisten, die das Referendum initiiert haben, können es selbst bei einem klaren "Ja" nicht als eindeutigen politischen Sieg kurz vor den Parlamentswahlen im Juli präsentieren, weil sich die Konservativen auch als Befürworter eines AKW-Projekts positionieren, wenn auch eines anderen.

Eine Regenschirm mit Anti-Atom-Symbolen auf einer Anti-AKW Demonstration in Sofia (Foto: dapd)
Anti-AKW Proteste in BulgarienBild: Valentina Petrova/AP/dapd

Machtkampf zwischen zwei Parteien

Zudem gehen Beobachter in Sofia davon aus, dass Borissow für Kosloduj schon einen möglichen US-Investor im Blick hat. Damit hängt auch eine geostrategische Frage zusammen: Will sich Bulgarien im Bereich Energie in Richtung USA oder Russland orientieren? Noch ist die Abhängigkeit von Russland im Energiesektor sehr groß: Bei allen anderen Energieprojekten - vor allem beim Bau der Pipeline South Stream - ist Bulgarien auf Russland angewiesen. "Das Referendum kann das entscheidende Problem, dass die bulgarische Wirtschaft in Sachen Energie einseitig von Russland abhängig ist, gar nicht lösen", gibt der Politikwissenschaftler Parvan Simeonov zu bedenken.

Porträt des bulgarischen Politologen Ognyan Minchev (Foto: privat)
Der bulgarische Politologe Ognyan MinchevBild: O. Minchev

Konservative und Sozialisten gehen davon aus, dass die Mehrheit der im EU-Vergleich sehr armen Bulgaren am 27. Januar für den Atomstrom stimmt, weil er günstig ist. Gegen die Atomkraftwerke im von Erdbeben gefährdeten Gebiet an der Donau sind nur Umweltaktivisten und zwei kleinere Mitte-Rechts-Parteien.

Entscheidend wird wohl die Wahlbeteiligung sein - und die meisten Wähler dürften zu Hause bleiben, meint der bulgarische Politologe Ognyan Mintschev. Der Durchschnittsbulgare habe schon begriffen, dass es sich beim Referendum um ein Kräftemessen zwischen den beiden großen Parteien handelt. Der Experte fügt hinzu: "Man könnte die Bulgaren ja auch über weitere Fragen entscheiden lassen, zum Beispiel: Wollen Sie einen Mindestlohn von 1000 Euro und jedes Jahr Urlaub in der Karibik?"