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Rechtsradikale Gewalt in Ost und West

Wolfgang Dick23. April 2012

Die Häufigkeit von Delikten mit rechtsextremen Hintergrund hat sich in Ost- und Westdeutschland angeglichen. Ostdeutsche Neonazis werden jedoch nach wie vor als brutaler empfunden.

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Bild: picture-alliance/dpa

Registrierten das Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz noch im Jahr 2006 doppelt so viele rechtsextreme Straftaten in Ostdeutschland, ist nunmehr die Anzahl in alten und neuen Bundesländern nahezu gleich.

Und auch "was die Härte der Vorfälle angeht, gibt es zwischen Ost- und Westdeutschland kaum noch Unterschiede", bestätigt ein Sprecher vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Von mehreren Tausend Delikten wie etwa Sachbeschädigung zählen rund 500 als extreme Gewalttaten, darunter schwere Körperverletzung, Totschlag und Mord.

Generell wird die Gewaltbereitschaft ostdeutscher Rechtsextremer von Experten aber immer noch höher eingeschätzt: "Da gibt es großes Angstpotential", sagt Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung. "Rechtsradikale sorgen für eine Atmosphäre des Hasses."

Auch der Ausstiegshelfer für Rechtsradikale Fabian Wichmann kennt die Szene gut: "Vor allem im Osten wird mit Möglichkeiten der Abgrenzung zu Menschen mit Migrationshintergrund gearbeitet", erklärt er. Das trage zu einer als feindlich empfundenen Umgebung bei.

Rechtsextremismus beeinflusst Wohnortwahl von Migranten

Politikwissenschaftler wie Armin Pfahl-Traughber und Richard Stöss begründen dies vor allem mit der Altersstruktur: So überwiege in Ostdeutschland die Anzahl jüngerer Männer mit radikaleren Ansichten. In Westdeutschland werde die Szene noch von Alt-Nazis und einem "konservativen rechten Traditionalismus" geprägt.

Einwanderer mit Gepäck. Foto: DW
Migranten erkundigen sich nach Zentren rechtsextremer GewaltBild: picture alliance/dpa

In etlichen ostdeutschen Dörfern und Städten seien Rechtsextreme zudem im sozialen Bereich präsenter als im Westen. So bieten Rechtsextremisten zum Beispiel Schülern Nachhilfestunden und Arbeitslosen Unterstützung auf der Suche nach einem neuen Job an - und richten diese Hilfsangebote gezielt nur an Deutsche ohne Migrationsbiographie.

Wo sich Migranten in Deutschland wohlfühlen und wo ihre Integration am besten gelingt, hängt nach Erkenntnissen des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung damit zusammen, wo der Arbeitsmarkt die meisten Möglichkeiten bietet. Daher wird Westdeutschland eindeutig von Migranten bevorzugt: Der Anteil der Migranten an der Gesamtbevölkerung liegt im Westen zwischen 15 und 38 Prozent, in Ostdeutschland dagegen gerade einmal zwei bis vier Prozent.

Entstehung von Angstzonen und "No-go-Areas"

Rechtsradikale Tendenzen und eine starke militante Bewegung gab es bereits in der DDR, als zwischen Ost- und Westdeutschland noch eine Mauer stand. Damals allerdings waren Rechtsextreme im Osten eher in der Subkultur verankert und noch nicht sehr organisiert. "Rechts zu sein war eine Form, gegen das damalige politische System in der DDR zu kämpfen", so Anetta Kahane, die die meiste Zeit ihrer Jugend in der DDR verbrachte.

Rechtsextreme in Eisenhüttenstadt zeigen die Reichskriegsflagge. Foto: DW (BER427-060992)
Randalierer zeigen die ReichkriegsflaggeBild: picture-alliance/dpa

Als 1989 die Mauer fiel, erkannten viele Alt-Nazis aus Westdeutschland ihre Chance. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands entstand im Osten ein großes politisches Vakuum. Die demokratischen Parteien des Westens stellten Wohlstand und Aufschwung in Aussicht - Versprechen, die sich so schnell nicht realisieren ließen. "Vor allem bei jungen Menschen, die sahen, wie sie und ihre Eltern in die Arbeitslosigkeit rutschten, entstand großer Frust und tiefe Enttäuschung", berichtet Fabian Wichmann vom Rechtsradikalen-Aussteigerprogramm "EXIT".

Die Orientierungslosigkeit und die Sinnsuche vieler Menschen hätten Rechtsextreme aus dem Westen zu nutzen gewusst: Sie hätten große Immobilien im Osten gekauft, vorwiegend alte Bauernhöfe, die dann für Waffen- und Bombenlager, für ideologische Lehrgänge, Wehrsport- und Schießübungen genutzt wurden. Was folgte, sei die Neuorganisation der rechtsextremen Szene in Ostdeutschland gewesen, und die Entstehung von so genannten „No-go-areas", also von "Stadtteilen, die man als Mensch mit Migrationshintergrund besser nicht betritt", erklärt Fabian Wichmann. "Dort drohen Gewaltdrohungen, körperliche Angriffe und Überfälle auf Wohnungen, Autos und Büros durch Rechtsradikale."

"Alltäglicher Bedrohungshorror soll Menschen mit Migrationshintergrund und auch Personen, die sich gegen rechten Terror einsetzen, aus ganzen Landstrichen vertreiben", beschreibt Anetta Kahane die Zustände, gegen die sie mit ihrer Stiftung kämpft. "Die Erfahrungen in Ostdeutschland mit Angstzonen werden von Rechtsextremen inzwischen in Westdeutschland verbreitet", ergänzt Fabian Wichmann.

Festnahme eines mutmaßlichen Täters der rechten Szene. Foto: dapd/DW
Festnahmen Rechtsextremer sind seltenBild: dapd

Zentren dieser Entwicklung sind nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz aktuell die Städte Dortmund und Nürnberg, sowie die geamte Region Franken in Bayern.

Wehrhaftigkeit in Ost und Westdeutschland

Polizisten stehen vor den Wohnhaeusern des Neonazis Tino Brandt Foto: Candy Welz/dapd
Polizisten bei einer Razzia am Haus eines NeonazisBild: dapd

Eines habe sich in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen gezeigt: "Überall dort, wo Bürger offen und entschlossen gegen Rechtsextreme Haltung demonstrierten, haben Rechtsextreme nach einiger Zeit viele ihrer Aktivitäten aufgegeben", berichtet Michael Helmbrecht von der Allianz gegen Rechts. Konkret habe sich das in Dresden gezeigt, aber auch in Gräfenberg bei Nürnberg: Dort wurde gegen die Ansiedlung von Neonazis demonstriert, Aufmärsche der Rechten mit Gegenstimmen begleitet und Solidarität mit Opfern rechter Gewalt bewiesen.

Nur einen Unterschied glaubt Anetta Kahane zwischen Ost und West festgestellt zu haben: Im Osten werde die Bevölkerung ungern auf Probleme mit Rechtsextremen angesprochen, im Westen gehe man dagegen offensiver mit dem Thema um.