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Raus aus der Sklaverei

Greta Hamann5. August 2013

In keinem anderen Land der Welt arbeiten so viele Hausangestellte wie in Brasilien. Inzwischen werden ihnen zunehmend mehr Rechte zugebilligt. Doch noch immer wissen viele nicht, was ihnen zusteht.

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Hausangestellte reinigt den Boden (Foto: picture-alliance/RiKa)
Hausangestellte bei der ArbeitBild: picture-alliance/RiKa

Bei Festen ist sie nie dabei. Sie kennt nur das, was davon übrig bleibt: Fettige Grillroste, schmutzige Teller, abgeknabberte Knochen, leere Bierdosen, eine unordentliche Veranda. Während sie den verschmierten Grill vom Wochenende säubert, kann sie ihren Blick übers Meer schweifen lassen. Heute wird sie es wohl wieder erst abends nach Hause schaffen.

Jeden Morgen setzt sich Lucia um halb sieben in den Bus, um zu "ihrer" Familie zu fahren. Quer durch die Armenviertel  geht es bis in die schönste Straße der ganzen Stadt, direkt am Strand. Um acht muss das Frühstück auf dem Tisch stehen. Dann macht sich die Familie, für die sie schon seit über vier Jahren arbeitet, fertig für Arbeit und Schule. Um zwei Kinder und zwei Erwachsene kümmert sich Lucia: Putzen, kochen, Wäsche waschen. Und wenn am Wochenende gefeiert wurde, wird ihre To-do-Liste noch länger.

Eigentlich sollte damit seit dem 03. April 2013 Schluss sein. Durch eine Verfassungsänderung regelte der Senat, dass brasilianische Hausangestellte die gleichen Rechte erhalten sollen wie andere Arbeiter auch. Zunächst ging es nur um eine Begrenzung der Arbeitszeit auf acht Stunden täglich und die Bezahlung von Überstunden. Später einigte sich der Senat zusätzlich darauf, spezifische arbeitsschutzrechtliche Regelungen für Hausangestellte zu schaffen und sie gegen gesundheitliche Risiken abzusichern.

Die Gesetzesänderung zog sich bis Juli 2013 hin, obwohl Politiker zunächst groß angekündigt hatten, die Regelungen innerhalb eines Monats zu verabschieden. Das dämpfte die Stimmung der Gewerkschafter. Ende Juni gingen sie deshalb auf die Straße und demonstrierten für eine Beschleunigung des Prozesses. Doch erst im Folgemonat beschloss der Senat dann die Arbeitslosen- und Sozialversicherung für die Hausangestellten. Nun muss jedoch immer noch das Abgeordnetenhaus zustimmen.

Favela in Brasilien (Foto: picture-alliance/dpa)
Die meisten Hausangestellten stammen aus armen VerhältnissenBild: picture alliance / dpa

"Das neue Gesetz ist für mich nicht wichtig"

Lucia hatte von dem Gesetz zunächst nichts mitbekommen, ihre Arbeitgeberin schon. Trotzdem zahlt sie Lucia nicht mehr, wenn diese mal wieder erst um sieben Uhr abends dazu kommt, die Wäsche aufzuhängen. Seit April könnte Lucia für jede Überstunde mindestens den 1,5-fachen Stundenlohn verlangen. Doch das will sie nicht. "Das neue Gesetz ist für mich nicht wichtig." Sie mag ihre Familie und mit umgerechnet rund 400 Euro Gehalt erhält sie - und das ist eine große Ausnahme - fast das Doppelte des monatlichen brasilianischen Mindestlohns für Hausangestellte..

"Meine Chefin ist meine Freundin. Ich vermisse sie und das Haus, wenn ich nicht hier bin", sagt Lucia. Hausangestellte wie Lucia gehören in vielen brasilianischen Haushalten zur Familie. Nirgends sonst auf der Welt gibt es so viele: 7,2 Millionen, davon sind 93 Prozent Frauen. Jeder, der es sich halbwegs leisten kann, hat jemanden, der mehrmals pro Woche kommt und hilft. Manche Hausangestellte wohnen sogar heute noch in einem separaten kleinen Raum im Haus der Familie.

Neue Regelungen vergleichbar mit Abschaffung der Sklaverei

Der 03. April 2013 war für Lucia also ein Tag wie jeder andere. Eliana Menezes dagegen hat getanzt und sich gefreut:  "Und wir feiern noch immer" , sagt die Präsidentin der Gewerkschaft der Hausangestellten São Paulos (Sindomestica). "Die neuen Regelungen werden erstmalig mit der Sklaverei Schluss machen. Erst jetzt können wir sagen, dass wir die gleichen Rechte haben wie andere Arbeiter auch", sagt Menezes, die über zehn Jahre dafür gekämpft hat. Jetzt sieht sie sich und ihre Gewerkschaft in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle Hausangestellten von ihren neuen Rechten erfahren. Eine große Aufgabe.

Die Regierung hat pünktlich zur Abstimmung ein Informationsheft veröffentlicht, das die Hausangestellten über ihre neuen Rechte informieren soll. Außerdem hat das Arbeitsministerium ein ganzes Portal im Internet aufgebaut, das sich an die Arbeitgeber richtet und ihnen das Einhalten der neuen Gesetze erleichtern soll. Noch befindet sich das Portal allerdings in der Testphase. Es kann erst fertiggestellt werden, wenn sich die Politiker über den Gesamtumfang der Gesetzesänderung einig sind - und das kann dauern.

Skyline von von São Paulo (Foto: picture-alliance/dpa)
Manche Hochhäuser haben spezielle Aufzüge und kleine Hinterzimmer für die AngestelltenBild: picture-alliance/dpa

Gesetz kann auch negative Auswirkungen haben

Das Gesetz ist ein Meilenstein in der brasilianischen Geschichte. Das erklärt auch die große Aufregung, bevor die Verfassungsänderung beschlossen wurde: Brasilianische Wirtschaftswissenschafter sagten eine Entlassungswelle voraus, die Arbeitgebervertreter starteten eine Online-Petition gegen das Gesetz. Viele Brasilianer sahen sich schon selbst das eigene Haus putzen.

Auch Walter Barelli, Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Arbeitsminister, glaubt, dass die Zahl der Hausangestellten insgesamt in Brasilien zurückgehen wird: "Durch das Gesetz wird es immer teurer, jemanden anzustellen. Brasilien befindet sich derzeit in einem Umwandlungsprozess. Bald wird hier das Gleiche passieren wie auch in Europa oder anderen wohlhabenderen Ländern, wo es schon lange keine Hausangestellten mehr gibt."  Das glaubt Gewerkschafterin Eliana Menezes allerdings nicht: "Die Hausangestellte gehört zur brasilianischen Kultur. Eine brasilianische Hausfrau hat nie gelernt, sich nach der Arbeit auch noch um den Haushalt zu kümmern. Sie ist schon lange an diesen Komfort gewöhnt."

Was manche Frauen nie gelernt haben, ist für Lucia Alltag. Wenn sie nach ihrem langen Arbeitstag nach Hause kommt, kümmert sie sich auch noch um ihre eigene Familie. Dann fängt alles nochmal von vorne an: Putzen, Kochen, Wäsche waschen. Nur die Kulisse ist eine andere.