1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Raul Rivero: "Ich bin kein Märtyrer, ich bin nur ein einfacher Journalist"

Das Gespräch führte Steffen Leidel5. Mai 2006

Der prominente kubanische Dissident und Schriftsteller Raul Rivero spricht im Interview mit DW-WORLD über die Repression und den gewaltfreien Widerstand in seinem Land sowie über die Zeit nach Fidel Castro.

https://p.dw.com/p/7zvV
Raul RiveroBild: AP

DW-WORLD: Vor kurzem hat eine Menschenrechtsgruppe in Kuba vor einer Verschlechterung der Menschenrechtslage gewarnt. Teilen Sie diese Ansicht?

Raul Rivero: Ich stehe in Kontakt mit mehreren Journalisten auf der Insel und verschiedenen Menschenrechtlern sowie mit den Familienangehörigen von den politischen Gefangenen, die mit mir im März 2003 ins Gefängnis gesteckt worden waren. Und unser Eindruck ist, dass die Repression intensiver wird, vor allem in den Provinzen im Innern des Landes. Dort sind die internationalen Medien oder die ausländischen Botschaften nicht präsent und dort gibt es auch kaum Tourismus.

Warum ist die Situation wieder schlimmer geworden?

Wir müssen von einem Rückschritt sprechen. Von den 75 Personen, die im März 2003 verhaftet worden waren, wurden lediglich 15 aus dem Gefängnis entlassen. Die kubanische Regierung war sehr verärgert über die Abstimmung vor der Menschenrechtskommission der UNO im April 2005. Damals hatte sich die EU als Block gegen Kuba ausgesprochen. Die Reaktion der kubanischen Regierung darauf war sehr brutal. Außerdem: Seit die Regierung vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez finanziell unterstützt wird, fühlt sie sich schlicht an keine internationale Verpflichtung mehr gebunden und geht nun besonders grausam mit der Opposition um.

Die EU setzte bislang auf Dialog. Doch einige Abgeordnete haben jüngst gesagt, man sollte härter mit Kuba umgehen. Was halten Sie von der Haltung der EU?

Man muss die Politik gegenüber Kuba umgestalten und darf keine Konzessionen mehr machen. Allerdings bin ich dagegen, die Türen zuzuschlagen, den Dialog einzustellen. Die EU hat sich immer für die Kubaner eingesetzt, nicht für die kubanische Regierung. Sie hat sich immer um die Opposition gekümmert und um den großen Teil der Bevölkerung, der unter der Diktatur leidet. Die Türen sollte man auch deshalb nicht schließen, da die europäischen Botschaften wichtige Verbindungskanäle für die Dissidenten innerhalb und außerhalb Kubas darstellen.

Aber Sie sind schon dafür, härter mit Kuba umzugehen. Welche Maßnahmen empfehlen Sie?

Man sollte eine härtere Haltung gegenüber Kuba einnehmen. Man ist der kubanischen Regierung stark entgegengekommen. Es gab Versuche des Dialogs, aber die kubanische Regierung verschließt sich weiterhin. Was man tun könnte, ist, auf internationalen Treffen die kubanische Politik permanent zu verurteilen. Und vor allem sollte man auch in den internationalen Medien mehr über die Situation in Kuba berichten. Die Regierung darf keinen Erfolg mit ihren Betrügereinen und Täuschungen über die Realität in Kuba haben.

Im März 2003 gab es eine Welle der Repression. Sie und 74 andere Regimegegner wurden festgenommen. Könnte sich so etwas wiederholen?

So eine spektakuläre Welle wird es wohl nicht mehr geben. Die Aktion hatte gewaltige negative internationale Folgen für die Regierung. Aber im Moment findet eine Art stiller Krieg statt, die Repression ist nicht so intensiv wie damals, aber permanent. Auch wenn 15 Dissidenten frei gelassen wurden, gingen die Verhaftungen weiter. Unabhängige Journalisten wie Ivan Garcia und sein Frau wurden mit Haft bedroht.

Wie ist die aktuelle Situation der politischen Häftlinge?

Die Bedingungen der Häftlinge haben sich verschlechtert, was zum Beispiel die Versorgung mit Nahrung und die medizinische Betreuung angeht. Und es hat auch viele gewaltsame Übergriffe gegen die Häftlinge in den Gefängnissen gegeben. Von den 15 Dissidenten, die in Haft blieben, befinden sich viele in einem besorgniserregenden Zustand, sie sind gesundheitlich angeschlagen. Die Journalisten Oscar Espinosa Chepe oder Jorge Olivera verbrachten Monate in den Krankenstationen der Gefängnisse. Sie wurden im November 2004 freigelassen, sie haben Visa für die USA und könnten auch für Spanien Visa bekommen, aber die Regierung lässt sie nicht ausreisen.

Reporter ohne Grenzen hat jüngst auf den Fall Guillermo Farinas aufmerksam gemacht. Der Chef der unabhängigen Nachrichtenagentur „Cubanacán Press“ war in den Hungerstreik getreten, da ihm und seinen Mitarbeitern der freie Zugang zum Internet verweigert worden war. Was können Sie mir über ihn sagen?

Er will offenbar weiter im Hungerstreik bleiben. Haben Sie sein Foto gesehen? - Er sieht aus, als ob er aus einem Konzentrationslager kommt. Es ist sein 20. Hungerstreik. Ich habe mit ihm vergangene Woche gesprochen und ich bat ihn, den Streik aufzugeben. Auch wenn seine Forderung, freien Zugang zu Informationen zu erhalten, gerechtfertigt ist. Aber so ein vergleichsweise junger Mann von 43 sollte doch sein Leben nicht aufs Spiel setzen. Nach meinen Informationen geht es ihm sehr schlecht, er verlor zwischendurch das Bewusstsein.

Lesen Sie im zweiten Teil: Raul Rivero zur Frage, was nach Fidel Castro kommt.

Am 13. August wird Fidel Castro 80 Jahre alt. Viele fragen sich: Wie ist es möglich, dass sich dieser Mann so lange an der Macht gehalten hat?

Das ist eine interessante Frage. Er ist durchaus ein geschickter Politiker. Sobald er an der Macht war, hat er alle legalen Mechanismen des Rechtsstaates und der Zivilgesellschaft außer Kraft gesetzt. Er kontrolliert alle Machtstrukturen. Er hat nicht nur Macht, er hat die absolute Macht. Es ist ein Regime, das anfangs mit großer Unterstützung gestartet ist, 90 Prozent der Kubaner standen zunächst hinter ihm. Dann stützte er sich mehr und mehr auf die politische Polizei. Über das Radio, das Fernsehen, die Presse wurde permanent die Angst geschürt. Auch durch Aktionen: Als sie uns festgenommen und verurteilt hatten, ließ Castro in 48 Stunden drei junge Männer erschießen, die versucht hatten, Kuba zu verlassen. Die kubanische Gesellschaft wird also durch zwei Schlüsselelemente kontrolliert: die Polizei und die Propaganda.

In Europa gibt es unter einigen Linken nach wie vor eine gewisse Sympathie für Castro. Wie finden Sie das?

Ich respektiere die Personen, die mit Castro sympathisieren und ihn bewundern. Ich habe so viele Jahre unter Intoleranz gelitten, dass ich selbst ziemlich tolerant geworden bin. Aber wen sie nicht respektieren, ist das kubanische Volk, das unter dieser Diktatur leben muss. Für diese Linken ist Kuba ein Traum, den sie nicht aufgeben wollen. Es ist ein Traum, den sie einmal im Jahr leben können, wenn sie die Insel besuchen. Doch deren Traum ist unser Albtraum. Sie kommen hierher für einen Monat, die Regierung fährt sie in klimatisierten Autos herum. Das ist wie im Theater. Sie nehmen dann ein paar Briefmarken von Che Guevara mit und kehren in ihre bequemen Häuser zurück, die zu bauen ihnen die Zivilisation und der "Kapitalismus" ermöglicht haben. Doch die Kubaner bleiben in ihrer Armut zurück. Viele dieser Linken hassen die USA und treiben sich ihren Hass aus, indem sie Kuba unterstützen. Sie hassen die USA, dabei wohnen sie selbst dort und steigen dort in ihr amerikanisches Auto, essen bei McDonalds oder rauchen Winston-Zigaretten. Es ist sehr bequem, einen Traum in der Karibik zu haben, den man einmal im Jahr besuchen kann.

Castro scheint derzeit wieder erstarkt zu sein, seitdem er mit Chávez einen finanzstarken Unterstützer gefunden hat.

Castro ist sicher stärker als vor drei Jahren, bevor Chávez an die Macht kam. Chávez ist das Substitut für die Sowjetunion. Der kubanische Vizepräsident Carlos Lage sagte es selbst kürzlich, Kuba habe zwei Präsidenten, nämlich Castro und Chávez. Früher war es die Sowjetunion, jetzt ist es Chávez, der Kuba Geschenke macht.

Wird Chávez der neue Castro?

Ich respektiere die Entscheidung des venezolanischen Volkes, das Chávez gewählt hat. Aber ich habe mehr als 40 Jahre Erfahrung mit einer Diktatur und für mich ist Chávez auf einem populistischen Weg der Täuschung. Er hat selber gesagt, dass er bis ins Jahr 2021 an der Macht bleiben will. Ich glaube, er hat einen Prozess begonnen, der eine Kopie der Entwicklung in meinem Land ist, das seit fast einem halben Jahrhundert eine Diktatur ist.

Wird Kuba nach Castros Tod eine Demokratie?

Diese Art von Diktatur, die an eine Person gebunden ist, stirbt mit ihrem Anführer. Sie wird vielleicht noch einige Monate überdauern. Aber der Wechsel zur Demokratie in Kuba ist keine Laune weder der Opposition noch der Kubaner innerhalb oder außerhalb des Landes. Er ist eine Notwendigkeit. Die kubanische Gesellschaft steckt in einer Sackgasse fest. Dieses Land bewegt sich nicht, sondern lebt wie in einem Theaterstück. 15 Prozent der Kubaner leben im Exil. Die meisten jungen Leute wollen Kuba verlassen und in die USA gehen.

Werden Sie sich freuen an dem Tag, an dem Castro stirbt?

Für mich würde es bedeuten, dass ich wohl wieder in meine Heimat zurückkehren kann und dort wieder das tun kann, was ich immer tun wollte: Ich will einfach nur in einer Zeitung arbeiten, wo man seine Meinung schreiben kann. Ich kann vorher nicht zurückkehren. Das Castro-Regime hat mich zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Davon habe ich nur zwei Jahre abgesessen, es sind also noch 18 Jahre übrig. Ich bin 60 Jahre alt. Ich werde nicht das Risiko eingehen, dass sie mich wieder ins Gefängnis stecken. Das wäre mein Tod. Ich bin kein Märtyrer, ich bin nur ein einfacher Journalist.

Der Schriftsteller Raul Rivero (geboren 1945) ist einer der bekanntesten Dissidenten Kubas. Rivero war zunächst Anhänger der Revolution Fidel Castros. Doch mit der Zeit distanzierte er sich mehr und mehr von dem Regime. 1995 gründete Rivero die Agentur "Cuba Press", um unabhängig über Kuba zu berichten. Außerdem arbeitete er für Reporter ohne Grenzen. Im März 2003 war er bei einer der größten Repressionswellen mit 74 anderen Regimekritikern festgenommen worden und kurz darauf zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Im November 2004 wurden Rivero und 14 weitere Häftlinge nach Vermittlung der EU vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Seit März 2005 lebt Rivero im Exil in Madrid.