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Raif Badawi kritisiert religiöse Arroganz

Kersten Knipp31. März 2015

Der saudische Blogger Raif Badawi wurde für Kritik am saudischen Klerus zu zehn Jahren Gefängnis und tausend Peitschenhieben verurteilt. Seine nun auf Deutsch erschienenen Texte zeigen, wie haltlos dieses Urteil ist.

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Raif Badawi Website-Gründer aus Saudi Arabien
Bild: privat

Wer "1000 Peitschenhiebe" liest, eine Kompilation von jenen Texten des saudischen Bloggers Raif Badawi, für die er zu zehn Jahren Haft, tausend Peitschenhieben und einer Geldstrafe von rund 200.000 Euro verurteilt wurde, der weiß nicht, ob er schmunzeln oder schlucken soll. Schmunzeln ob der feinen Ironie des Autors, wenn er sich über die Angriffe saudischer Fernsehtheologen auf die Naturwissenschaften lustig macht. Oder schlucken, dass jemand für solche aus westlicher Perspektive harmlosen Texte tatsächlich ein so ungeheures Strafmaß auf sich zog. Nicht eine dieser Seiten rechtfertigt aus westlicher Sicht diese Strafe.

"Geschäfte mit dem Verstand der Menschen"

Für das harte Urteil kann es nur eine Erklärung geben: Das religiöse Establishment Saudi-Arabiens ist nervös. Ganz offenbar artikuliert Badawi Empfindungen, die viele saudische Bürger teilen, und deren Durchbruch in die Öffentlichkeit sich immer schwerer verhindern lässt.

Buchcover "1000 Peitschenhiebe" von Raif Badawi
Erscheint am 1. April 2015: "1000 Peitschenhiebe" von Raif BadawiBild: Ullstein

"Wer die arabische Gesellschaft beobachtet", schreibt Badawi, "dem wird sich auf spektakuläre Weise zeigen, wie diese unter der Last der Theokratie ächzt und stöhnt und leidet, deren Kleriker nichts als den Satz 'Ich höre und gehorche' hören wollen." Es sind Sätze wie diese, mit denen er die religiöse Bevormundung in Saudi-Arabien in Frage stellt. Warum die Kleriker so eifersüchtig darüber wachen, dass ihre Lehren nicht öffentlich kritisiert werden, liegt für Badawi auf der Hand: "Nicht, dass jenen Predigern, die mit dem Verstand der Menschen Geschäfte treiben, der Teppich unter den Füßen weggezogen wird."

Methoden saudischer Geistlicher

Wie der saudische Klerus gegen ihn mit missliebigen Tendenzen vorgeht, erläutert Badawi an einem Beispiel. Der saudische Schriftsteller Turki al-Hamad hatte in einem Roman – also einem fiktionalen Werk – diesen Satz geschrieben: "Gott und der Teufel sind zwei Seiten einer Münze." Ein völlig harmloser Satz, der auf nichts Anderes hinweist, als dass auch Gott sich erst durch sein Gegenteil definiert. Über Jahre griffen die saudischen Kleriker Turki al-Hamad für diesen Satz an. Er setze Gott mit dem Teufel gleich, erklärten sie. Aus einem Fernsehinterview, in dem sich der Schriftsteller zu der Romanpassage äußerte, schnitten sie diesen Satz heraus und strahlten ihn wieder und wieder in ihren Programm aus. Eine zynische, aber wirksame Methode, um im frommen Saudi-Arabien viele Menschen gegen den Schriftsteller aufzubringen.

Verschleierte Frauen in Saudi-Arabien
Badawi kritisiert das Patriachat: Frauenrechte würden in Saudi-Arabien oft mit den Füßen getretenBild: picture-alliance/dpa

Kritik an Chauvinismus und religiöser Arroganz

Ist das Land wirklich fromm? Nach der Lektüre von Badawis Texten kann man zu dem Schluss kommen: Zumindest nicht durchgehend. Oder wie soll man es nennen, wenn die Rechte von Frauen im System der Vielehe mit den Füßen getreten werden. In der so genannten "Abstattungsehe" kann die Frau – eine unter mehreren Ehefrauen – keine materiellen Ansprüche an ihren Mann stellen, etwa einen Anspruch auf Unterkunft oder Unterhalt für Kinder. Sie hat sich damit zu begnügen, ihrem Ehemann zur Verfügung zu stehen. Es gibt in Saudi-Arabien viele Bezeichnungen für diese Art des sexuellen Arrangements. Für Badawi sind es allesamt Formen "animalischer Ehen".

Er greift in seinem Buch viele Missstände auf: Auch den Umstand, dass in Saudi-Arabien keine christlichen Missionare aktiv sein und keine Kirchen gebaut werden dürfen, ist für ihn ein Phänomen der religiösen Unduldsamkeit der in Saudi-Arabien gepflegten Variante des Islams. An manchen Eiferern stört ihn generell die "pseudoislamische, chauvinistische Arroganz gegenüber anderen Menschen".

Warnung vor religiösem Extremismus

Diese und auch andere Passagen zeigen eines in aller Deutlichkeit: Badawi ist nicht "gegen" den Islam. Er betreibt keine Fundamentalkritik gegenüber der Religion als solcher. Er kritisiert allein die Unduldsamkeit mancher Protagonisten, die er nach Ausbruch der Revolutionen im arabischen Raum bereits recht früh kommen sah. "Es ist", schrieb er im Februar 2012, "allgemein eine systematische Massenmobilisierung im Gange, bei der die gewöhnlichen Bürger indoktriniert werden, indem man sie die ganze Zeit mit Religion und Religiosität berieselt – oder zumindest mit dem, was Islamisten dafür halten. (...) Man wetzt jetzt kräftig die Messer, wiegelt die Gemüter auf und warnt lautstark vor einem Vernichtungskrieg gegen alles, was irgendwie mit Kultur und Aufklärung zu tun hat. Denn aus ihrer Sicht ist das in etwa gleichzusetzen mit Ketzertum, Atheismus und Blasphemie."

#FREERAIF

Für Kritik solcher Art wurde Raif Badawi zu zehn Jahren Haft, einer hohen Geldstrafe und tausend Peitschenhieben verurteilt. Es ist verwunderlich, dass ein so reiches Land wie Saudi-Arabien sich dazu entschlossen hat, einen seiner besten Geister mundtot zu machen – als warnendes Beispiel für alle, die ähnlich denken wie er. Und das sind offenbar viele. Darum sitzt nicht nur Badawi in Haft. Viele seiner Gesinnungsgenossen befinden sich hinter Gittern. Doch mit der Inhaftierung von Freidenkern könnte sich Saudi-Arabien um seine Zukunft bringen.

Demonstrantinnen halten "Free Raif"-Plakate und Kerzen in den Händen
Weltweite Unterstützung für den saudischen Blogger: "Free Raif"-Demonstration in London im Januar 2015Bild: picture-alliance/empics/A. Devlin