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Neonazis gehen mit der Zeit

Carla Bleiker 16. Mai 2014

Der Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke steht vor Gericht, weil er CDs mit rechtsextremer Musik an Schüler verteilt haben soll. Diese Methode ist heute veraltet, sagt Extremismus-Expertin Simone Rafael im DW-Interview.

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Neonazis demonstrieren in Halbe
Bild: picture-alliance/ZB

Deutsche Welle: Wie werben Neonazis heute Jugendliche an?

Simone Rafael: Grundsätzlich kann man beobachten, dass es viele Möglichkeiten gibt, Jugendliche anzusprechen. Was einem oft als Erstes einfällt - CDs auf dem Schulhof oder Ähnliches - wird nach unseren Beobachtungen deutlich davon abgelöst, dass Rechtsextreme versuchen, Jugendliche über das Internet anzusprechen. Das gelingt sehr viel unkomplizierter und direkter, als es jemals zuvor der Fall war. Natürlich versuchen Rechtsextreme auch noch, sich als Kümmerer aufzustellen und beispielsweise Jugendarbeit anzubieten in Bereichen, in denen es sonst keine ähnlichen Angebote gibt.

Das Mittel der Musik wird übrigens auch weiterhin verwendet, aber das Medium ändert sich: Im Internet auf Youtube geht das ja viel einfacher. Im Denken sind die Rechtsradikalen sehr rückwärtsgewandt, aber mit ihren Methoden durchaus auf der Höhe der Zeit.

Wie erfolgreich sind die Anwerbeversuche der Neonazis ihrer Erfahrung nach?

Das kommt darauf an, wie die Einstellung der Jugendlichen vorher ist. Organisiert rechtsextrem wird in der Regel jemand, der auch vorher schon rechtsextreme, rassistische und antisemitische Einstellungen in seinem Umfeld hatte. In seiner eigenen Gedankenwelt muss ein Interesse daran vorhanden sein. Bei anderen Jugendlichen geht es darum, Themen anzusprechen, bei denen die Neonazis an Vorurteile oder Unsicherheiten anknüpfen wollen. Die Szene legt schwierige Sachverhalte sehr einfach dar, zum Beispiel in Youtube-Videos, die viele Jugendliche teilen.

Was kann man gegen solche Anwerbeversuche tun?

Wenn Jugendliche solche Videos sehen und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, dann muss man versuchen, Informationen dagegenzusetzen. Deswegen finde ich es auch wichtig, dass Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten, also zum Beispiel Lehrer und Lehrerinnen, sich in solchen Bereichen auskennen. Sie sollten möglichst erkennen, wenn Jugendliche in Kontakt mit der rechtsextremen Szene kommen und sich dann trauen, das Gespräch zu suchen.

Gerade die Bereiche, die sich an eine breite Masse von Jugendlichen wenden, sind eher verschleiert. Ein Beispiel ist das Engagement gegen Kinderpornografie, was erstmal vernünftig klingt. Auf einigen Seiten werden aber dann gerne Artikel aus rechtsextremen Medien verlinkt. Dort haben dann ganz viele Täter angeblich einen Migrationshintergrund. Das entspricht nicht der Realität, wird aber so oft behauptet, bis bei den Menschen, die es lesen, die Idee hängen bleibt. Wenn Jugendliche darauf stoßen, ist es gut, wenn sie in ihrem Umfeld Erwachsene haben, mit denen sie darüber sprechen können.

Wie ist es mit Anwerbungen, die sich nicht online abspielen? Wenn Jugendliche auf dem Schulweg angesprochen werden, passiert das im öffentlichen Raum. Hat die Schule Möglichkeiten, dagegen vorzugehen?

Das liegt dann am Engagement einzelner Personen. Ich finde es gut, wenn Schulen dazu eine klare Position beziehen. Sie können zum Beispiel sagen: Wir sind der Meinung, dass Flyer von NPD und Co. Müllinformationen sind, und deswegen stellen wir euch große Tonnen auf, in die ihr die Sachen werfen könnt. Es geht aber nur über ernsthafte Argumente und echte Informationen. Man kann Jugendlichen nicht etwas vorschreiben und hoffen, dass es sie überzeugt.

Welche Hilfestellung bietet die Amadeu Antonio Stiftung an, für die Sie arbeiten?

Von unserer Stiftung gibt es das Projekt No-Nazi.net, mit einem Blog, der über diese Themen berichtet. Außerdem haben wir Präsenzen in den verschiedenen sozialen Netzwerken, die sich direkt an die Jugendlichen wenden, wo sie uns Fragen stellen können - was sie auch gerne tun. Und wir organisieren direkt an Schulen Workshops zum Thema Rechtsextremismus.

Wie jung sind die Minderjährigen, die von Rechtsradikalen angesprochen werden?

Das fängt teilweise schon in der Grundschule an. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir Beispiele, wo Rechtsextreme in Sportvereinen als Trainer und Trainerinnen gerade für die Jugendmannschaften aktiv sind. Da fängt es zum Teil schon bei den ganz Kleinen an. Menschen, die sich gegen Neonazis in Regionen engagieren, wo diese Probleme sehr groß sind, bemängeln, dass die meisten Präventionsprogramme erst ab der Mittelstufe anfangen. Da ist es manchmal schon zu spät.

Simone Rafael ist Chefredakteurin von Netz-gegen-Nazis.de, einer Internetseite der Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus richtet und Menschen beim Engagement gegen Neonazis unterstützt.

Weil Rafael aufgrund ihrer Arbeit sowohl im Internet als auch offline vielen Rechtsextremen begegnet, möchte sie aus Sicherheitsgründen kein Foto von sich veröffentlicht sehen.

Das Interview führte Carla Bleiker.