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Kinoregisseur: Thomas Brasch

6. Juli 2010

Für viele Literaturkenner ist er einer der großen deutschen Nachkriegsschriftsteller. Doch der 2001 im Alter von 56 Jahren verstorbene Brasch war ein Multitalent. In den 1980er Jahren drehte er auch vier Filme.

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Porträt Thomas Brasch (Foto: absolut MEDIEN)
Bild: absolut MEDIEN

"Ich habe keine Weltanschauung, auf die ich mich zurückziehen kann, wie Berthold Brecht den Kommunismus oder wie Günter Grass die Sozialdemokratie", sagt Thomas Brasch zu Beginn der 1980er Jahre in einem Interview. Da war der Sohn antifaschistischer deutsch-jüdischer Emigranten schon ein paar Jahre im Westen. Geboren in England, aufgewachsen in der DDR, war Brasch einer jener Autoren, die sich 1976 für den Liedermacher Wolf Biermann eingesetzt hatten und anschließend in den anderen Teil Deutschlands zogen.

Doch heimisch geworden ist Brasch dort wohl nie. Der Widerspruch wurde zum Schlüsselbegriff seines künstlerischen Schaffens und auch seines Lebens. So wie er sich früher gegen DDR-Staatsräson und die russischen Truppen in Prag engagierte - was ihm eine Gefängnisstrafe einbrachte -, so wandte er sich später gegen die "Diktatur des Geldes". Die Rolle des ehemaligen DDR-Bürgers, der sich im bundesrepublikanischen Kulturleben gemütlich einrichtet, war ihm zuwider. "Thomas war ein wildes Tier, das war nicht zu zähmen" sagt seine langjährige Lebensgefährtin Katharina Thalbach heute über Brasch. Das hat ihm wohl auch den frühen Tod gebracht. Brasch nahm keine Rücksichten, auch nicht auf den eigenen Körper.

Thomas Brasch mit Schauspielerin (Foto: absolut MEDIEN)
Intensive Arbeit mit den Schauspielern am Set: Thomas BraschBild: absolut MEDIEN

"Vor den Vätern sterben die Söhne" hieß ein Prosaband des Autors - auch Braschs Brüder starben früh. "Ich denke manchmal, dass die Eltern und die drei Brasch-Söhne an den Folgen des Faschismus gestorben sind", sagt Katharina Thalbach. Brasch stellte immer Fragen: Nach seiner jüdischen Herkunft, den Ursachen und Folgen des Nationalsozialismus, seiner Rolle in der DDR und später nach der in der Bundesrepublik. Und das nicht nur in seinen Texten. In den Jahren 1967 und 1968 hatte Brasch ein Studium der Dramaturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg absolviert. In den 1980er Jahren hat er dann vier Filme inszeniert, die jetzt in der 'Filmedition Suhrkamp' auf DVD vorliegen.

Engel aus Eisen (1981)

Die Geschichte der Gladow-Bande, die im Nachkriegs-Berlin auf Beutetour ging. Im Mittelpunkt: Der junge Chef der Bande, Werner Gladow, und der ehemalige Henker Gustav Völpel. Brasch zeigt ein in scharfe schwarz-weiß-Konturen getauchtes Berlin der frühen 1950er Jahre. 1981 wurde Thomas Brasch mit seinem Filmdebüt zu den Festspielen in Cannes eingeladen, ein Jahr später gab es dafür den Bayrischen Filmpreis. Das führte zu einem offenen Schlagabtausch auf der Bühne mit dem damaligen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und dem Publikum im Saal. Brasch wollte zum Ausdruck bringen, dass er "im Zeitalter des Geldes" die mit dem Preis verbundene Summe annehmen wolle, auch wenn er mit der politischen Meinung des Establisments nichts gemein habe.

Thomas Brasch + Katharina Thalbach (Foto: absolut MEDIEN)
Lebensgefährtin und Lieblingsschauspielerin: Katharina Thalbach am Set von "Engel aus Eisen"Bild: absolut MEDIEN

Sein Dank galt ausdrücklich der Filmhochschule in Babelsberg - was ihm lautstarke Ablehnung einbrachte - und den "Verhältnissen" für ihren Widerspruch. Die Kriminalität (die ja in "Engel aus Eisen" thematisiert wird) sei die reinste Form des Aufbegehrens gegen Geld und Macht, so Brasch. Franz Josef Strauß dankte dem streitbaren Autor nicht ungeschickt dafür, dass er sich als "Demonstrationsobjekt bayrischer Liberalität" zu Verfügung gestellt habe. "Engel aus Eisen" ist Kunstfilm und Verbrecherballade, Hommage an das deutsche Kino und ein großer Schauspielerfilm. Das wirkt nicht immer wie aus einem Guss. Aber das war wohl auch nicht gewollt. Vor allem aber ist das Filmdebüt - wie Braschs nächste Arbeit auch - ein großer Berlin-Film.

Domino (1982)

"Ein aufregender, ein mißglückter Film", schrieb 1982 ein Kritiker. So wirkt "Domino" auch heute noch. Die Schauspielerin Lisa (Katharina Thalbach) soll für einen alten Regieveteranen (Benrhard Wicki) Goethes "Stella" spielen. Auf ihren Gängen durch die Stadt und die Theater der Metropole begegnet Lisa den verschiedensten Menschen, einem Theaterautor und zwei Prostituierten, anderen Schauspielern und Männern auf der Straße, die ihr ganzes (wirres) Weltbild vor ihr ausbreiten. "Domino" verzichtet auf eine herkömmliche, straffe Dramaturgie, setzt auf die Widesprüchlichkeit des Lebens. Der Zuschauer verliert dabei so manches mal den Faden.

Brasch in Winterkleidung vor Hochhaus (Foto: absolut MEDIEN)
Im winterlich-kalten Berlin: Thomas Brasch dreht "Domino"Bild: absolut MEDIEN

Großartig ist der Film allerdings als Abbild der Stadt Berlin aus den frühen 80er Jahren. "Domino" spielt in den Tagen zwischen Weihnachten und Sylvester, das verschneite, kalte Berlin, die Lichter, der Schnee, die Menschen - all das setzt Brasch zu einem irritierend stimmungsvollen Tableau zusammen. Wer sich noch erinnern kann an das Berlin jener Zeit, an die seltsame Insel inmitten eines fremden Landes, an eisige Temperaturen im Herzen der Stadt, der wird sich der Faszination des Films kaum entziehen können.

Der Passagier (1988)

Brasch hat einen Film über einen Regisseur (Tony Curtis in einer großartigen Altersrolle) gedreht, der einen Film dreht über einen Regisseur (Matthias Habich), der während des Nationalsozialismus einen Film mit jüdischen Komparsen inszeniert. Was kompliziert klingt, ist es im fertigen Film auch. Die Brüche sind von Brasch manchmal bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Der Zuschauer muß sich konzentrieren. Braschs Konzept des Widerspruchs ist hier in seiner vollkommenen Art zu besichtigen.

Brasch mit Schauspielern und Komparsen am Set von "Der Passagier" (Foto: absolut MEDIEN)
Brasch dreht "Der Passagier"Bild: absolut MEDIEN

Interessant ist der Film heute auch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Oskar Roehlers Werk "Film ohne Gewissen - Jud Süss", der im Herbst ins Kinos kommt. Brasch hat sich vom Propagandafilm "Jud Süss" von Veit Harlan inspirieren lassen (die jüdischen Komparsen, die Rolle der Schauspieler) und daraus ein komplexes Spiel um Schuld und Verantwortung, einen Film über die Rolle des Künstlers in der Diktatur und über die Wahrnehmung von Realität und Spiegelung gemacht. Wo Roehler und andere Regisseure, die sich in jüngster Zeit mit dem Thema Nationalsozialismus beschäftigt haben, uns "eine Wahrheit" vorsetzen wollen, da nähert sich Brasch seinem Sujet mit der einzig annehmbaren Haltung: dem gebrochenen, verschobenen, reflektierenden Blick auf die Dinge.

In der Edition ist als Bonus noch der 1985 fürs holländische Fernsehen entstandene Film "Mercedes" enthalten, ein in 16 Einstellungen gedrehter theaterhafter Film nach einem eigenen Stück. Filmedition Suhrkamp, DVD-Anbieter: absolut medien, Thomas Brasch: Filme, Frankfurt/Main 2010, insges. 396 Minuten, 38,99 Euro, ISBN 3518135163.

Autor: Jochen Kürten

Redaktion: Sabine Oelze