1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rückkehr des Nationalismus in Japan?

Martin Fritz16. Oktober 2012

Japans Rechte tritt immer selbstbewusster auf. Noch ist der Nationalismus in Japan eine Randerscheinung. Das könnte sich mit der Wahl von Shinzo Abe zum Oppositionschef möglicherweise bald ändern.

https://p.dw.com/p/16Qbk
Anti-chinesische Demonstrantin in Japan im traditionellen Kimono (Foto: AP)
Bild: dapd

Hunderte Japaner zogen Ende September und Anfang Oktober 2012 durch das Tokioter Einkaufsviertel Shibuya bis zur weiträumig abgesperrten chinesischen Botschaft. Die Demonstranten skandierten Rufe wie "Chinesen raus aus Japan" und warfen China die Invasion einer Gruppe von Inseln im Ostchinesischen Meer vor, die in Japan Senkaku und in China Diaoyu heißen. Es war ein seltener und zahmer Ausbruch von Nationalismus in Japan. Von der Wut, wie sie anti-japanische Demonstranten in China zeigten, war in Tokio wenig zu spüren. Weder wurden Fensterscheiben eingeworfen noch chinesische Produkte zerstört.

Eine der Protestkundgebungen wurde von der kleinen rechten Gruppierung "Gambare Nippon" ("Kämpfe, Japan") organisiert. Ihr Gründer und Leiter ist der ehemalige Luftwaffen-General Toshio Tamogami. Er wurde im Oktober 2008 entlassen, nachdem er in einem Essay eine Abkehr vom Pazifismus gefordert hatte. "Die Zeit ist gekommen, unsere Verteidigung zu stärken", fordert Tamogami. Aktivisten seiner Gruppe waren im August kurzzeitig auf einer der umstrittenen Inseln an Land gegangen. Aber nationalistische Stimmen wie die des Ex-Generals sind in Japan kaum zu hören, da die etablierten Medien ihnen bisher keinen Platz einräumen.

Kyodo, eine der umstrittenen Inseln im Ostchinesischen Meer aus der Luft.
Eine der umstrittenen Inseln im Ostchinesischen MeerBild: picture-alliance/dpa

Öffentliches Auftreten der extremen Rechten

Das heißt jedoch nicht, dass es in Japan nur Pazifisten gäbe. Die Anhänger der extremen Rechten sind sogar erstaunlich präsent in der Öffentlichkeit und dürfen unbehelligt von der Polizei ihr Unwesen treiben. Mit ihren schwarzen Bussen fahren sie seit Jahrzehnten durch die Millionenmetropolen Tokio und Osaka, schwenken die alte Armeeflagge mit der 16-strahligen Sonne und belagern mit lautstarken Parolen die diplomatischen Vertretungen Chinas oder die Wohnviertel von Koreanern. "Uyoku" (rechter Flügel) ist der Sammelbegriff für diese Extremisten, deren Zahl auf mehrere Zehntausend geschätzt wird.

Japans alte Kriegsflagge wird zerrissen (Foto: Reuters)
Japans alte Kriegsflagge - für chinesische Nationalisten Objekt des ZornsBild: REUTERS

800 Gruppen sind in der "Alljapanischen Konferenz patriotischer Verbände" (Zenai Kaigi) organisiert, die mit Yakuza-Verbrechergruppen verbunden ist. Zu ihren Ikonen gehört der nationalistische Schriftsteller Yukio Mishima, der sich 1970 auf traditionelle Weise selbst tötete. Von der Ideologie solcher Ultranationalisten inspiriert, haben teilweise geistig verwirrte Einzeltäter gelegentlich Attentate begangen, auch auf Parlamentsabgeordnete. Auch wegen solcher Exzesse fällt rechtes Gedankengut in Japan eher auf unfruchtbaren Boden.

Prominenter Fürsprecher

Doch in jüngster Zeit hat die Forderung nach mehr "nationaler Selbstbehauptung " prominente Fürsprecher gefunden. Am bekanntesten ist der 80-jährige Shintaro Ishihara, seit 1999 Gouverneur von Tokio. International wurde Ishihara mit der Aufsatzsammlung "Japan kann nein sagen" bekannt, die er zusammen mit Sony-Chef Akio Morita schrieb. Darin fordert Ishihara eine Abkehr Japans von den USA. Durch verletzende Aussagen über China, Ausländer und Frauen erregte er immer wieder Aufsehen. Der Schriftsteller leugnet auch das Massaker in der ostchinesischen Stadt Nanjing 1937, bei dem nach offiziellen Angaben mehr als 200.000 Zivilisten in sechs Wochen von japanischen Soldaten ermordet wurden.

Porträt von Shintaro Ishihara, Gouverneur von Tokio (Foto: dapd)
"Japan kann nein sagen": Shintaro Ishihara, Gouverneur von Tokio, ist der bekannteste nationalistische Politiker des Landes.Bild: dapd

Ishihara zündelte mit der Inselfrage, als er im Frühjahr den Kauf von drei der umstrittenen Inseln durch die Stadt Tokio propagierte. Gegenüber dem "Wall Street Journal" machte er seine Motive unmissverständlich deutlich. "Denken Sie an Tibet", sagte er in dem Interview. Tibet habe keine Nation und keinen Führer mehr und seine Kultur verloren. "Ich möchte nicht, dass Japan als ein zweites Tibet endet", so die nationalistische Botschaft von Ishihara. Er will die Inseln befestigen und dort Truppen stationieren - sonst würden die USA den japanischen Besitz nicht verteidigen, so seine Ansicht.

Shinzo Abe will "normale" Nation

Unter den nationalistischen Politikern sticht Shinzo Abe heraus, Abkömmling einer bekannten Politikerfamilie und 2007 für ein Jahr Premierminister. Die Liberaldemokratische Partei (LDP) wählte ihn im September 2012 überraschend zum neuen Vorsitzenden. Abes harte Haltung gegenüber China soll der LDP bei der nächsten Parlamentswahl zum Sieg verhelfen, so das Kalkül der früheren Dauerregierungspartei. "Ich möchte unsere Intention ausdrücken, dass wir die Senkaku-Inseln und ihre Umgebung verteidigen werden", betonte Abe nach seiner Wahl. Sein Versprechen, ein "starkes und blühendes Japan" aufzubauen, erinnert an das Motto "reiche Nation, starke Armee", das sich die japanischen Reformer in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Fahne geschrieben hatten.

Shinzo Abe im Wahlkampf 2007 (Foto: AP)
Shinzo Abe erlitt 2007 mit seiner LDP einen herbe Wahlniederlage. Jetzt will er wieder zurück auf die politische Bühne.Bild: AP

Abe will Japan zu einer "normalen" Nation machen, mit einem Recht auf Selbstverteidigung, das die von den Amerikanern diktierte Verfassung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bisher nicht zulässt. Es könnte eine eigene Marine aufbauen und mehr als ein Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Von den Schulen fordert er eine Erziehung zum Patriotismus. Abes Wahl zum LDP-Chef werten Beobachter als Indiz dafür, dass der Nationalismus in Japan wieder salon- und mehrheitsfähig werden könnte.