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Protonenstrahltherapie gegen Krebs

Rob Cameron / Fabian Schmidt9. September 2014

Eltern, britische Ärzte und Justiz haben lange um das Schicksal des krebskanken Jungen Ashya King gerungen. Nun erhält er eine Protonenstrahltherapie in Prag. Was genau ist das - und vor allem: Wie könnte es helfen?

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Tschechien Krebskranker Junge Ashya King in Prag (Foto: Picture alliance/dpa/F. Singer).
Aysha King und seine Eltern kommen am Motol-Krankenhaus in Prag anBild: picture-alliance/dpa/F. Singer

Der Fall hatte die britische Öffentlichkeit tagelang in Atem gehalten: Naghmeh und Brett King, die Eltern des fünfjährigen Ashya, der an einem Hirntumor leidet, hatten ihren Sohn gegen den Willen der dortigen Ärzte aus einem britischen Krankenhaus mitgenommen und waren nach Spanien ausgereist. Dort - so ihre Hoffnung - sollte Ashya eine Protonenstrahltherapie erhalten, die in Großbritannien in der Form nicht angeboten wird.

Dramatisch wurde die Affäre, als die Eltern im südspanischen Málaga vorübergehend für zwei Tage inhaftiert worden waren. Die spanische Polizei hatte damit auf eine Anzeige der britischen Behörden reagiert, die den Eltern Kindesmisshandlung vorwarf. Mittlerweile haben die Behörden die Anzeige allerdings zurückgezogen. Und Ashya soll am Proton Therapy Center (PTC), einer Privatklinik in Prag, behandelt werden.

Gefährlicher Tumor im Kleinhirn

Einen ersten Hirntumor hatten Ashya bereits die britischen Ärzte entfernt. Jetzt geht es darum, sämtliche noch verbliebenen Krebszellen abzutöten. "Wir können hundertprozentig sagen, dass wir Ashya behandeln können", sagt Iva Tatounova, Strategische Direktorin am PTC, zuversichtlich. "Letzte Woche haben wir alle notwendigen Dokumente zu Ashya und seinem Tumor - einem Medulloblastom - erhalten. Unsere Spezialisten und Ärzte haben in ihrem Gutachten den Fall geprüft", erklärt sie im Gespräch mit der Deutschen Welle. Zudem habe es weitere Konsultationen mit den behandelnden Ärzten in Großbritannien und in Málaga gegeben.

Protonen bekämpfen Tumore zielgenau

Bei der Protonentherapie werden Wasserstoff-Ionen zunächst in einem Teilchenbeschleuniger, einem sogenannten Zyklotron, beschleunigt und dann zielgenau auf den Tumor geschossen. Im Unterschied zur Strahlungsbehandlung mit Photonen in der Form von Röntgenstrahlen ist die Photonenstrahltherapie genauer auf den Tumor ausrichtbar.

Die Teilchen können nämlich so präzise fokussiert werden, dass sie genau in dem Tumor zum Stillstand kommen und dort die meiste Energie entfalten. "Röntgenstrahlen hingegen durchdringen den ganzen Körper und treffen damit auch große Teile des gesunden Gewebes", sagt Branislav Sepesi, Radioonkologe am PTC.

Das PTC nutzt Strahlungsgeräte der belgischen Firma IBA. Das Unternehmen, das 1986 aus dem Zyklotron Forschungszentrum der Katholischen Universität Louvain-la-Neuve in Belgien hervorgegangen ist, stellt mittlerweile solche Geräte in industriellen Kleinserien her.

Das Bestrahlungsgerät im Behandlungsraum des Proton Therapy Center (Foto: PTC, Prag).
Das Bestrahlungsgerät im Behandlungsraum des Proton Therapy CenterBild: Proton Therapy Centre, Prague

In Großbritannien nicht verfügbar

Mittlerweile gibt es Zentren in Kanada, China, Tschechien, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Polen, Russland, Südkorea, Schweden und in den USA, fasst Steffen Greilich, der sich am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg mit medizinischer Physik im Bereich Strahlentherapie befasst, die Entwicklung zusammen. Auch in Großbritannien gibt es eine solche Anlage, allerdings dient die nur zur Behandlung von Augentumoren.

Das britische Gesundheitssystem National Health Service (NHS) schickt Patienten deshalb zur Protonentherapie ins Ausland. 99 britische Kinder wurden 2013 mit dieser Methode behandelt, die meisten von ihnen in den USA.

Streit um Behandlungsstrategie

Der Auseinandersetzung um die Behandlung von Ashya liegt eine Meinungsverschiedenheit über die richtige Behandlungsstrategie zugrunde: Die behandelnden Ärzte in Großbritannien argumentierten, dass es nur wenige Beweise in seinem Fall dafür gebe, dass eine Protonen-Therapie effektiver sei als eine konventionelle Strahlentherapie. Sein ganzes Gehirn und Rückenmark müssten bestrahlt werden, um alle Krebszellen zu vernichten.

Diese Ansicht teilen die Onkologen in der Prager Klinik indes nicht. Sie sagen, die Protonentherapie sei bei der Behandlung eines Medulloblastoms bei Kindern immer vorzuziehen. Ashya wird voraussichtlich bis zu 30 Dosen der Protonentherapie über einen Zeitraum von fünf bis sechs Wochen erhalten müssen. Das ist bei einer Therapie mit Röntgenstrahlen allerdings ähnlich. Zudem muss der Junge sich zuvor noch einer Chemotherapie am Motol-Krankenhaus in Prag unterziehen.

Mit Ionenstrahlen gegen Krebs

Schwerionen besonders gut für Hirntumoren geeignet

Eine Weiterentwicklung der Teilchenbestrahlung ist die Nutzung von Kohlenstoff-Schwerionen, die zunächst im kalifornischen Berkeley und in Japan erfunden und dann am GSI-Helmholzzentrum in Darmstadt weiterentwickelt wurde und mittlerweile sowohl am Uni-Klinikum Heidelberg praktiziert wird als auch an vier japanischen, zwei chinesischen und einer italienischen Klinik. Weitere Anlagen in Österreich, Deutschland, China und Japan sind gerade im Aufbau.

"Die Kohlenstoff-Ionen sind etwa zwölf Mal schwerer als die Wasserstoff-Protonen", erklärt der Physiker Greilich. "Durch die Masse ist die Streuung, auch als Halbschatten bezeichnet, geringer. Durch die etwa sechsfach höhere Ladung ist die Energieabgabe sehr viel höher - etwa 36-fach. Dadurch wird die DNA der Tumorzellen viel häufiger irreparabel geschädigt. Und das passiert am Ende der Eindringstrecke, also im Tumor." Um den gleichen Tumor erfolgreich zu bekämpfen, brauchen Schwerionen deshalb nur etwa ein Drittel der Energie von Protonen, sagt Greilich. Auch ist der Streuschatten bei Schwerionen geringer. Es ist also möglich, den Tumor noch präziser zu treffen.

Geringe Auslastung

Obwohl weltweit immer mehr Kliniken die üblichere Protonenbestrahlung anbieten, hat sie nach wie vor Schwierigkeiten, auf dem Markt Fuß zu fassen. Bisher wurden in der Prager Klinik, die 2012 ihren Betrieb aufnahm, erst mehrere hundert Menschen behandelt. Das liegt weit unter der Kapazität von etwa 2000 möglichen Patienten im Jahr.

Aber PTC-Direktorin Iva Tatounova glaubt, dass es mehr werden, wenn die Behandlung erst einmal größere Anerkennung bei Onkologen und Krankenversicherungen erreicht. Die Behandlung eines Hirntumors kostet etwa 80.000 Euro.

Protonenstrahltherapie-Patient Joe Tuftnell in Prag (Foto: Rob Cameron).
Joe Tuftnell hat sich für die Therapie entschieden - ohne seine britischen Ärzte zu fragenBild: Rob Cameron

Debatte um Wirksamkeit gegen Prostatakrebs

Mediziner in verschiedenen Ländern greifen auch unterschiedlich schnell zur Protonentherapie. So wird die Methode in den USA immer häufiger zur Behandlung von Prostatakarzinomen genutzt, obwohl nicht alle Mediziner vom Sinn dieser Maßnahme überzeugt sind.

Das Problem: Während der Bestrahlung bewegt sich die Prostata. Deshalb ist es schwierig, den Tumor mit der Protonenbestrahlung zielgenau zu treffen. Genaue klinische Erfahrungswerte über Erfolg und Misserfolg der Therapie gibt es indes noch nicht.

Joe Tuftnell ist gebürtiger Tscheche - lebt aber in Großbritannien. Er hat sich für die Behandlung in Prag entschieden - ohne das Wissen seines britischen Hausarztes. "Als mein Arzt bei mir die Diagnose 'Prostata-Krebs im Frühstadium' stellte und sagte: 'Wir werden dich unter aktive Beobachtung stellen', da habe ich mir gesagt: 'das ist zwar okay, aber der Tumor wird nicht einfach weggehen. Was nützt es also zu warten?'"

Als er dann in Prag von der Behandlungsmethode erfuhr, hat er nicht lange gezögert und sich bestrahlen lassen. "Ich hatte wirklich Glück in Prag zu sein und da auf diese Therapieform aufmerksam zu werden. Ich habe innerhalb einer Woche damit angefangen", erzählt Tuftnell der Deutschen Welle. Er hofft, dass die Therapie angeschlagen hat. Zumindest sei sein PSA-Wert (Prostata-spezifisches Antigen) seit der Behandlung gefallen. PSA kommt im Blut jedes Mannes vor. Erhöhte PSA-Werte gelten aber als ein Marker für Krebs.

"Ich habe meinen Arzt nicht gefragt, ob er es für gut hält oder nicht. Er war ein bisschen verärgert, weil ich ihn nicht konsultiert hatte", sagt Tuftnell. "Ich sehe ihn etwa alle sechs Monate. Er ist sehr interessiert an dieser Therapieform und sagt: 'Wir werden dich jetzt mit Argus-Augen beobachten.'" Gekostet hat seine Behandlung rund 19.000 Euro.