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Protest auf dem Campus - die Universität Goma

Simone Schlindwein18. Juni 2015

Die Universität Goma im Ostkongo war einmal ein Statussymbol für das ganze Land - heute ist sie Sinnbild des Staatszerfalls und Hochburg des Widerstandes gegen die Regierung. Aus Goma berichtet Simone Schlindwein.

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Studentenkomitee der Uni Goma Foto. DW/ Simone Schlindwein
Studentenkomitee der Universität GomaBild: DW/S. Schlindwein

Im Treppenaufgang der Universität hängt ein Schild mit einer durchgestrichenen Pistole. Waffengebrauch verboten - so die Botschaft. Der Geruch von Urin wabert durch die dunklen Flure. Die Wasserversorgung für die Toiletten ist seit Jahren abgestellt. Das vierstöckige Gebäude galt bei seiner Erbauung in den 1980er Jahren einmal als Statussymbol. Das war noch zu Zeiten von Diktator Mobutu Sese Seko, damals hieß das Land auch noch Zaire. Heute, nach 20 Jahren Bürgerkrieg, ist die Universität in der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma Sinnbild für den Verfall des Staates Demokratische Republik Kongo. Tiefe Risse ziehen sich durch das bröckelige Gemäuer, Einschusslöcher sprenkeln die Fassade. Die Fensterscheiben sind zerborsten. Wenn es regnet, tropft es durch die Decke.

16.000 Studenten ohne eine einzige Toilette

Hörsaal in der Uni Goma Foto: DW/ Simone Schlindwein
Kaum Stühle, kein Strom: ein Hörsaal in der Universität GomaBild: DW/S. Schlindwein

Die Studentenvertretung hat ihr Büro im ersten Stock. Von der Decke hängt eine Glühbirne, doch der Strom ist schon seit Jahren abgestellt. Studentensprecher Kambere Lumumba studiert im dritten Semester Elektrotechnik, in einem Vorlesungssaal, in dem es nicht genügend Stühle, geschweige denn eine Steckdose gibt. Er wolle an den Bedingungen etwas ändern, sagt er. Er habe sich bei der Verwaltung und selbst bei der Regierung über den Zustand der Universität beschwert. "Doch sie alle tun so, als gäbe es uns gar nicht. Aber hier herrschen fast unmenschliche Bedingungen". Auf dem Campus gehen 16.000 Studierende täglich ein und aus - ohne eine einzige funktionierende Toilette, ohne Kantine, ohne genügend Sitzmöglichkeiten. "Aber jedes Mal, wenn wir uns beschweren, heißt es von Seiten der Regierung, wir würden der Opposition nahestehen. Das ist typisch für unser Land." Das Studium sei sehr kostspielig - gleichzeitig müssten die Studenten unter schlechten Bedingungen studieren, sagt Lumumba. "Aber wir können das nicht weiter akzeptieren. Deswegen beschweren wir uns weiter, bis die Verantwortlichen verstehen, dass wir hier leiden."

Immerhin, im vergangenen Jahr wurde zumindest die Fassade neu gestrichen. In einem dunklen blau – die Farbe einer Telekommunikationsfirma. Diese hat das höchste Gebäude der Millionenstadt als Werbefläche entdeckt und den Anstrich bezahlt. Die einzige Investition seitens der Regierung war in den vergangenen Jahren das Schild "Waffen verboten". Denn jüngst kam es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen auf dem Campus: Schlägereien, Schießereien, sogar Tote. Der seit 20 Jahren anhaltende Bürgerkrieg setzt sich bis in die Uni hinein fort - die Studenten sind entlang ethnischer Gruppen gespalten. Studentensprecher Lumumba bemüht sich, die Studierenden zu einen, damit sie sich gemeinsam für ihre Interessen einsetzen.

Ein Mitglied von Lucha demonstriert in Goma Foto: JUNIOR D.KANNAH/AFP/Getty Images
Ein Mitglied der La-Lucha-Bewegung demonstriert in Goma für sauberes TrinkwasserBild: D.Kannah/AFP/Getty Images

"Man wirft uns immer vor, dass hier auf dem Campus die Probleme der ganzen Region angefangen haben sollen. Doch wie überall im Land werden die Probleme von kriminellen Anführern angezettelt. Auch hier auf dem Campus." Die Vorsitzenden der verschiedenen Fakultäten hätten die Studentenschaft gegeneinander aufgehetzt. Aber Lumumba und seine Kommilitonen hätten davon jetzt genug. "Wir wollen alle Studierenden vereinen und die internen Konflikte beilegen. Wir wollen nicht, dass der Campus ein Schlachtfeld ist, sondern eine wissenschaftliche Einrichtung."

Proteste, Verhaftungen, Tote

Das Universitätsgebäude von Goma Foto. DW/ Simone Schlindwein
Einst glanzvoll, heute vernachlässigt: das Universitätsgebäude von GomaBild: DW/S. Schlindwein

Dennoch wurde in diesem Jahr die Uni immer wieder zum Austragungsort von Gewalt. Im Januar begannen die Studenten mit ihren Protesten gegen die Regierung: nicht nur aufgrund der schlechten Studienbedingungen, sondern auch wegen der Zustände im ganzen Land, wegen Korruption und Misswirtschaft. Landesweit in fast allen Großstädten gingen die Studenten auf die Straße. Sie wollten zu einer Revolution aufrufen wie in Bukina Faso, erklärt Luc Lukula, der Anführer der Protestbewegung in Goma, die sich "La Lucha" nennt. Lukula ist ehemaliger Studentensprecher. "Die Polizei ist sehr hart gegen uns vorgegangen. Es gab sogar Tote. Offiziell haben sie vier Tote gemeldet. Aber wir haben elf Leichen gezählt. Eine Regierung kann aber doch nicht einfach Leute erschießen, weil sie protestieren." Die Regierung wolle jetzt die Verfassung ändern, zugunsten einer dritten Amtszeit Kabilas. "Aber wir von La Lucha glauben, das ist keine gute Idee. Die Leute sagen, wir seien sehr radikal, aber das sind wir nicht. Wir fürchten, dass auch die Oppositionsführer, wenn sie an die Macht kommen, sich nur bereichern wie die derzeitigen Herrscher." Die wahre Alternative sei, so Lukula, der Bevölkerung Bildung zu ermöglichen, damit sie ihre Rechte einfordern könne. "Doch unsere Bevölkerung fordert nichts ein, obwohl es in unserem Land so schlimm zugeht. Warum? Wir brauchen ein neues System. Und das beginnt mit Bildung, und zwar an der Basis."

Trotz der Proteste, der Verletzten und Toten, hat sich am Zustand der Universität in Goma nichts geändert. Im Gegenteil, die Studentenvertreter wurden vom Geheimdienst verhaftet und misshandelt. Der Chef von La Lucha und Anführer der landesweiten Proteste, Fred Bauma, sitzt seit Januar in der Hauptstadt Kinshasa in Haft – ohne Anklage. Nächstes Jahr sind Wahlen anberaumt in der Demokratischen Republik Kongo.. Präsident Joseph Kabila darf laut Verfassung nicht zu einer dritten Amtszeit antreten. Die Studenten fürchten, dass er es ähnlich wie in Burundi dennoch versuchen wird. Dann wollen sie ebenfalls zu Massenprotesten aufrufen, sagen sie.

Proteste in der Hauptstadt Kinshasa im Januar 2015 Foto: REUTERS/Jean Robert N'Kengo
Proteste in der Hauptstadt Kinshasa im Januar 2015Bild: Reuters/J. R. N'Kengo