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"Müssen eine Vereinbarung mit der Hamas finden"

Nils Naumann29. Juli 2014

Wenn Israel nicht den Gazastreifen erobern wolle, gebe es keine Alternative zu Verhandlungen mit der Einheitsregierung aus Fatah und Hamas, sagt Avi Primor, der frühere israelische Botschafter in Deutschland, der DW.

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Avi Primor Oktober 2013
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Zunächst ging es um Ruhe vor den Raketenangriffen der Hamas, dann kam die Zerstörung der Hamas-Tunnel ins Spiel, inzwischen ist von einer vollständigen Entmilitarisierung des Gazastreifens die Rede - welches Kriegsziel verfolgt Israel?

Avi Primor: Israel verfolgt nicht das Ziel, den Gazastreifen neu zu erobern. Es gibt Stimmen, die das verlangen, vor allem der Außenminister Liebermann. Aber das will die Regierung nicht und die Streitkräfte auch nicht. Wir wollen überhaupt den Gazastreifen so wenig wie möglich penetrieren. Wir wollen Ruhe erzielen und vor allem die Tunnel zerstören, die man unter der israelischen Grenze gebaut hat. Und dann wollen wir einen Waffenstillstand.

Nun fordert Premierminister Benjamin Netanjahu aber inzwischen auch immer wieder die Entmilitarisierung des Gazastreifens. Wie soll das konkret aussehen?

Benjamin Netanjahu (Foto: dpa)
Langer Waffengang: Benjamin NetanjahuBild: picture-alliance/dpa

Die Entmilitarisierung von Gaza ist ein Ziel, das wir nicht in diesem Krieg erreichen werden. Das ist uns klar. Aber es muss Teil der Verhandlungen sein, die im Nachhinein stattfinden sollen. Und wir werden darauf bestehen. Ob man das dann auch erreicht, ist eine andere Frage.

Wenn, dann könnte eine Entmilitarisierung nur unter internationaler Kontrolle, mit einer internationalen Armee und der Unterstützung von Ägypten und der Ramallah-Regierung von Präsident Abbas erreicht werden. Aber auch nur schrittweise. Doch das ist Zukunftsmusik.

Im Moment würde sich doch kein Staat bereit erklären, dort Truppen hinzuschicken.

Natürlich nicht. Aber die Forderung nach einer Entmilitarisierung ist eigentlich israelische Innenpolitik. Netanjahu will zeigen, dass er auch langfristig für die Sicherheit der Israelis sorgt. Wir sehen ja, dass sich diese Kriege mit dem Gazastreifen alle paar Jahre wiederholen. Also sucht Netanjahu eine langfristige Lösung. Für mich wären Friedensverhandlungen eine langfristige Lösung. Das will Netanjahu aber nicht. Also versucht er, der israelischen Bevölkerung die Entmilitarisierung des Gazastreifens als Ziel zu verkaufen.

Eine Entmilitarisierung des Gazastreifens würde auch eine Schwächung der Hamas bedeuten. Bestünde da nicht die Gefahr, dass andere noch radikalere und noch unkontrollierbarere Gruppen in das entstehende Machtvakuum vorstoßen?

Also ich sehe keinen Unterschied zwischen der Hamas und anderen extremistischen Organisationen. Der Gazastreifen ist winzig klein. Es geht um 300 Quadratkilometer. Von uns und Ägypten total umzingelt. Da haben diese Gruppen wenig Spielraum. Sie können nur das tun, was die Hamas macht. Also macht es für uns keinen Unterschied.

Ist es also eine gute Idee, die Hamas zu schwächen?

Es macht Sinn, die Hamas militärisch zu schwächen. Weil sie uns angreifen, uns beschießen, weil sie unter unserem Boden Tunnel bauen, um Terroranschläge auszuüben. Da müssen wir alles Mögliche tun, um ihnen das Handwerk zu legen. Ich glaube aber, dass man sie nur teilweise schwächen kann. Wenn wir den Gazastreifen nicht erobern wollen, müssen wir letztlich eine Vereinbarung mit der Hamas finden.

Es gibt eine vereinte Technokratenregierung von Hamas und Fatah in Ramallah, unter Präsidentschaft von Mahmud Abbas. Mit der sollten wir verhandeln. Die haben wir bisher abgelehnt. Wenn wir den Gazastreifen nicht erobern wollen, haben wir keine Alternative, als mit dieser Regierung zu verhandeln.

Bombenziel: Das Haus von Hamas-Führer Haniyeh (Foto: dpa)
Bombenziel: Das Haus von Hamas-Führer HaniyehBild: Reuters

Politisch könnte die Hamas also indirekt auch ein Verhandlungspartner sein?

Ein stiller Verhandlungspartner. Das heißt, die Hamas könnte der palästinensischen Regierung in Ramallah das grüne Licht geben, mit uns zu verhandeln. Sie selber werden mit uns nicht sprechen. Es sei denn über technische Arrangements. Aber nicht über den Frieden. Die Anerkennung von Israel widerspricht der Ideologie der Hamas. Aber wenn sie dem Palästinenserpräsidenten freie Hand geben, kann man Fortschritte erzielen.

Das wäre dann auch für Israel akzeptabel?

Heute ist es nicht akzeptabel. Aber ich glaube, nach diesem Krieg im Gazastreifen wird das vielleicht der einzige Ausweg für die Regierung sein. Ich glaube, dass Netanjahu es heute schon versteht. Ob es alle in seinem Lager verstehen, bin ich mir nicht sicher. Aber er wird es vielleicht mit internationaler Hilfe durchsetzen können.

Der Gazastreifen leidet seit Jahren unter einer Blockade. Nicht nur die Hamas fordert ein Ende der Isolierung und eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Wie stehen Sie zu solchen Forderungen?

Ich halte es für wünschenswert, dass die Lebensbedingungen der Palästinenser im Gazastreifen erheblich verbessert werden. Erst dann kann man auch von einer Entmilitarisierung oder überhaupt von Ruhe sprechen. Wenn die Palästinenser im Gazastreifen unter Druck sind und persönlich so sehr leiden, dann werden sie immer die Extremisten in der Hamas oder andere Organisationen unterstützen, weil sie dann nichts zu verlieren haben. Aber auch aus humanistischen Erwägungen glaube ich, dass es keinen Grund gibt, dass die Bevölkerung im Gazastreifen so sehr leidet und so sehr im Elend lebt.

Avi Primor war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland. Er ist Vorsitzender der Israelischen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Das Gespräch führte Nils Naumann.