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Camerons Flucht nach vorn?

31. Mai 2014

Kanzlerin Merkel beteuerte ihre Unterstützung für den Luxemburger Juncker als nächsten EU-Kommissionschef. Sie suche aber auch eine Lösung "im Konsens". Wurde sie vom britischen Premier Cameron unter Druck gesetzt?

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Der britische Premierminister David Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem EU-Gipfel (foto: reuters)
Bild: Reuters

Zweifellos hatte der britische Premierminister nach dem erdrutschartigen Erfolg der EU-Gegner in seinem Land bei den jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament schlaflose Nächte. David Cameron beeilte sich zunächst, Forderungen nach einem baldigen Referendum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens vehement zurückzuweisen und bekräftigte seine Ablehnung für den Spitzenkandidaten der Christdemokraten und Konservativen, den Ex-Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker. Nun berichtet das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", der Londoner Premier habe indirekt sogar mit dem EU-Austritt seines Landes gedroht, sollte Juncker neuer Präsident der EU-Kommission werden.

Beim EU-Gipfel am vergangenen Dienstag habe Cameron unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Warnung unter Druck gesetzt, er könne bei einem Votum für Juncker den Verbleib Großbritanniens in der EU nicht länger garantieren. Für den Briten wäre ein Kommissionspräsident Juncker, der seit drei Jahrzehnten die Brüsseler Politik prägt, ein falsches Signal. Laut "Spiegel" soll Cameron den Luxemburger mit den Worten abqualifiziert haben: "Ein Gesicht der 80er Jahre kann nicht die Probleme der nächsten fünf Jahre lösen".

Unter Berufung auf Teilnehmerkreise berichtet das Magazin, Cameron befürchte eine Destabilisierung seiner konservativ-liberalen Regierung. In der Folge müsste möglicherweise ein Austrittsreferendum vorgezogen werden, das mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Nein der Briten zur EU-Mitgliedschaft führen werde.

Premier in London angeschlagen

Cameron steht auf der Insel unter massivem Druck konservativer Parteifreunde, aber auch der rechtspopulistischen und europakritischen Partei UKIP, die bei der Europawahl mehr als ein Viertel der Wählerstimmen gewonnen hatte.

Die europäischen Parteienfamilien waren bei der Europawahl vor einer Woche erstmals mit europaweiten Spitzenkandidaten in den Wahlkampf gezogen, die als Anwärter für den Posten des Kommissionspräsidenten galten. Beim EU-Gipfel am Dienstag war Juncker als Wahlsieger allerdings noch nicht offiziell für den mächtigsten EU-Posten nominiert worden - nach Diplomatenangaben waren sogar einige konservative Staats- und Regierungschefs dagegen. Neben Großbritannien kam Widerstand auch aus Ungarn und Schweden.

Kanzlerin taktiert

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich am Freitag noch einmal öffentlich für Juncker stark gemacht, nachdem sie eine Festlegung lange vermieden hatte. Die Zurückhaltung der Kanzlerin löste bei den anderen deutschen Parteien Kritik aus, da Juncker als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) auch für die CDU hierzulande Wahlkampf gemacht hatte. Die Sozialdemokraten, die EU-Parlamentschef Martin Schulz ins Rennen schickten, hatten schon früh Kompromissbereitschaft signalisiert.

Grüne liebäugeln mit Konservativem

Im Machtpoker um das Amt des EU-Kommissionschefs deuteten auch europäische Grünen-Politiker Unterstützung für den konservativen Kandidaten an. Obwohl er an Juncker "viel zu kritisieren" habe, rate er seinen Parteikollegen dazu, ihm im EU-Parlament "eine Mehrheit zu sichern", sagte der scheidende Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit der "Frankfurter Rundschau".

Prominente Grüne in Berlin und Straßburg ließen eine Unterstützung für Juncker erkennen, stellten aber programmtische Bedingungen, etwa in der europäischen Energie- und Klimapolitik oder beim geplanten Freihandelsabkommen mit den USA.

Juncker gibt sich zuversichtlich

Im Gespräch mit der "Bild am Sonntag" zeigte sich Juncker selbst zuversichtlich, dass er neuer Kommissionspräsident wird. "Im Europäischen Rat unterstützt mich eine breite Mehrheit christdemokratischer und sozialistischer Staats- und Regierungschefs", sagte er der Zeitung. In den kommenden Wochen sollten "auch die übrigen Regierungschefs mit an Bord" geholt werden.

Juncker forderte seine Unterstützer auf, sich bei ihrer Entscheidung nicht dem Druck einer Minderheit zu beugen. "Europa muss sich nicht erpressen lassen", meinte er.

SC/pg/gri (dpa, afpe, rtre, APE)