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Holland an der Havel

Theresa Tropper8. Juni 2012

Mehr als hundert Häuser reihen sich aneinander: unverputzt, aus rotem Backstein, mit weißen Holzfenstern. Mitten in Potsdam formen sie ein einzigartiges Beispiel niederländischer Baukunst – das Holländische Viertel.

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Holländisches Viertel in Postdam: Häuserzeile im Holländischen Viertel; Copyright: DW/T. Tropper
Holländisches Viertel in PostdamBild: DW/T. Tropper

Schulter an Schulter stemmen sich die roten Klinkerbauten gegen den Wind und recken ihre Glockengiebel in den wolkenverhangenen Junihimmel. In ihrer Schlichtheit wirken sie wie eine holländische Enklave zwischen all den preußischen Prunkbauten der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam.

Touristen schlendern durch die Gassen und versuchen, die Atmosphäre des Viertels mit ihren Fotoapparaten einzufangen. Als plötzlich Nieselregen einsetzt, suchen sie Schutz in einem der vielen Cafés; stilecht bei holländischem "Koffie" und "Poffertjes" – bei Kaffee und einer niederländischen Gebäckspezialität, die kleinen Pfannkuchen ähnelt.

Hans Göbel stört der Regen nicht. Auf seinem Weg durch das Quartier bleibt er immer wieder stehen, unterhält sich mit befreundeten Galeristen und Lokalbesitzern. Als Vorsitzender des "Fördervereins zur Pflege niederländischer Kultur in Potsdam" kennt er das Holländische Viertel wie wenige sonst, weiß um seine Einzigartigkeit: "Die Preußen haben es mit deutscher Gründlichkeit errichtet. Selbst in den Niederlanden gibt es kein Wohngebiet, das den Stil dieser Bauzeit so konsequent befolgt."

Holländische Kulisse, internationales Flair

Baumeister des Viertels war der Niederländer Jan Bouman. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde er vom preußischen König Friedrich Wilhelm I. beauftragt, das dortige Sumpfgebiet trockenzulegen und ein Wohnviertel nach holländischem Stil zu errichten. So sollten niederländische Handwerker angelockt werden, die damals zu den besten in ganz Europa zählten.

Holländisches Viertel in Postdam: Touristen in einem Café im Holländischen Viertel; Copyright: DW/T. Tropper
Nicht nur bei niederländischen Touristen ist diese Ecke Potsdams sehr beliebtBild: DW/T. Tropper

Obwohl ihnen in Aussicht gestellt wurde, dass sie die Häuser geschenkt bekämen, ging die Strategie nicht auf: Die Fachleute aus dem Nachbarland kamen nicht so zahlreich wie gewünscht; stattdessen zogen französische und preußische Handelsvertreter, Künstler und Soldaten ein.

Auch heute noch ist die Atmosphäre international. In den alten Typenhäusern gibt es italienisches Essen, deutsches Kunsthandwerk und französische Boutiquen. Nur in den Kneipen des Viertels wird verschiedenes holländisches Bier ausgeschenkt. „Das wird gerne getrunken", sagt ein Wirt und schmunzelt, "und zwar nicht nur von den Touristen, sondern auch von den Einheimischen."

Alter Glanz nach der Wende

In den insgesamt 134 Häusern leben heute etwa tausend Menschen. Hans Göbel ist dem Charme des Quartiers schon vor mehr als einem viertel Jahrhundert verfallen. "Das Flair des Viertels hatte es mir einfach angetan", erinnert er sich. Mit seiner Familie zog der gebürtige Leipziger Mitte der Achtziger Jahre nach Potsdam, sanierte auf eigene Faust eines der Häuser in der Mittelstraße. Damit war er einer der Ersten.

Holländisches Viertel in Postdam: Hans Göbel (Vorsitzender des Fördervereins zur Pflege niederländischer Kultur in Potsdam) und Theresa Tropper (Autorin) bei Koffie und Poffertjes im Holländischen Viertel; Copyright: DW/T. Tropper***ACHTUNG: Das Bild darf ausschließlich im Rahmen einer Berichterstattung (über Hans Göbel und das Holländische Viertel) genutzt werden***
Bauverwalter Hans GöbelBild: DW/T. Tropper

Denn zu Zeiten deutscher Teilung waren fast alle Häuser im Viertel baufällig. Wenige Jahre zuvor hatte es sogar Pläne gegeben, die alten Bauten ganz abzureißen. Engagierte Bürger konnten das gerade noch verhindern. Nach der Wende wurden die meisten Häuser restauriert – und zwar nach strengen Auflagen: Jedes der Häuser steht unter Denkmalschutz, darf in seinem Aussehen nicht grundsätzlich verändert werden. Außerdem muss das Gesamtbild des Viertels gewahrt bleiben.

Eine Herausforderung, die auch Hans Göbel reizte. Als Leiter der Bauverwaltung kam er her, kümmerte sich tagsüber um die Gebäude der Universität Potsdam – die damals noch Pädagogische Hochschule hieß – und "nach Feierabend ging es dann zuhause weiter." Heute erstrahlen fast alle Häuser im Holländischen Viertel wieder in altem Glanz.

Ein Museum und viele Feste

Eines der Häuser vermittelt Besuchern noch immer einen authentischen Eindruck davon, wie das Leben im 18. Jahrhundert aussah: Das Jan Bouman Haus im Zentrum des Quartiers, in dem der niederländische Kulturverein inzwischen ein Museum betreibt. Neben einer Ausstellung über die Geschichte des Viertels finden sich in den großzügig geschnittenen Räumen auch Möbel und Hausrat aus der Zeit seiner Gründung: ein großer offener Kamin, ein Webstuhl und ein mit Holzkohle betriebener Herd.

Holländisches Viertel in Postdam: Straßenzug mit Blumekasten im Holländischen Viertel.
Vor dem Verfall gerettet: auch dank privater Investoren wurde das Viertel liebevoll restauriertBild: DW/T. Tropper

Bei Touristen ist das Holländische Viertel beliebt. Allein zu kulturellen Höhepunkten wie dem Tulpenfest im April kommen jedes Jahr Zehntausende. "Dann ist hier richtig was los", erzählt Göbel mit glänzenden Augen. "Es gibt traditionelle Musik, viele Blumen und jede Menge Käse. Das volle Programm." Dann erfüllt sich nach mehr als 200 Jahren auch der Wunsch des Gründervaters des Viertels: Auf Einladung des Kulturvereins kommen ganze Busse aus dem Nachbarland und das Holländische Viertel wird – zumindest für kurze Zeit – endlich von Niederländern bevölkert.