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Positive Notlösung

Veronika Grandke24. Juli 2014

In Deutschland fehlen Schulklassen, die für ausländische Schüler ausgerichtet sind. Eine Schule in Halle/Saale hat sich vorübergehend Abhilfe geschaffen und wirft damit Licht auf ein vernachlässigtes Problem.

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Syrische Schüler in einem Klassenzimmer in Halle/Saale (Foto: Veronika Grandke/DW)
Bild: DW/V. Grandke

Die 16-jährige Hewa Daoud kommt aus Hasaka einer Stadt im Nordosten Syriens. 2011 floh sie mit ihrer Familie vor dem syrischen Bürgerkrieg. Erst in die Türkei, dann durch Bulgarien und Griechenland, bis sie schließlich nach Deutschland kam. Doch in Deutschland gab es für die junge Kurdin nur Leerlauf, in die Schule konnte sie nicht gehen. In ihrer vorerst neuen Heimat, in Halle/Saale in Sachsen-Anhalt, ist das nun wieder möglich. Auch Hewas Klassenkameradin Rama Hamida floh mit ihrer Familie aus Syrien. "Auch dass es keine Bildung mehr gibt, ist für viele ein Grund, Syrien zu verlassen. Unsere Schulen sind kaum auf, wir sind nicht mehr oft in die Schule gegangen", sagt Rama, die aus Aleppo stammt. Sie sei auch nach Deutschland gekommen, um ihre Ausbildung abzuschließen."

Internationale Klassen fehlen

Hewa Daoud und Rama Hamida müssten eigentlich in die 9. oder 10. Klasse gehen, aber ihr Deutsch ist noch nicht gut genug. Am besten aufgehoben wären sie daher in einer internationalen Klasse, wo alle Schüler Deutsch lernen. Doch in Halle gibt es nicht genug internationale Klassen. Schüler und Schülerinnen, die dort keinen Platz mehr bekommen, müssen deshalb in herkömmliche Klassen, auch wenn sie dem deutschsprachigen Unterricht kaum folgen können.

Im hallescher Stadtteil Neustadt sind in diesem Schuljahr deshalb mehrere syrische Kinder und Jugendliche an einer Schule untergekommen. Uwe Böge unterrichtet hier als Förderschullehrer. Als er merkte, dass die syrischen Schülerinnen und Schüler dem Unterricht nicht folgen konnten, betreute er sie in einer Extraklasse zunächst selbst. Da er aber selbst kein Arabisch spricht, stieß er schnell an seine Grenzen.

Außenansicht von einem Schulgebäude mit Schulkindern (Foto: Veronika Grandke/DW)
Etliche syrische Familien sind nach Halle gekommenBild: DW/V. Grandke

Eine Privatinitiative als Notlösung

Deshalb knüpfte Böge Kontakt zum Institut für Germanistik und zum Orientalischen Institut der zur Universität Halle. Von dort holte er studentische Praktikanten der Nahost-Studien und Deutsch als Fremdsprache an die Schule. Studierende, die entweder Arabisch lernen oder sich darauf spezialisieren, Nicht-Muttersprachlern Deutsch beizubringen. "Eine positive Notlösung für die Kinder, denn ohne diese Lösung würden sie in den Klassen nichts verstehen, dann gehen sie unglücklich nach Hause und der soziale Abstieg ist programmiert."

Im letzten Herbst konnte an der Schule durch Böges Privatinitiative eine Extraklasse eingerichtet werden - mit inzwischen 18 syrischen Kindern und Jugendlichen. Die jüngsten sind zehn, die ältesten 17 Jahre alt.

Alle profitieren von der Notlösung

Eine der Nahost-Studentinnen, die mit den Schülern arbeitet, ist Sarah Müller. Arabisch hat sie bisher nur an der Uni gelernt. An der Schule kann sie es nun praktisch anwenden. "Es war eine tolle Erfahrung die Kinder zu unterrichten und viel besser als Arabisch nur stur an der Uni zu lernen", sagt sie. Ihr Praktikum ist eigentlich schon beendet. Doch Sarah Müller hat es freiwillig verlängert.

Förderschullehrer Uwe Böge (Mitte) in Besprechung mit studentischen Praktikanten (Foto: Veronika Grandke/DW)
Studentische Praktikanten werden von Uwe Böge betreutBild: DW/V. Grandke

Notlösung ist kein Dauerzustand

Auch Björn Bentlage kommt von der Uni Halle. Dort arbeitet er als Arabist und unterstützt in der Schule die Praktikanten. Er ist begeistert von deren Engagement, meint aber, dass sie auf Dauer ausgebildete Lehrer und Lehrerinnen nicht ersetzen sollten."Es war von Anfang an als Notlösung geplant, weil das reine Privatengagement nicht ersetzen kann, was eine ordentliche und gut finanzierte internationale Klasse leisten kann." Man könne das nicht mit dem Unterricht vergleichen, der eigentlich von der Schule und vom Land angeboten werden sollte, fährt er fort.

Das Landesschulamt Sachsen-Anhalt will im kommenden Schuljahr 20 Unterrichtsstunden mehr für die syrischen Schüler finanzieren. Doch wie das praktisch umgesetzt werden kann, weiß Förderschullehrer Uwe Böge noch nicht: Für diesen speziellen Unterricht gebe es nicht ausreichend qualifizierte Lehrer.

Studentischer Praktikant vor einer Tafel im Klassenraum (Foto: Veronika Grandke/DW)
Lehren und lernen - Studentische Praktikanten im EinsatzBild: DW/V. Grandke

Schulabschluss für ein Studium in Syrien

Der 15-Jährigen Rama Hamida aus Aleppo ist es vermutlich nicht so wichtig, wer sie unterrichtet. Hauptsache, sie lernt Deutsch und kann in Deutschland einen guten Schulabschluss machen. Einen Traum hat sie schon: Zurück nach Syrien und dort studieren und Ingenierin werden. Die Zeugnisse dazu sollen aber aus Deutschland stammen.