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Poroschenkos erwartete Offensive

Roman Goncharenko1. Juli 2014

Der ukrainische Präsident hat sich gegen eine Fortsetzung des brüchigen Waffenstillstands im Osten des Landes entschieden. Petro Poroschenko tut damit das, was viele Ukrainer von ihm erwarten.

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Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko in einem ukrainischen Militärlager in Swjatohirsk (Foto: REUTERS/Mykhailo Markiv)
Bild: Reuters

"Der Präsident hatte zwei Möglichkeiten: die Anti-Terror-Operation fortzusetzen oder eine schlechte Entscheidung zu treffen", schieb Dmytro Tymtschuk am Dienstag (01.07.2014) im sozialen Netzwerk Facebook. "Zum Glück für die Ukraine" habe sich der Staatschef für ersteres entschieden. Diese Statusmeldung des Kiewer Bloggers, der mehr als 160.000 Abonnenten hat, bekam in wenigen Stunden über 7000 "Gefällt mir"-Klicks.

Kurz nach Mitternacht verkündete Petro Poroschenko das Ende der Waffenruhe in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk an der Grenze zu Russland. Die ukrainische Armee stellte dort ihre Kampfhandlungen gegen prorussische Separatisten am 20. Juni 2014 für eine Woche ein. Danach wurde der Waffenstillstand um drei weitere Tage verlängert. Poroschenko forderte die Separatisten auf, die Waffen niederzulegen und die Ukraine zu verlassen. Doch sein Appell blieb ungehört. Fast täglich gab es neue Kämpfe, Dutzende Soldaten, aber auch Zivilisten starben. Die Chance auf Frieden sei nicht genutzt worden, sagte Poroschenko in seiner Videoansprache. "Wir gehen in die Offensive und werden unser Land befreien", so der Präsident.

Präsident unter Druck

Mitglieder des Freiwilligen-Bataillons "Donbass" schließen sich der ukrainischen Nationalgarde an (Foto: REUTERS/Valentyn Ogirenko)
Mitglieder des Selbstverteidigungs-Bataillons "Donbass" schließen sich der ukrainischen Nationalgarde anBild: Reuters

Poroschenko stand seit Tagen zunehmend unter Druck. Die Europäische Union und in erster Linie Deutschland plädierten für eine Verlängerung der Waffenruhe. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin, dem Kiew vorwirft, die Separatisten zu unterstützen, sprach sich dafür aus.

In der Ukraine jedoch ist die Stimmung anders. Viele haben wohl ähnlich wie der Blogger Tymtschuk auf die Ansprache des Präsidenten reagiert. Es gibt zwar keine Umfragen dazu, wie man mit den Separatisten in der Ostukraine umgehen soll, doch sowohl in sozialen Netzwerken als auch auf der Straße wurde immer lauter eine militärische Lösung gefordert. Am Wochenende riefen Tausende auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in der Hauptstadt Kiew dazu auf, die Bekämpfung der Separatisten wiederaufzunehmen. Hunderte freiwillige Kämpfer drohten Poroschenko indirekt mit einem Umsturz, sollte er weiter zögern.

Kritik an Waffenruhe

Ihor Luzenko ist einer der Anhänger einer harten Hand. "Verhandlungen mit Terroristen haben nie zu positiven Ergebnissen geführt", sagte der Kiewer Aktivist in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Die abtrünnigen Regionen Transnistrien in der Republik Moldau oder Abchasien und Südossetien in Georgien seien der Beweis dafür. Alle diese Regionen würden so nur ihren Status quo aufrechthalten. Luzenko und viele andere Aktivisten in Kiew glauben, dass Verhandlungen und Waffenruhen die Separatisten nur stärken.

Auch unter Politikern gibt es Stimmen für eine militärische Lösung. Die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, die gegen Poroschenko bei der vorgezogenen Präsidentenwahl Ende Mai verloren hatte, plädiert dafür. "Frieden muss man erkämpfen", sagte Timoschenko vor einigen Tagen.

Stimmung auf der Kippe

Wie die Ukrainer zu dem Konflikt im Osten des Landes stehen, hängt dem Kiewer Politik-Experten Ihor Popow zufolge davon ab, wo sie leben. "Die meisten Bürger des Landes erhalten Informationen aus ukrainischen Medien und glauben, dass nur einige tausend Söldner auf Seiten der Separatisten kämpfen", sagte der Experte der DW. "Deshalb sind sie der Ansicht, man könne diese Söldner militärisch leicht besiegen", so Popow.

Prorussische Seperatisten leisten Schwur auf die "Republik Donezk" (Foto: Alexander KHUDOTEPLY/AFP/Getty Images)
Prorussische Separatisten schwören vor dem Lenin-Denkmal in Donezk auf die selbsternannte "Volksrepublik"Bild: Alexander Khudoteply/AFP/Getty Images

Die Menschen im Osten der Ukraine dagegen können weitgehend kein ukrainisches Fernsehen mehr empfangen. Geblieben sind ihnen nur noch russische Sender, in denen die ukrainische Armee als Gefahr dargestellt wird. Viele Menschen in diesen Gebieten stünden deshalb auf der Seite der Separatisten und würden ein Ende der Kampfhandlungen fordern, erläuterte Popow.

Diese Einstellung könnte sich jedoch ändern, glaubt Boris Wojnarowski vom Donezker Institut für soziale und politische Studien. Manche Ostukrainer haben auf ein besseres Leben mit russischer Hilfe gehofft, sagte er der DW. "Stattdessen kamen bewaffnete Leute, die sich nicht besonders höflich verhalten." Deshalb sei so mancher enttäuscht. Es gebe aber auch Bürger, die nach den vielen Toten und Verletzten unter der Zivilbevölkerung nun endgültig gegen die zentrale Regierung in Kiew seien, so Wojnarowski. Zu wessen Gunsten die Stimmung in der Ostukraine kippt - Richtung Russland oder Richtung Ukraine - dürfte sich in den kommenden Tagen und Wochen zeigen.