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Popularitätsschub für die Hamas

Andreas Gorzewski16. November 2012

Der einwöchige Beschuss zwischen Israelis und Palästinensern lässt die Rivalität innerhalb der Palästinenser in den Hintergrund treten. Die Kämpfe haben das Ansehen der Hamas auch im Westjordanland erhöht.

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Rauch über Gazastadt (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Israel könne den Gaza-Streifen nicht besiegen - so verkündete es Hamas-Exilchef Chaled Meschaal trotzig. Die Worte waren vermutlich mehr an die Palästinenser als an die Israelis gerichtet. Angesichts der gegenseitigen Angriffe stellte sich nun auch die sonst verfeindete Fatah-Organisation hinter die Hamas. Wenn Palästinenser Opfer sind und wenn sie sich wehren, so die verbreitete palästinensische Sichtweise, müssten alle ihre Differenzen begraben.

Nach Ansicht von Maren Koß, Hamas-Expertin am Hamburger GIGA-Institut für Nahost-Studien, stärkt der Waffengang das Ansehen der Hamas unter den Palästinensern. Während die im Westjordanland regierende Fatah auf Diplomatie setzt, hat die in Gaza herrschende Hamas dem bewaffneten Kampf nie abgeschworen. Im Ringen um die Macht waren beide Seiten auch massiv gegen Anhänger der anderen Gruppe vorgegangen. Viele Menschen in Hebron, Nablus oder Ramallah seien jedoch gegen den Machtkampf, sagt Koß im DW-Gespräch. Die Gefechte hätten das Ringen nun zugunsten der Hamas-Position beeinflusst.

Bessere Lebensbedingungen geschaffen

Das sieht der israelische Politikwissenschaftler Yitzhak Reiter vom Ashkelon Academic College ähnlich. Die Hamas-Führer hätten es nicht geschafft, die Lebensbedingungen im Gaza-Streifen zu verbessern. Nun wollten sie davon ablenken und Handlungsfähigkeit demonstrieren. "Sie wollen vor allem den Palästinensern im Westjordanland zeigen, dass sie einiges erreichen und dass sie getreu ihrer Ideologie handeln, Israel herauszufordern", sagt Reiter.

Chaled Meschaal (Foto: dpa)
Hamas-Führer Chaled MeschaalBild: picture-alliance/dpa

Die 1987 gegründete Hamas, deren Name eine arabische Kurzform für Islamische Widerstandsbewegung ist, will den Staat Israel beseitigen. Das haben Hamas-Führer immer wieder deutlich gemacht. Zahlreiche Anschläge und Angriffe auf Israelis gingen in den vergangenen Jahrzehnten auf das Konto der Organisation. Viele westliche Staaten – darunter auch Deutschland – stufen sie als Terrororganisation ein.

Bedingt verhandlungsbereit

Jenseits der Gewalt haben einzelne Hamas-Führer immer wieder Verhandlungsbereitschaft angedeutet. Sie stellten Gespräche in Aussicht unter der Bedingung, dass Israel sich auf seine Grenzen von 1967 zurückzieht. "Unter bestimmten Umständen könnten sie auch indirekt mit Israel verhandeln, mit der Hilfe von Ägyptern oder Kataris", sagt Reiter. Aber solche indirekten Verhandlungen könnten ihm zufolge höchstens Waffenstillstandsabkommen von fünf oder zehn Jahren zum Gegenstand haben. Direkte Gespräche mit der Bewegung hat Israel jedoch bislang immer brüsk abgelehnt.

Die Hamas will sich nicht nur gegenüber der Fatah profilieren. Im Gaza-Streifen haben sich Gruppen von gewaltbereiten Salafisten eingenistet, die auf eigene Faust Israel angreifen. Ob diese Gruppen die jüngste Eskalation der Gewalt mit einem Anschlag auf Israelis angeheizt haben, ist laut Koß schwer zu sagen. "Die Hamas ist de facto momentan nicht in der Lage, das Gebiet in Gaza vollständig zu kontrollieren", sagt die Forscherin. Die Sicherheitskräfte könnten dort nicht alles im Griff haben.

Die Hamas ist keine einheitliche Organisation. Im Gaza-Streifen regiert Ismail Hanija. Im Ausland vertritt Chaled Meschaal die Exil-Führung und operierte dabei in den vergangenen 15 Jahren von verschiedenen arabischen Hauptstädten aus. Zuletzt galt der Staat Katar als sein bevorzugter Aufenthaltsort.

Maskierte Hamas-Kämpfer (Archivfoto: AP)
Maskierte Hamas-Kämpfer in Gaza-StadtBild: AP

Diese beiden Hamas-Flügel wollen nicht immer dasselbe. Die Gaza-Regierung will der Hamburger Forscherin Koß zufolge die Palästina-Frage wieder mehr ins internationale Bewusstsein rücken. Die Umwälzungen des Arabischen Frühlings hätten aus Sicht der Hanija-Anhänger zu stark von der Lage der Palästinenser abgelenkt. Demgegenüber habe die Meschaal-Gruppe vor allem um politische Anerkennung für sich selbst in der arabischen Welt geworben.

Die Rolle Ägyptens und Katars

Die anderen arabischen Staaten haben durch ihre finanzielle und zuweilen wohl auch militärische Hilfe einigen Einfluss auf die Machthaber in Gaza-Stadt. Der Emir von Katar hatte erst vor Kurzem eine halbe Milliarde US-Dollar versprochen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Besonders groß dürfte der Einfluss der Muslimbruderschaft in Ägypten sein. Hamas und die in Kairo regierenden Muslimbrüder stehen sich ideologisch nahe. Ägyptens Ministerpräsident Hischam Kandil reiste am Freitag (16.11.2012) in das Kampfgebiet und zeigte sich solidarisch mit der Hamas. Allerdings wolle sich die Regierung in Kairo auch nicht allzu eng an die Organisation binden, sagt Koß. Die Führung in Gaza wolle zwar eine gemeinsame Freihandelszone mit Ägypten errichten. "Dem steht aber die Muslimbruderschaft skeptisch gegenüber, weil sie eben auch befürchtet, die Beziehungen zu anderen Ländern dadurch zu gefährden", erklärt die Hamas-Expertin.

Mit welchen Verlusten die Kämpfe zu Ende gehen, ist noch nicht abzusehen. Koß ist jedoch überzeugt, dass die Hamas ungeachtet der Zerstörungen gestärkt aus den Auseinandersetzungen hervorgehen werde. "Diese Popularität hat sie nicht nur im Gaza-Streifen, sondern auch in der Westbank, gerade weil die palästinensische Spaltung ziemlich unpopulär ist in der Bevölkerung."