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Polizei: Wer wacht über die Wächter?

Wulf Wilde14. November 2012

Die meisten deutschen Polizisten verhalten sich korrekt und hilfsbereit. Aber es gibt auch gewalttätige und rassistische Kollegen - und dann fehlt ein unabhängiges Gremium, das ihre Übergriffe untersucht.

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Polizisten durchsuchen 1997 im Hamburger Stadteil St. Georg einen Afrikaner. (Foto: picture-alliance/dpa )
Bild: picture-alliance/dpa

Derege Wevelsiep ist mit seiner Verlobten in Frankfurt mit der U-Bahn unterwegs, als er in eine Fahrkartenkontrolle gerät. Weil der Deutsche äthiopischer Herkunft seinen Ausweis nicht dabei hat, wird er von den hinzugerufenen Polizeibeamten aufgefordert, mit ihnen zu seiner Wohnung zu fahren. Der Weg dorthin endet für Wevelsiep im Krankenhaus - laut ärztlichem Bericht erleidet der 41-Jährige eine Gehirnerschütterung und Prellungen am ganzen Körper. In der Tageszeitung Frankfurter Rundschau erzählt Wevelsiep, dass ihn die Polizisten verprügelt hätten. Die Beamten bestreiten die Vorwürfe.

Die Anschuldigungen sind kein Einzelfall, belegt eine Studie der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zu Polizeigewalt in Deutschland aus dem Jahr 2010. Sie dokumentiert ganz ähnliche Vorfälle und bemängelt, dass es in Deutschland keine unabhängige Beschwerde- und Kontrollinstanz für polizeiliches Fehlverhalten gebe. Mit dieser Kritik steht Amnesty nicht alleine da. Erst im vergangenen Jahr stellte der Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter (UN-CAT) Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus: Denn sowohl im Bund als auch in den Ländern sind es die Staatsanwaltschaft und die Polizei selber, die gegen Polizeibeamte ermitteln. Und nur in zwei Bundesländern gebe es eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte.

Logo der Menschenrechtsorganisation Amnesty International

Namen oder Nummern auf der Uniform

Um die Ordnungshüter zweifelsfrei identifizieren zu können, müssen Beamte der Bereitschaftspolizei in Berlin eine vierstellige Nummer auf ihrer Uniform tragen. In Brandenburg gibt es ab dem 1. Januar 2013 eine entsprechende Regelung.

"Die Kennzeichnungspflicht ist die Bedingung für einen unabhängigen Untersuchungsmechanismus", erläutert Alexander Bosch, Sprecher der Themenkoordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International. Doch Gewerkschaften und Personalräte der Polizei stellen sich quer - sie haben Namen oder Nummern auf der Uniform bisher in den übrigen 14 Bundesländern ebenso wie bei der Bundespolizei verhindert.

Beamte der Bundespolizei führen am Flughafen Frankfurt/Main bei Reisenden, die gerade ihr Flugzeug über die Gangway verlasen haben, eine Dokumentensichtung durch (Foto: dpa)
Wenn Polizisten sich im Ton vergreifen oder handgreiflich werden, wissen Betroffene oft nicht, mit wem sie es zu tun habenBild: picture alliance/dpa

"Wir sind gegen eine Kennzeichnungspflicht, insbesondere gegen eine nummerierte oder individuelle", erklärt Bernhard Witthaut, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, der Deutschen Welle. Denn das führe dazu, dass Polizisten möglicherweise zu Unrecht beschuldigt oder zusätzlichen Gefahren ausgesetzt würden. Ohnehin kursierten im Internet immer mehr Fotos und Videos von Polizeieinsätzen. Auf denen könnten die Beamten dann möglicherweise namentlich identifiziert werden. Witthaut findet nur eine freiwillige Kennzeichnung in Ordnung: "Und das machen bereits 80 bis fast 90 Prozent der Kollegen im täglichen Dienst."

Keine externen Ermittler

Der Polizeigewerkschafter hält auch eine externe Kontrollinstanz für überflüssig. "Wir brauchen aus meiner Sicht keine Ombudsmänner, wir brauchen auch keine generell verpflichtenden Beschwerdestellen", so der GdP-Bundesvorsitzende. Die Polizei sei ja zur Strafverfolgung verpflichtet. "Das bedeutet, dass die dienstlichen Strukturen Instrumente beinhalten, die bereits dafür sorgen, dass die Sachverhalte auch aufgeklärt werden", so Witthaut.

Bernhard Witthaut, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) (Foto: GdP)
Bernhard Witthaut, Vorsitzender der Gewerkschaft der PolizeiBild: GdP

Das sieht Alexander Bosch von Amnesty International anders. "Wir mussten feststellen, dass viele Verfahren gegen Polizeibeamte in Deutschland gar nicht eingeleitet wurden oder wieder eingestellt werden mussten", so Bosch gegenüber der Deutschen Welle. Ein Problem sei, dass viele beschuldigte Beamte gar nicht identifiziert werden könnten, ein anderes, dass "sehr oberflächlich ermittelt" werde. Der Berliner Strafrechtsprofessor Tobias Singelnstein moniert, die Staatsanwaltschaften stellten rund 95 Prozent der Strafverfahren gegen Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt einfach ein. Ein Blick auf die Zahlen des Statistischen Bundesamts bestätigt: Im Jahr 2010 gab es 3989 Verfahren gegen Polizisten wegen mutmaßlicher Straftaten, die im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung standen - in fast 3500 Fällen wurde das Verfahren jedoch gar nicht eröffnet.

Sanktionen unerwünscht

"Wir sehen eine zu starke institutionelle Nähe zwischen der Staatsanwaltschaft und der Polizei", kritisiert Bosch. Daher fordert Amnesty International nicht nur eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte, sondern auch, unabhängige Kontrollinstanzen zu schaffen, wie es sie beispielsweise in Großbritannien, Frankreich oder Portugal gibt.

Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten sieht dringenden Handlungsbedarf - Ombudsmänner oder unabhängige Kontrollmechanismen seien absolut notwendig, denn, so Bundessprecher Thomas Wüppesahl zur Deutschen Welle: "Derzeit funktionieren die ganzen Kontrollorgane nicht oder nur selten."

An Vorbildern für unabhängig arbeitende Aufsichtsgremien mangelt es in Europa nicht - ein Blick nach England oder Irland genügt. Doch die Chance, dass sie auch in Deutschland geschaffen werden, hält Wüppesahl für gering. Denn sowohl auf Seiten der Polizei als auch auf Seiten der Politik fehle dazu der Wille. "Das Interesse ist in der Polizei größer, dass Kollegen ohne Strafe bleiben", so Wüppesahl. "Und von den politischen Parteien hat keiner ein Interesse daran, es sich mit seiner Polizei zu verscherzen."