1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Polizei-Software gegen Nazi-Lieder

Simon Broll 5. Dezember 2013

Mit dem Smartphone gegen Nazis: Die Polizei in Sachsen hat ein Programm entwickelt, das verbotene Musik erkennt. Schon träumen die ersten von einer App gegen Nazi-Songs, Experten aber sind skeptisch.

https://p.dw.com/p/1ATKQ
Neonazi-Konzert in Gera
Bild: picture-alliance/dpa

Sie tragen Namen wie "Auf zum Sturm" oder "Feindbild" und sie sind gefährlich – vor allem für Kinder und Jugendliche. Weil sie zum Rassenhass aufrufen, andere Menschen diskriminieren oder den Nationalsozialismus verharmlosen, landen Lieder aus dem rechten Milieu in Deutschland häufig auf einer schwarzen Liste, dem Index. Solche Werke dürfen in Läden nicht offen zum Verkauf ausliegen, weil sie dort Minderjährigen in die Hände fallen könnten. Auch auf Konzerten mit jungendlichen Besuchern sind die Titel verboten: Die Polizei darf Feiern abbrechen, wenn sie ein indiziertes Lied entdeckt.

Doch die Ermittler haben oft Schwierigkeiten, die verbotenen Songs zu erkennen. Vor allem auf Neonazi-Konzerten mit harter Musik, sogenanntem "Rechtsrock", sei es laut Rainer Wendt schwer, den Überblick zu behalten. "Das ist ein riesiger Krach, weil die Musik ohrenbetäubend laut ist", sagt der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft. "Man kann sie nicht sofort als indizierte Musik identifizieren, die dann ein Eingreifen rechtfertigt."

Fingerabdruck für Tonträger

Musik-CD der rechten Partei NPD (Foto: Peer Grimm)
Musik-CD der rechten Partei NPDBild: picture-alliance/dpa

Eine Hilfe für die Polizei kommt jetzt aus dem Bundesland Sachsen. Das Landeskriminalamt (LKA) hat eine Software entwickelt, mit der verbotene Musik leichter entdeckt werden kann. Das Programm nutzt ein beliebtes Werkzeug von Smartphone-Apps: den sogenannten Audio-Fingerabdruck. Mit Hilfe eines Algorithmus können charakteristische Frequenzen der Lieder herausgearbeitet werden. Jeder Song bekommt ein Erkennungszeichen, das ihn einzigartig macht – wie der Fingerabdruck eines Menschen.

Am Freitag (6.12.) soll das Pilotprojekt auf der Innenministerkonferenz der Länder in Osnabrück vorgestellt werden. Intern läuft das Programm bereits unter dem Namen "Nazi-Shazam" – in Anlehnung an die App, die Lieder im Radio erkennt: Man hält das Smartphone in die Nähe des Lautsprechers – und nach wenigen Sekunden werden Titel und Interpret angezeigt. Genau so könne auch die Polizei in Zukunft vorgehen, wenn die Software zu einer App weiterentwickelt wird.

Indizierte Musik: Nazi-Songs und schwulenfeindliche Rap-Lieder

Für Kathlen Zink vom sächsischen Landeskriminalamt führt die Bezeichnung "Nazi-Shazam" jedoch in die Irre. "Es geht hier ja nicht nur um die Erkennung von rechtsradikalen Musikstücken, sondern generell um strafrechtlich relevantes Musikgut", sagt die Pressesprecherin des LKA. Das können auch Lieder aus der deutschen Rap-Szene sein, in denen sich Hetzen gegen Homosexuelle oder Frauen finden. Im Juli 2013 landete beispielsweise das Lied "Stress ohne Grund" des Rappers Bushido auf dem Index – weil es schwulenfeindliche Parolen und Gewaltphantasien enthält.

Welches Lied indiziert wird, entscheidet die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in Bonn. Die Behörde untersucht Liedtexte auf Passagen, die "verrohend auf Kinder und Jugendliche wirken". Die meisten indizierten Songs kommen allerdings tatsächlich aus dem rechten Milieu. Aktuell umfasst die Liste allein 1128 Musiktitel mit NS- oder kriegsverherrlichendem Inhalt. "Jedes Jahr kommen ungefähr 100 neue Songs hinzu", sagt Elke Monssen-Engberding. Die Vorsitzende der Bundesprüfstelle hält die Thesen vieler rechtsnationaler Songs für gefährlich: "Dass Ausländer minderwertige Menschen sind oder dass es Homosexuelle aus dem Land zu vertreiben gilt, solche Beispiele könnten Kinder in ihre eigene Anschauung übernehmen."

Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln (Foto: imago/Rüdiger Wölk)
Bild: imago/Rüdiger Wölk

"Türöffner in rechtes Gedankengut"

Die gleiche Ansicht vertritt Polizei-Gewerkschaftler Rainer Wendt. Die Lieder seien deshalb so tückisch, "weil junge Leute sich schnell von der Musik hinreißen lassen, aber wenig auf die Texte achten." So würde über das Medium Musik menschenverachtende Ideologie in die Köpfe von Schülern gelangen.

Musik als Einstiegsdroge in die rechte Szene? Für Daniel Köhler ist diese Erklärung zu einseitig – schließlich gebe es mit Videospielen, Chatrooms und sozialen Netzwerken heute weitaus gefährlichere Initiierungsmittel. Doch der Direktor des Insitute for the Study of Radical Movements in Berlin gibt zu, dass Musik ein "Türöffner in rechtes Gedankengut" sein könne.

Köhler hat für seine Forschung mit zahlreichen Ex-Nazis gesprochen. "Viele Aussteiger berichten, dass der Erstkontakt mit der Szene tatsächlich durch die Musik stattgefunden hat", sagt der Politikwissenschaftler. "Das kann sein, dass man früher auf dem Schulhof eine alte kopierte Kassette von einer Band bekommen hat. Das kann auf einem Konzert sein, zu dem man eingeladen wird, vielleicht auf einer NPD-Veranstaltung."

Gerade die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) nutzt gerne Konzerte, um junge Menschen anzulocken. Gerade haben die Bundesländer einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt, die NPD zu verbieten – weil sie verfassungswidrig sei. Derzeit ist die Partei in zwei Landtagen vertreten: in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen – und damit jenem Bundesland, aus dem das neue Computerprogramm stammt.

Per Klick zum Verbot

Rainer Wendt (Foto: Karlheinz Schindler)
Polizeigewerkschafter Rainer WendtBild: picture alliance/ZB

Rainer Wendt hofft, dass die Software möglichst schnell in den praktischen Polizeialltag eingeführt werden kann. In Zukunft müsse man nicht mehr erfahrene Ermittler nehmen, die die gesamte Indexliste im Kopf haben. Ein Klick auf das Smartphone würde genügen.

Wissenschaftler Daniel Köhler zeigt sich skeptischer. Zwar sei der Einsatz von Apps im Kampf gegen Rechts grundsätzlich zu begrüßen. Doch Köhler sieht das Problem generell in der Indizierung von Liedern. "In Zeiten von Internet und Downloads ist ein klassischer Index nicht mehr zeitgemäß", sagt Köhler. Schließlich dauere es zu lange, bis die Lieder geprüft seien und auf der Liste landen. Außerdem gelte die Indizierung in manchen Kreisen als "Qualitätssiegel für die potentiellen Käufer, dass diese Band wirklich hart ist."

Köhler plädiert deswegen für mehr Aufklärung an Schulen. Statt Liedverboten müsse eine Debatte entstehen – damit die Jugendlichen verstehen, welche Ideologie hinter den Texten steckt.