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"Ämter auf Zeit"

Bettina Marx18. September 2013

Fast 20 Jahre lang saß Ruprecht Polenz für die CDU im Deutschen Bundestag. In den letzten acht Jahren war er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Nun ist Schluss. Im Interview mit der DW zieht er Bilanz.

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Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz Foto. DPA
Bild: picture-alliance

DW: Herr Polenz, bei der bevorstehenden Bundestagswahl treten Sie nicht mehr an. Was waren für Sie die wichtigsten Themen in Ihrer Zeit als Außenpolitiker?

Ruprecht Polenz: Ich denke, dass wir mit dem Ende des Kalten Krieges 1989/90 in eine Zeit eingetreten sind, die eigentlich, historisch betrachtet, eher der normale Zustand der Welt ist. Nach der scheinbar geordneten Bipolarität des Kalten Krieges, als die Welt zwar sehr spannungsgeladen, aber doch klar geordnet war, zeigt sich nun eine neue Unübersichtlichkeit. Konflikte, die mit dem Ersten Weltkrieg und den Ereignissen danach praktisch eingefroren waren, sind sozusagen wieder aufgetaut, denken Sie an die Entwicklung auf dem Balkan. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatten die Amerikaner das Gefühl, die Welt zu ihrem Besseren verändern und mehr Demokratie auch durch Interventionen befördern zu können. Jetzt, zu Beginn des zweiten Jahrzehnts, erleben wir hier jedoch eine gewisse Ernüchterung. Die Welt ist doch in vielfältiger Weise sehr unsicher und gefährlich geworden.

Sie sprachen gerade von der Zeit des Aufbruchs nach dem Ende des Kalten Krieges, von einer Zeit voller Hoffnungen und Erwartungen. Wenn Sie nun aber auf die aktuellen Entwicklungen schauen, vor allem auf die Geschehnisse in der arabischen Welt, stimmt Sie das nicht traurig?

Traurig ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, das zu pflegen und zu erhalten, was in den letzten 60 Jahren gerade in Europa mit der Europäischen Union geschaffen wurde. Wir haben eine stabile und dauerhafte Friedensordnung, die den Kontinent befriedet. Dieses Modell, auf das wir stolz sein können, kann vielleicht auch anderen Kontinenten helfen. Auf der anderen Seite sehen wir, dass unsere Möglichkeiten, schlechtes Verhalten in anderen Regionen zu sanktionieren, sehr begrenzt sind. Große Stärken haben wir als Europäer dagegen, wenn es darum geht, Anreize zu setzen und gutes konstruktives Verhalten zu belohnen, zum Beispiel durch enge wirtschaftliche politische Zusammenarbeit. Das ist die Stärke der Europäischen Union und da wünschte ich mir natürlich, dass wir diese Stärke noch viel geschlossener und konsequenter nutzen könnten.

Wenn man von außenpolitischer Verantwortung spricht und davon, dass gerade Deutschland mehr Verantwortung übernehmen muss, so wird das ganz oft in einem militärischen Sinn verstanden. Verantwortung übernehmen bedeutet dann, militärisch zu intervenieren. Sehen Sie das auch so?

Nein, ich sehe das überhaupt nicht so. Das Militärische ist das letzte Mittel, das man sicherlich haben muss, auch um es nicht gebrauchen zu müssen. Bevor es dazu kommt, haben wir aber ein breites Spektrum an Einflussmöglichkeiten diplomatischer und ökonomischer Art, die wir nutzen können. Auch Überzeugungsarbeit spielt in der internationalen Politik durchaus eine Rolle. Wenn es uns also gelingt, unsere Interessen so zu formulieren, dass sie sich mit den Interessen derer decken, von denen wir wollen, dass sie uns folgen, dann ist das erfolgreiche Außenpolitik, wie ich sie verstehe.

Sie sind ein Fürsprecher des christlich-islamischen Dialogs. Sie haben sich auch für die Aufnahme der Türkei in die EU ausgesprochen. Ist das Beitrittsziel noch realistisch?

Ich hoffe, dass es noch realistisch ist. Das liegt natürlich zum einen an der Türkei selbst, ob sie den schwierigen Weg weiter gehen will. Es liegt aber auch an der Europäischen Union, zu dem zu stehen, was sie 2005 zu Beginn der Beitrittsverhandlungen als Ziel dieser Verhandlungen beschlossen hat. Unterm Strich halte ich es nach wie vor für absolut wichtig, dass sich die Türkei möglichst eng und möglichst dicht auf Europa zubewegt.

Ministerpräsident Erdogan und sein Modell der Türkei galt ja lange als Musterbeispiel, wohin sich die Staaten des Arabischen Frühlings entwickeln könnten: Ein moderater politischer Islam, der demokratisch verankert ist. Im Lichte der Geschehnisse in Tunesien und Ägypten rückt man wieder ab von diesem Modell. Wie sehen Sie das?

Ich würde Tunesien und Ägypten unterschiedlich werten. In Tunesien ist es nach wie vor so, dass der revolutionäre Prozess Chancen hat, dort auch zu demokratischen Verhältnissen zu führen. In Ägypten haben wir dagegen die fortdauernde Herrschaft des Militärs, das nicht nur gegen die Muslimbrüder vorgeht, sondern auch gegen liberale und säkulare Gegner des alten Regimes. Dadurch sind die Ziele der Revolution viel stärker in Gefahr.

Herr Polenz, zum Abschluss möchte ich Ihnen noch eine persönliche Frage stellen. Wie geht es für Sie jetzt weiter? Was planen Sie für Ihr Leben nach der Politik?

Ich habe mir für das nächste Jahr ein umfangreiches Arbeitsprogramm vorgenommen. So habe ich vom Istanbul Policy Center ein Senior-Fellowship angeboten bekommen, das ich nutzen will, um an einem Buch zu arbeiten. Daneben bleiben mir die Ehrenämter, die ich bisher neben meinem Beruf ausgeübt habe, als Vorsitzender des ZDF-Fernsehrats oder als Mitglied im Hochschulrat der Fachhochschule Münster. Außerdem bin ich seit Kurzem der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, einer Gesellschaft, die praktisch die ganze deutsche Osteuropaforschung von der Westgrenze Polens bis Wladiwostock organisiert. Es bleiben also außenpolitische Themen, an denen ich weiter arbeiten kann, wenn auch nicht mehr als Abgeordneter. Und ich bin 67 Jahre alt und will mehr Zeit für meine Frau und meine vier Kinder und Enkelkinder haben.

Spüren Sie trotzdem auch ein wenig Wehmut?

Ja, natürlich. Ich habe meine Arbeit außerordentlich gerne gemacht. Und ich bin sehr dankbar, dass ich in den letzten acht Jahren als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses wirken konnte. Ich werde die Arbeit vermissen, aber alles hat seine Zeit und politische Ämter sind immer Ämter auf Zeit.

Ruprecht Polenz (CDU) war von 1994 Mitglied im Deutschen Bundestag. Seitdem gehörte er auch dem Auswärtigen Ausschusses an, dessen Vorsitzender er seit 2005 ist. Für kurze Zeit war er im Jahr 2000 auch CDU-Generalsekretär unter Angela Merkel. Das besondere außenpolitische Interesse des gelernten Juristen gilt dem Nahen und Mittleren Osten, namentlich dem Iran und der Türkei.

Das Interview führte Bettina Marx