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Biodiversität? Ein Kinderspiel!

Jennifer Collins /ke18. März 2014

Kinder, die in großen Städten aufwachsen, wissen wenig von der Natur. Je mehr Klimawandel und Mensch eingreifen, desto komplizierter wird die Lage. Ein spielerischer Ansatz bringt die Wildnis zurück in die Kinderzimmer.

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Ein Grashüpfer, der sich in einer grünen Pflanze versteckt. (photo: http://www.flickr.com/photos/naturalismus/4364336349/sizes/o/in/set-72157623274867834/ Lizens http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/ CC 2.0/Carl Wirth)
Bild: CC 2.0/Carl Wirth

Je mehr Menschen es vom Land in die großen Städte zieht, desto mehr verlieren sie den Bezug zur Natur. Das betrifft Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Und selbst wenn Kinder die Fähigkeit haben, sehr viel und sehr schnell zu lernen - das Wissen über die biologische Vielfalt in ihrer Umgebung spielt bislang kaum eine Rolle.

Doch einige Spezialisten wollen das ändern. Sie sind Umweltschützer, Spieleprofis oder Künstler, und verfolgen das gemeinsame Ziel, das Wissen über die Natur außerhalb der Städte wieder in die Kinderzimmer und damit auch in die Erwachsenenwelt zu bringen. Gelingen soll das mithilfe eines Umwelt-Kartenspiels: Phylo.

Phylo ist ein Sammelkartenspiel, ähnlich dem bei Kindern überaus populären Pokemon-Kartenspiel. Jede Karte zeigt ein anderes Lebewesen zusammen mit wissenschaftlich fundierten Informationen, beispielsweise zur Ernährung oder zum Lebensraum. Die Spieler haben die Möglichkeit, Kartensammlungen anzulegen, ihre Karten mit anderen Spielern zu tauschen oder Karten mit verschiedenen Charakteren gegeneinander antreten zu lassen. Damit, so hoffen die Entwickler, können sich Kinder auf spielerische Weise enormes Faktenwissen aneignen, das sie auch noch haben, wenn sie erwachsen sind.

Zeichnung eines Buch-Skorpions vor Buchstaben. (Photo: http://www.flickr.com/photos/naturalismus/4375916946/lightbox/ Lizens http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/ CC 2.0/Carl Wirth)
Sogar die kleinen Arten kommen mit Phylo ins Rampenlicht.Bild: CC 2.0/Carl Wirth

“Im Zuge unserer Arbeit im Labor haben wir gemerkt, dass Kinder mehr über Pokemon wissen als über echte Tiere. Das ließ uns erst einmal innehalten“, sagt David Ng, der Phylo an den Start gebracht hat. Der Genetiker unterrichtet an der Universität von British Columbia. „Jetzt haben wir eine große Gruppe von Leuten, die das Projekt unterstützen – Experten von NGOs, aus der Wissenschaft, Kunst, Computerspielbranche aber auch Juristen und Programmierer. Den Kern des Spiels, die Spielmechanik, haben wir intensiv auf Erwachsenen- und Kinderbedürfnisse getestet.“

Der Anstoß zu “Phylomon”, wie es die Fans getauft haben, gab eine Studie, durchgeführt von Andrew Balmford, einem Professor für Artenschutz an der Universität von Cambridge. Die Studie stellte fest Erfinder von Pokemon haben es viel besser als Wissenschaftler geschafft, das Interesse von Kindern zu wecken. Ihre Figuren haben es nicht nur zu einem erfolgreichen Kartenspiel gebracht, sondern auch zu etlichen viel verkauften Videospielen und einer Fernsehshow.

Achtjährige Kinder können sich beeindruckende 120 Pokemon merken und ihre Fähigkeiten einordnen, fand die Studie heraus. Doch wenn sie die Grundschule verlassen, kennen sie kaum die Hälfte der Arten in ihrer unmittelbaren Umgebung.

Balmford fragte sich, ob sich das Pokemon-Konzept darauf übertragen ließe, Kindern die Artenvielfalt und den Naturschutz näher zu bringen. Ng machte sich daran, eine Antwort zu finden.

Bildungsexperiment

Auch wenn das Spiel selbst noch in den Kinderschuhen steckt, die Webseite bietet schon jetzt auf hunderten Karten einen Arten-Querschnitt von Säugetieren bis zu Mikroben. Außerdem gibt es vorsortierte Kartendecks. Sie sind in Zusammenarbeit mit dem World Science Festival, zu dem jährlich etwa 200,000 Menschen kommen, oder dem Beaty Museum für Biodiversität in Vancouver entwickelt worden.

Und auch das American Museum of Natural History (AMHM) ist dabei, ein Deck - so heißen die einzelnen Spielkartenpakete - auf Basis einer Phylo-Vorlage zu erstellen. Diese Vorlage stellt die Webseite all jenen zur Verfügung, die selbst Decks entwickeln wollen. Das Deck des AMHM beinhaltet unter anderem den Pterosaurus, eine Flugechse, die vom späten Trias bis in die Kreidezeit lebte, also vor etwa 220 bis 66 Millionen Jahren.

Sein großer Wunsch wäre, sagt Ng, dass alle naturhistorischen Museen immer dann neue Decks veröffentlichen, wenn eine neue Ausstellung ansteht. Außerdem soll das Spiel Lehrern die Chance geben, Kinder zu Fragen der Biodiversität Antworten zu geben. Ganz ohne Hürden ist der Weg allerdings nicht, gibt er zu.

“Es ist nunmal ein Lernspiel”, sagt er. „Und da gibt es immer einen Konflikt zwischen Bildung und Spaß. Wir müssen sehen, ob es auch als Lehrmittel funktioniert. Der Haken ist, dass Spiele natürlich effektiv sind, aber ob sie effektiver sind als andere Lehrmethoden, ist noch unklar." Aber Ng wird nicht müde auf Beispiele zu verweisen, die zeigen, dass Phylo sehr wohl helfen kann, Kindern das Arten-Lernen schmackhaft zu machen und sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen.

“Es gibt haufenweise Kinder, die auf das Spiel stehen und denken, dass es ein cooles Projekt ist”, sagt Ng. “Den Bildungsaspekt wollen wir aber über Studien noch überprüfen. Hoffentlich haben wir es geschafft, uns ein Spiel auszudenken, das Spaß macht, völlig egal, ob du nun lernen willst oder nicht. Mag ja sein, dass wir Kinder so auch nur nebenbei zum Lernen bringen.”

Leo Helm ist eines der Kinder, die Phylomon nun seit einem Jahr spielen. Der 12-Jährige aus Portland, Oregon (USA), spielt vor allem gegen seinen Bruder. Seiner Meinung nach helfen die Karten Kindern sehr wohl dabei, etwas über Artenvielfalt zu lernen. Vor allem, wenn man sie in den Schulunterricht integrieren würde.

Ein junger Spieler - Leo Helm testet das Phylo-Spiel. (Photo: Privat/Leo Helm)
Leo Helm, ein 12-jähriger aus Portland, testet das Kartenspiel begeistert seit über einem Jahr.Bild: Privat/Leo Helm

“Ich lerne wirklich eine Menge”, sagt Leo. “Der Pfauen-Calanid - vor Phylo hätte ich das für eine Pfauen-Krankheit gehalten, aber nun weiß ich, dass es eine Art sehr kleiner Krebs ist. Kinder können mit den Karten ganz einfach lernen, glaube ich. Weil man sie ganz leicht in den Unterricht einbauen kann.”

Einer der größten Vorteile des Spiels sei es, dass Umweltkatastrophen und menschliches Verhalten mit einfließen, sagt Leo. “Ich finde gut, dass man mit dem Spiel verschiedene Situationen durchspielen kann, beispielsweise Überbevölkerung, Waldbrände und Verschmutzungen durch Öl und vor allem, wie sie gelöst werden können", so Leo.

Das Interesse an Biodiversität muss früh geweckt werden

Naturschützer wie Lehrer setzen darauf, dass es etwas bringt, Kindern früh das Thema Artenreichtum nahe zu bringen. Vor allem angesichts des Klimawandels und des menschlichen Eingreifens in die natürlichen Lebensräume bedrohter Arten. Die Erfahrungen, die Kinder machen, sollen in ihrem Erwachsenenleben nachwirken und so ihr ganzes Verhalten nachhaltig beeinflussen.

Eine Hoffnung, die Steven Seet vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin bestätigt. “Das Interesse an Natur und Artenreichtum muss schon sehr früh geweckt werden”, sagt er. “Spaziergänge im Wald, Wanderungen an einen Tümpel, um einen kleinen Frosch zu sehen - das können Kindheitserinnerungen sein, die jemanden später sensibler für dieses Themengebiet machen.”

Bild eines grünen Adlerfarns. (Photo: http://www.flickr.com/photos/naturalismus/4446489384/sizes/o/in/photostream/ Lizens http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/ CC 2.0/Carl Wirth)
Experten glauben, das Phylomon Kinder mit der Natur verbinden kann.Bild: CC 2.0/Carl Wirth

Man könne das bei Kindern sehen, die Organisationen wie Greenpeace oder dem WWF beitreten, ergänzt er. Diese Kinder bleiben in der Regel aktive Mitglieder bis sie 20 oder 25 Jahre alt sind - und dann wieder ab 40, nachdem sie sich beruflich etabliert oder vielleicht eine Familie gegründet haben.

Die Punkte zusammenbringen

Das IZW oder auch das British Natural History Museum (NHM) nutzen Lernspiele oder interaktive Elemente immer wieder, um Kindern die biologische Vielfalt zu erklären. Seet und auch Abigail Tinkler, eine Bildungs-Expertin und verantwortlich für die Bildungsprogramme des NHM, unterstreichen beide die Notwendigkeit, Spiele wie Phylomon so praktisch wie möglich zu machen und auf eine enge Verbindung mit den Zielgruppen zu achten.

“Wenn wir ein Spiel mit Phylo-Karten hätten, würde es dafür sorgen, dass die Kinder sich unsere Arten und Exponate sehr genau ansehen”, sagt Tinkler. “Alles, was irgendwie überraschend oder witzig ist, und wir nutzen können, um unser Thema zu vermitteln, kann eine große Hilfe im Lernprozess sein.”

Trotzdem: für sehr viele Umweltschützer zählt vor allem, die Kinder raus in die Natur zu bringen.

“Das ist das Paradoxe an unserem Projekt”, sagt Ng. “Wenn du Leute mehr für das Thema Biodiversität begeistern möchtest, ist es das Naheliegendste, sie einfach nach draußen zu bringen. Wir haben aber ein Spiel entwickelt, wo man drinnen ist.”

Kinder haben Zugang zur Pokemon-Welt vor allem über ihre Fernseher, ihre Computer. Doch die Macher hoffen, dass Phylo sie trotzdem nach draußen bringt - in ihre natürliche Umgebung.

“Vielleicht gibt es ja einen Weg, unser Spiel dazu zu nutzen, Kinder in die Natur zu bringen”, sagt Ng. “Das wäre dann der Punkt, an dem eine App oder etwas in der Art ins Spiel käme.”