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Poetische Sprachspiele

Kristina Reymann7. April 2014

Dichter, Übersetzer, Sprachästhet: Christian Morgenstern liebte das Spiel mit der Sprache. Mit humoristischen Gedichten wurde er berühmt. Vor 100 Jahren ist er gestorben, seine Texte aber sind noch immer lesenswert.

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Porträt des Dichters Christian Morgenstern
Bild: picture alliance/akg

Palmströms Uhr ist andrer Art, reagiert mimosisch zart. / Wer sie bittet, wird empfangen. Oft schon ist sie so gegangen, / wie man herzlich sie gebeten, ist zurück- und vorgetreten, / eine Stunde, zwei, drei Stunden, jenachdem sie mitempfunden. / Selbst als Uhr, mit ihren Zeiten, will sie nicht Prinzipien reiten: / Zwar ein Werk, wie allerwärts, doch zugleich ein Werk - mit Herz.
- Christian Morgenstern: "Palmströms Uhr"

"Irgendetwas ist da, das mich total packt und fasziniert", schwärmt Reinhard Röhrs, Musiker und Morgenstern-Fan. Mit Kontrabass und Gitarre tourt er durch Deutschland und rezitiert Texte von Christian Morgenstern. Röhrs fühlt sich eng mit dem Künstler verbunden, der aus einer Malerfamilie kam, aber statt eines Pinsels, eine Feder in die Hand nahm. Seinen Lebensunterhalt verdiente Morgenstern mit Auftragsarbeiten, Übersetzungen, Theaterkritiken - und vor allem mit humoristischer Lyrik.

Leben in einer Epoche des Umbruchs

#link:http://www.christian-morgenstern.de/:Christian Morgenstern# wurde 1871 geboren, im Jahr der Gründung des Deutschen Reichs. Am 31. März 1914, wenige Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, starb er nach langer Krankheit im Alter von 42 Jahren. Mit dem Deutschen Kaiserreich konnte er sich nicht recht anfreunden. "Er war ein kritischer Bürger", sagt Ernst Kretschmer, Literaturwissenschaftler und Morgenstern-Experte. "Kritisch gegenüber der Epoche, dem Kaiserreich und der bürgerlichen Kultur." Aus den zersplitterten Einzelstaaten wurde erstmals ein zusammenhängendes Reich. Die Bevölkerung wuchs rasant an, die Menschen zogen vom Land in die Städte, die Industrialisierung erreichte ihren Höhepunkt und die Wirtschaft brummte. Insbesondere mit dem gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufkeimenden Wilhelminismus, der Kaisertreue, deutsches Großmachtstreben und ein starkes Militär vereinte, konnte Morgenstern nicht viel anfangen.

Gemälde von Anton von Werner, das die Kaiserproklamation von1871 in Versailles zeigt; (Foto: ullstein)
1871 wird Wilhelm I. in Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufenBild: ullstein bild

Morgenstern: Wahrer Humor ist immer souverän

"Er war ein typisches Produkt einer Übergangszeit", sagt der Morgestern-Biograph Jochen Schimmang. "Und er war eine zerrissene Figur in seinem Blick auf die Welt." So teilte er etwa die Ansichten Paul de Lagardes, eines völkischen Antisemiten. Gleichzeitig kritisierte er die deutsche Autoritätsgläubigkeit scharf und spielte mit dem bildungsbürgerlichen Anspruch des Kaiserreichs. Er verspottete den Bildungsbürger unter anderem, indem er Gedichte veröffentlichte, die scheinbar aus dem Nachlass des römischen Dichters Horaz stammten. In Wirklichkeit aber hatte Morgenstern die Texte selbst geschrieben. Das war Morgensterns Art von Humor, die "äußerste Freiheit des Geistes", wie er 1907 notierte. "Wahrer Humor", schrieb er, "ist immer souverän".

Porträt des Autors Jochen Schimmang; (Foto: Residenz Verlag/Eric Wolfe)
Morgenstern-Biograph Jochen SchimmangBild: Eric Wolfe

Großer Erfolg mit den "Galgenliedern"

Zunächst arbeitete er als Übersetzer des norwegischen Schriftstellers Henrik Ibsen. "Ibsen war begeistert von Morgensterns Arbeit", sagt der Literaturwissenschaftler Kretschmer. Er habe ihn als "übersetzenden Dichter" geschätzt. Was Morgenstern auszeichnete, sei ein sehr gutes Sprachgefühl gewesen, die Fähigkeit, mit der Sprache zu spielen.

Doch erst mit den "Galgenliedern", die 1905 gedruckt wurden, erreichte Morgenstern ein breites Publikum. Genauso wie mit dem "Palmström", einer weiteren Sammlung lustiger Gedichte, die einige Jahre später erschien. Seine humoristische Lyrik war zwar damals nicht vollkommen neu. Und auch die Lautgedichte, die später von den Dadaisten auf die Spitze getrieben wurden, waren nicht seine Erfindung. Aber die Galgenatmosphäre machte seine komische Lyrik zum Erfolg.

Porträt des LiteraturwissenschaftlersErnst Kretschmer; (Foto: Ernst Kretschmer)
Literaturwissenschaftler Ernst KretschmerBild: privat

"In den 'Galgenliedern' oder dem 'Palmström' werden Wirklichkeitsbilder des Kaiserreichs aufgebrochen und auch die Sprache selbst wird infrage gestellt", erklärt Kretschmer. Während die ernsteren Gedichte, die Morgenstern auch schrieb, eher traditioneller Natur waren und dadurch nicht weiter auffielen, wurden die witzigen Gedichte auch öffentlich aufgeführt. Die so genannten "Galgenbrüder", acht Freunde, darunter auch Morgenstern selbst, die sich und anderen makabere Spitznamen gaben, schafften es mit ihren Auftritten von der Kneipe auf die Kleinkunstbühne.

Begeisterung für intellektuelle Führer

Je älter er wurde, desto mehr beschäftigte sich Morgenstern mit der esoterischen Weltanschauung des Anthroposophen Rudolf Steiner. Er war ein wissbegieriger Schüler und reiste trotz schwerer Lungenkrankheit zu zahlreichen Vorträgen. "Die Anthroposophie war in den letzten beiden Gedichtsammlungen 'Ich und Du' und 'Wir fanden einen Pfad' extrem präsent", sagt Kretschmer. "Das sind weltanschaulich geprägte Gedichte, die die christliche Vision der Anthroposophie poetisch widerspiegeln." Insofern, sagt Kretschmer, war der Kreis ihrer Leser begrenzt.

Altmodisch und trotzdem modern

Auch der Musiker Reinhard Röhrs schätzt vor allem die humoristischen Texte Morgensterns, die er in seinem Musikkabarettprogramm vertont. "Durch die #link:http://www.christian-morgenstern-vertont.de:Musik# wirken die Texte so modern, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass die Gedichte über hundert Jahre alt sind", findet er. "Natürlich wurden damals andere Worte und Begriffe genutzt. Es klingt erstmal altmodisch, ist aber vom Sinn ganz und gar nicht altmodisch." Auch Morgenstern-Biograph Schimmang betont die Aktualität der humoristischen Lyrik - neben dem hohen Niveau. "Im komischen Werk ist er in der Moderne angekommen", sagt er. "Morgenstern hat Sketche geschrieben, die auch heute in der Satirezeitschrift 'Titanic' stehen könnten."

Porträt des Musikers Reinhard Röhrs mit Kontrabass; (Foto: Reinhard Röhrs)
Jazz-Musiker und Morgensternfan Reinhard RöhrsBild: Reinhard Röhrs/privat