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Plädoyer für bundesweite Provenienzforschung

Annika Zeitler27. Februar 2014

Die Taskforce "Schwabinger Kunstfund" arbeitet mit internationalen Experten zusammen. Auch die Bundesregierung will sich besser vernetzen, wie Taskforce-Leiterin Dr. Berggreen-Merkel erläutert.

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Ingeborg Berggreen-Merkel
Bild: DW/H. Mund

Die Bundesregierung will die Initiativen zur Suche nach NS-Raubkunst in der Zukunft unter dem Dach eines neuen "Deutschen Zentrums Kulturgutverluste" zusammenfassen. Dazu gehören wird die Magdeburger Koordinierungsstelle mit ihrer Datenbank Lostart.de, die Beratende Kommission für Streitfälle (Limbach-Kommission) sowie die Berliner Arbeitsstelle für Provenienzforschung. Auch die Forschungsstelle für "Entartete Kunst" der Freien Universität Berlin sowie die temporär eingerichtete Taskforce "Schwabinger Kunstfund" sollen in das geplante Zentrum integriert werden. Kulturstaatsministerin Monika Grütters wird ihren Vorschlag im März 2014 mit den Kulturministern der Länder besprechen und dann auf den Weg bringen.

DW: Frau Dr. Berggreen-Merkel, ist diese Stiftung die Konsequenz aus dem "Fall Gurlitt" und damit die Antwort auf die Kritik aus dem In- und Ausland, Deutschland habe sich bisher zu wenig um NS-Raubkunst gekümmert?

Ingeborg Berggreen-Merkel: Frau Staatsministerin Grütters möchte mit diesem neuen Zentrum alle bisher laufenden Aktivitäten auf Bund- und Länderebene noch besser vernetzen, mit mehr Geld ausstatten und damit natürlich auch den Anforderungen nachkommen, die an uns gestellt werden. Es geht darum, Provenienzrecherche noch effektiver zu betreiben.

Was wird sich mit dem neuen Zentrum, das schon für den Sommer 2014 geplant ist, ändern?

Wenn man alle Anstrengungen der Provenienzforschung bündelt, vernetzt und intensiver kommuniziert, was hinter dieser Arbeit steht, dann kommt das ganze Wissen und das ganze Miteinander noch stärker zur Entfaltung. Schauen Sie zum Beispiel auf unsere Taskforce: Hier verbinden wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland im Sinne der Transparenz und des Wissensaustauschs.

Ihre Taskforce aus 13 internationalen Experten überprüft derzeit die private Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt auf NS-Raubkunst. Auf der aktuellen Münchener Tagung in der Katholischen Akademie Bayern zu "NS-Raubkunst und Restitution" ließen Sie durchblicken, dass Sie einen weiteren Experten in ihr Team aufnehmen werden…

Wir arbeiten gerade daran, zusätzlich noch einen polnischen Kollegen einzubinden, weil sich jetzt doch Anhaltspunkte ergeben haben, dass auch Kunstwerke aus Polen unter Umständen involviert sind. Und deshalb meine ich, dass ein Kollege oder Kollegin aus Polen wichtig ist. Bisher haben wir uns in unseren Recherchen stark auf Frankreich konzentriert, weil Hildebrand Gurlitt sehr oft dort tätig war.

Die Anwälte von Cornelius Gurlitt haben kürzlich Beschwerde gegen die Beschlagnahme seiner Kunstsammlung eingereicht und fordern seine Bilder zurück. Wenn der Beschwerde stattgegeben würde, dann würde ihrer Taskforce die rechtliche Grundlage fehlen. Müssen sie dann ihre Recherchen beenden?

Das wird sich alles zeigen. Ich bin da guten Mutes, das alles weitergeht. Jetzt lassen sie erst einmal die Beschwerde durchgehen – oder auch nicht. Wir arbeiten, so wie wir es uns vorgenommen haben, unbeirrt weiter.

Gurlitts Anwälte sprechen davon, dass es sich in der Kunstsammlung nur bei drei Prozent um NS-Raubkunst handeln könnte. Sie dagegen nennen eine Zahl von knapp 600 der 1280 Werke. Wie kommen diese Unterschiede zustande?

Die Anwälte sprechen von den Bildern, bei denen konkrete, bestens dokumentierte Ansprüche vorliegen. Wir bekommen aber laufend weitere Anfragen. Und die Erwartung an die Taskforce besteht natürlich auch darin, dass wir generell den Verdacht auf Raubkunst recherchieren – auch wenn sich für viele Werke bisher kein konkreten Anspruchsteller gemeldet hat. Was sich aufklären lässt, lässt sich aufklären. Und wenn sich etwas nicht als Raubkunst darstellt, dann wird natürlich auch das dokumentiert. Das wäre dann wohl die klarste und deutlichste Sichtbarmachung, dass es sich bei den betreffenden Werken um Eigentum von Herrn Gurlitt handelt.

Wie lange werden ihre Recherchen in der Taskforce noch dauern? Wann kann mit ersten Ergebnissen gerechnet werden?

Ich habe bisher nie ein Datum genannt. Und das werde ich auch jetzt nicht tun. Sie wissen, wenn man ein Datum genannt hat und man ist einen Tag drüber, dann ist es schon schlecht. Wir werden das so machen wie in einer Mathematikarbeit: Erst die am besten dokumentierten Fälle abarbeiten, um dann die Ergebnisse veröffentlichen. Und je schwieriger die Faktenlage ist, desto länger wird man recherchieren müssen. Wir haben uns vorgenommen, zuerst die Fälle der so genannten Raubkunst zu bearbeiten. Denjenigen, die so grauenvoll verfolgt, ins Exil getrieben oder gar ermordet wurden, und deren Erben gebührt unsere vorrangige Aufmerksamkeit. Damit haben wir angefangen. Erst im Anschluss werden wir uns dann den Fällen der so genannten "Entarteten Kunst" zuwenden.

Dr. Berggreen Merkel war bis 2008 im Bayrischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus tätig und danach bis 2013 leitende Ministerialdirektorin beim Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Seit Herbst 2013 leitet sie, vom Bund und dem Land Bayern beauftragt, die Taskforce "Schwabinger Kunstfund".

Das Interview führte Annika Zeitler.