1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Piraten stimmen gegen Online-Parteitage

Kay-Alexander Scholz12. Mai 2013

Sie sollten ein neuer Weg zur Beschlussfindung sein. Aber am Ende des Piraten-Parteitags fand das Herzensanliegen vieler Mitglieder keine Mehrheit. Einig sind sich die Piraten in einem Punkt: Sie wollen in den Bundestag.

https://p.dw.com/p/18WOX
Zwei Mikrofone für Pro- und Contra-Beiträge beim Bundesparteitag der Piraten (Foto: dpa)
Zwei Mikrofone für Pro- und Contra-BeiträgeBild: picture-alliance/dpa

Kurz vor Schluss fand endlich die zwei Mal verschobene Diskussion und Abstimmung über das intern umstrittenste Thema statt, mit dem manche Piraten deutsche Parteiengeschichte schreiben wollten: Verbindliche Beschlüsse nicht mehr nur auf Parteitagstreffen, sondern auch bei einem ständigen Online-Parteitag im Internet zu fassen. Der technische Name hierfür lautet "Ständige Mitgliederversammlung", kurz SMV. Zudem sollte die eigene Stimme an andere Delegierte im Tool delegiert werden können.

Mehrere Anträge für die Einführung einer SMV standen auf der Tagesordnung. Doch die Anträge verfehlten die für eine Satzungsänderung notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit - wenn auch in einem Fall sehr knapp. Es fehlten 23 Stimmen. Da der Streit um eine SMV aber schon seit Jahren geführt wird und auch auf diesem Parteitag nicht abgeebt ist, dürfte das Thema noch nicht endgültig vom Tisch sein.

"Strukturelle Probleme der Basisdemokratie lösen"

Christopher Lauer, der für die Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, sagte in der Debatte: "Wir brauchen eine SMV, weil wir nicht monatelang diskutieren können, bevor wir Stellung beziehen zu aktuellen Debatten wie über bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr." Da die Piratenpartei streng basisdemokratisch sein will, entscheiden die Mitglieder und nicht die Parteiführung oder die Abgeordneten. "Mit einer SMV beseitigen wir die strukturellen Probleme der Basisdemokratie", so Lauer.

Der Berliner Abgeordnete der Piratenpartei, Christopher Lauer (Foto: dpa)
Kämpfer für die SMV: der Berliner Abgeordnete der Piratenpartei, Christopher LauerBild: picture-alliance/dpa

"Ich möchte schnell gestalten wollen, das sagt mir mein Piratenherz", sagte ein Pirat in der Diskussion. "Und ich möchte nicht immer warten müssen, bis es wieder einen Parteitag gibt." Auch das Prinzip der Delegation von Stimmen sei sinnvoll, weil man neben Arbeit und Familie ja nicht immer an allen Abstimmungen teilnehmen könne.

In manchen Landesverbänden wie im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern sind Online-Abstimmungen bereits auf der Tagesordnung. Sie finden mit dem Tool Liquid Feedback statt, das keine Erfindung der Piraten ist und zum Beispiel auch zur Bürgerbeteiligung in einem Landkreis an der Nordseeküste eingesetzt wird. Auch die Piratenpartei in Österreich arbeitet schon teilweise online, wie ein Gast aus dem Nachbarland erklärte. Die Piraten haben den Anspruch, eine progressive Partei zu sein. Die SMV ist vielen deshalb ein Herzensthema, weil es einzigartig ist und auch, weil es eine technische und logistische Herausforderung für viele der technikbegeisterten Piraten ist.

Doch das Tool ist ziemlich kompliziert und akademisch aufgebaut, nicht alle kommen damit klar, das wurde in der Diskussion deutlich. Generelle Kritik an der SMV betrifft vor allem zwei Punkte. Zum einen soll die eigene Stimme an andere Mitglieder auch mehrstufig delegiert werden können. Doch die Angst vor so entstehenden "Super-Delegierten" in der Online-Abstimmung ist groß. Zudem wurde die Befürchtung laut, dass bei namentlicher Abstimmung im Internet eine geheime Abstimmung nicht garantiert ist.

Abstimmungszettel für die SMV (Foto: DW/Scholz)
Ziemlich akademisch: Abstimmungszettel für die SMVBild: DW

Am Ende setzten sich die Kritiker durch. Nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses war die Enttäuschung bei vielen Piraten im Saal förmlich spürbar. Viele wissen, dass eine SMV ein positives Wahlkampfthema für die Piraten im Bundestagswahlkampf gewesen wäre.

"Neue politische Kultur"

In der Auszählungspause hielt der Vorsitzende der Piraten, Bernd Schlömer, eine angriffslustige Rede. In 15 Minuten rechnete er mit den etablierten Parteien ab. Der Parteichef kennt den politischen Betrieb in Berlin, er arbeitet im Verteidigungsministerium.

Der Bundesvorsitzende der Piratenpartei Bernd Schlömer (Foto: dpa)
Bernd Schlömer: Seine kämpferische Rede kam gut anBild: picture-alliance/dpa

Den Unionsparteien fehle Innovationskraft, sagte Schlömer. Der CSU, die mitten in einer neuen Amigo-Affäre steckt, warf er Vetternwirtschaft und Postengeschachere vor. Mit diesem Treiben müsse Schluss sein, rief Schlömer in den Saal. Die FDP bezeichnete er als reinen Lobbyverein. Bundesminister Niebel fragte er, wie verstrahlt er eigentlich sei, sein Ministerium zu nutzen, um möglichst viele FDP-Politiker mit Posten zu versorgen.

Die Grünen seien alt geworden, meinte Schlömer. Sie wollten stürmisch, wild, netzaffin und basisdemokratisch sein, seien dagegen aber nur staatstragend und lebten in der Wohlfühlblase des Delegiertensystems. Netzpolitik sei für die Grünen nur ein schmückendes Beiwerk. Der größte netzpolitischer Geisterfahrer in Deutschland aber seien die Sozialdemokraten. "Liebe substanzlose SPD, lassen sie es einfach sein", rief Schlömer. Er versprach am Ende durch die Piraten eine neue politische Kultur in Berlin. "Piraten, auf in den Bundestag!", forderte er den Parteitag auf und bekam dafür Standing Ovations.

1300 Piraten waren zum Parteitag nach Neumarkt gereist. Bis zu 1600 Mitglieder beteiligten sich indirekt über einen Livestream. Abstimmen konnten die Zugeschalteten allerdings noch nicht. Der Trend in Richtung Online ist dennoch deutlich, auch wenn es vorerst keine Online-Parteitage geben wird.