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"Noch nie wurde so viel Musik veröffentlicht"

Stefan Mey6. Januar 2013

Das Musikgeschäft wurde im Online-Zeitalter auf den Kopf gestellt, und die Umwälzungen sind lange nicht zu Ende. Wirtschafts-Professor Peter Tschmuck erkennt dabei Gewinner, Verlierer und Markt-Trends.

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Wirtschaftsprofessor Peter Tschmuck (Foto: Magdaléna Tschmuck)
Bild: Magdaléna Tschmuck

Wie wirkt sich Filesharing auf die Musikverkäufe aus? In regelmäßigen Abständen berechnen Experten diesen Zusammenhang: Sie erforschen das Image von digitalen Musikdateien oder vergleichen die Zahlungsbereitschaft bei Streaming-Diensten. Dabei kommen die Studien allerdings häufig zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen. Mal schadet Filesharing der Musikindustrie, mal hilft es ihr.

Peter Tschmuck lässt sich von den meisten Studien nicht beeindrucken. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler ist Professor am Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.

Hände halten CDs aus dem Jahr 2004 (Foto: imago/teutopress)
Auslaufmodell CD? Musik wird vermehrt digital gehörtBild: imago/teutopress

Tschmuck forscht und lehrt zum Verhältnis von Musik und Ökonomie. Auf seinem Musikwirtschafts-Blogbegleitet und kommentiert er die internationalen wissenschaftlichen Debatten und versucht, Ordnung in das Wirrwarr der Stimmen zu bringen. Dabei richtet er sein Augenmerk auch auf zwei besonders heiße Eisen: Die Auswirkungen des illegalen Filesharings und die Bedeutung der viel gehypten Streamingdienste.

DW: Ist das Internet ein Fluch oder ein Segen für die Musikwirtschaft?

Peter Tschmuck: Das lässt sich pauschal nicht sagen. Die traditionelle Tonträgerwirtschaft hat starke Einbußen erlebt. Auf dem Livemusiksektor kann man aber positive Auswirkungen feststellen. Das gilt auch für Player, die mit Musikrechten handeln oder komplett neue Geschäftsmodelle aufgebaut haben.

Wie hat sich der Musik-Output durch die Digitalisierung entwickelt?

Es gab noch nie eine Zeit, in der so viel Musik produziert und veröffentlicht wurde wie heutzutage, da die Eintrittsbarrieren viel niedriger geworden sind.

Kritiker würden sagen: Vieles davon ist Trash…

Dieser Frage ist eine Studie nachgegangen, die Kritikermeinungen statistisch ausgewertet hat. Es stellte sich heraus, dass sich durch das Internet und die Digitalisierung keineswegs Qualitätseinbußen bei der produzierten Musik beobachten lassen.

Musiker Greg Holden (Foto: gregholdenonline.com)
Künstler können durch das Netz bekannt werden - Singer/Songwriter Greg Holden zum BeispielBild: gregholdenonline.com

Wie hat sich der Umsatz der Musikwirtschaft entwickelt?

Wenn man nur die Verkäufe von Musik in Form von Tonträgern und bezahlten Downloads zusammenrechnet, ist es unumstritten, dass die Umsätze abgestürzt sind. Die Zuwächse im digitalen Bereich haben die Verluste im physischen Bereich nicht wettmachen können. Wenn man die Musikwirtschaft aber breiter definiert und den Rechte- sowie den Live-Sektor mit einbezieht, sieht man einen positiven Effekt.

Streamingdienste wie Spotify haben viele Nutzer dazu gebracht, für Musik im Internet wieder zu bezahlen. Sind diese Dienste ein Durchbruch für die Musikwirtschaft im Internet?

Für Musikkonsumenten sind sie ein absoluter Durchbruch. Mittlerweile kann man als Nutzer auf Millionen von Songs zugreifen. Eine andere Frage ist, wer von dem System ökonomisch profitiert.

Wie sieht es da aus?

Die, die derzeit überproportional profitieren, sind die Majorlabels. Allein, damit die Streamingdienste auf deren Lied-Kataloge zugreifen können, müssen sie Millionenbeträge zahlen. Es werden sogar mehrstellige Millionenbeträge kolportiert. Diese so genannten Upfront-Payments bleiben komplett bei den Labels. Gleichzeitig verlangen sie für den Zugang zu den Katalogen teilweise noch einen Anteil an der Firma und kaufen sich auf die Art in die Streaming-Dienste ein. Die Musikschaffenden selbst werden ausschließlich an den Umsätzen pro Stream beteiligt. Das sind aber oft nur Mikrocent-Beträge. Und davon erhalten sie wiederum auch nur den Anteil, der sich aus ihren Verträgen mit den Labels ergibt. So sieht das Spiel aus.

Ein Distributionskanal ist Musiklabels ein besonderer Dorn im Auge: das unbezahlte und kaum kontrollierbare Filesharing. Wie wirkt sich dieser illegale Kanal auf den Musikmarkt aus?

Filesharing polarisiert die Wissenschaft stark. Die Mehrheit der Studien kommt auf einen negativen Zusammenhang. Im Extremfall heißt es, dass 30 Prozent des Umsatzrückgangs durch Filesharing erklärbar sind. Es gibt aber auch Studien, die gar keinen Zusammenhang feststellen. Und es gibt sogar Studien, die positive Effekte ermitteln. Das hängt auch vom Repertoire ab. Newcomer-Repertoire, das noch nicht bekannt ist, hat durch Filesharing klare Vorteile. Über Filesharing können Musikliebhaber die Musik überhaupt erst einmal entdecken und geben dann vielleicht auch Geld dafür aus. Beim Superstar-Repertoire gibt es eher einen negativen Effekt.

Eine Frau raubkopiert Musik aus dem Internet (Foto: Claudio Bresciani / SCANPIX(c) dpa)
Durch das Internet gibt es zwar mehr Musik - doch bezahlen wollen viele dafür nichtBild: picture-alliance/dpa

Wirkt sich nicht jeder Kontakt mit Musik irgendwann positiv auf die Zahlungsbereitschaft aus?

Was man sagen kann, ist: Die so genannten Heavy User, die viel Musik konsumieren, besorgen sich die Musik auf unterschiedlichsten Kanälen. Das sind Leute, die durchaus gleichzeitig Filesharing betreiben, Streamingportale nutzen, sich auch mal eine CD kaufen und viel Geld für ein Konzert-Ticket ausgeben. Allerdings sind Heavy User nur eine verschwindend kleine Minderheit. Ein Großteil der Bevölkerung ist ganz einfach nicht bereit, Geld für Musik auszugeben. An den Relationen hat sich durch die Digitalisierung wenig geändert.

Das Interview führte Stefan Mey.