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Penderecki: "Es schien unerreichbar"

Monika Skarżyńska23. November 2013

Der polnische Komponist und Dirigent Krzysztof Penderecki reist mit 80 Jahren immer noch um die Welt und schreibt neue Kompositionen. Im DW-Interview spricht er über seine Pläne.

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Porträt des polnischen Komponisten und Dirigenten Krzysztof Penderecki (Foto: ddp)
Bild: AP/AP/dapd

DW: In den nächsten Monaten werden Sie an vielen verschiedenen Orten auftreten - unter anderem im Dezember in New York. Ist diese Liebe zum Reisen während des Kommunismus entstanden? Am Anfang Ihrer Karriere stand schließlich ein Komponistenwettbewerb, bei dem der Hauptpreis eine Reise nach Westeuropa war...

Krzysztof Penderecki: Damals konnte kaum jemand verreisen. Der Mensch isst aber gern von der verbotenen Frucht. Im Jahr 1959 wurde tatsächlich in Polen ein Wettbewerb veranstaltet, in dem ich alle drei Preise gewann. Aber die Zeiten, in denen ich als junger Mann neue Orte kennenlernen wollte, sind für mich zu Ende gegangen. Ich verreise nur dann, wenn ich es tun muss: Also für Konzerte. Trotzdem habe ich wegen der vielen Proben kaum Zeit, spazieren zu gehen. Meinen Platz auf dieser Erde fand ich in Polen, in Lusławice, in der Nähe von Krakau. Hier habe ich auf meinem Landgut ein Arboretum angelegt: einen 30 Hektar großen Park mit mehr als 1700 Bäumen verschiedenster Art. Im Mai ist dort ein Europäisches Musikzentrum eröffnet worden, das meinen Namen trägt und von der Europäischen Union sowie dem polnischen Kulturministerium finanziert wurde. Im Herzen der Anlage befindet sich ein moderner Konzertsaal mit 700 Sitzplätzen und einer hervorragenden Akustik.

Lassen Sie sich von der Natur, von Ihrem eigenen Park inspirieren?

Ich denke schon - aber ich bin kein Träumer, der das Bedürfnis hat, sich an einen Baum zu schmiegen. Mein Arboretum ist eine der größten Sammlungen von Bäumen in Mittel- und Osteuropa. Auch mein Großvater liebte die Natur. Als ich ein Kind war, musste ich die lateinischen Namen verschiedener Bäume auswendig lernen. Er überprüfte mein Wissen bei unseren gemeinsamen Spaziergängen durch den Wald.

Wie beeinflusste die religiöse Erziehung in der Familie Ihr sakrales Schaffen?

Ich war ein sehr religiöses Kind. Meine Familie war sehr offen. Mein Großvater war Deutscher und ein evangelischer Christ. Mein Vater, ein Rechtsanwalt, war griechisch-katholisch und spielte auch Geige. Meine Mutter war sehr religiös und ging zweimal täglich zum Gottesdienst. Die Großmutter war Armenierin. Somit wurde ich in den drei Riten erzogen, dadurch bin ich aufgeschlossen. Ich habe viele Werke zu Texten in altkirchenslawischer Sprache geschrieben. Leider habe ich noch keine Musikstücke zu Texten in armenischer Sprache komponiert, aber sie sind in Sicht.

Welche Rolle spielte Ihre Lukas-Passion, die Sie in Ihrem 30. Lebensjahr komponierten und die im damals kommunistischen Polen auf den Übergang zu einem anderen Musikstil hinwies?

Ich habe nach etwas gegriffen, was unerreichbar schien. Ein junger Komponist, der zuvor nur Musikstücke von zehn Minuten geschrieben hatte, wagte es nach Johann Sebastian Bach, so ein Werk von mehr als einer Stunde zu schaffen. Ich erhielt den Kompositionsauftrag vom Westdeutschen Rundfunk anlässlich des 700. Jubiläums des Doms zu Münster im Jahr 1966. Eigentlich habe ich die Passion aber zum 1000. Jubiläum der Taufe Polens (966) geschrieben. Nach dem großem Erfolg der Uraufführung des Werkes in Deutschland wurde mir erlaubt, zum ersten Mal im kommunistischen Polen sakrale Musik im Konzert aufzuführen: Zuerst in der Philharmonie in Krakau und dann in Warschau. Während des Konzerts wurde die Tür zur Philharmonie aufgebrochen: Viele Zuhörer saßen sogar auf dem Fußboden des Konzertsaals. Das war unglaublich!

Die Uraufführung der Lukas-Passion in Münster war nur der Anfang Ihrer vielfältigen Kontakte zu Deutschland.

Nach der Uraufführung der Lukas-Passion hat man mir eine Lehrtätigkeit an der Folkwang-Hochschule in Essen angeboten. Ich wohnte zwei Jahre lang in Essen, zusammen mit meiner Frau. Unser Kind blieb für anderthalb Jahre in Polen zurück. Danach lebten wir einige Zeit noch in West-Berlin und die nächsten sieben Jahre in den USA. Die 1960er und 1970er waren sehr bewegte Jahren. Später, als es besser wurde, bin ich in die Heimat zurückgekehrt.

Sie arbeiten immer noch sehr intensiv: Von der Oper "Fedra" im Auftrag der Wiener Staatsoper bis zu Ihrer 6. Symphonie und der Johannes-Passion...

Ich habe Texte gesammelt für die "Passion", was das Wichtigste ist, aber es gibt ständig noch etwas, was fertiggestellt werden muss. Momentan hat Kammermusik für mich Priorität. In der ersten Hälfte des Jahres schrieb ich vier Kammermusikstücke: Zu einem altkirchenslawischen Text, dann ein Adagio für Streichinstrumente und ein 12 Minuten langes Stück: "La Follia" für Solo-Violine. Das vierte Musikstück ist eine Transkription eines Cellostücks für die Bratsche.

Ihre Kompositionen werden auf der ganzen Welt aufgeführt und auf CDs aufgezeichnet. Sie arbeiten unermüdlich weiter. Fühlen Sie sich als Künstler immer noch nicht vollendet?

Erstens muss ich einige Kompositionen zu Ende bringen, wie zum Beispiel die 6. Symphonie. Zweitens interessieren mich alle Genres, auch die A-cappella-Musik. Vor kurzem begann ich, eine Motette zu schreiben. Ich arbeite normalerweise an mehreren Stücken gleichzeitig. Da sich mein Musikstil seit vielen Jahren nicht geändert hat, kann ich ruhig zu den Werken zurückkehren, die sogar vor zwanzig Jahren entstanden. Diese Wiederaufnahmen sind wichtig: Nach einer Unterbrechung gewinnt man eine gewisse Distanz zu dieser Musik.

Krzysztof Penderecki feiert am 23. November seinen 80. Geburtstag. Der 1933 im südpolnischen Debica geborene Komponist und Dirigent lehrte an der Krakauer Musikhochschule, der Folkwang-Hochschule in Essen und der Yale Universität in den USA. Er gilt als der herausragendste polnische Komponist der Gegenwart. Unter seinen Kompositionen sind vor allem Kammermusik und sakrale Musik. Auch in Filmen von Stanley Kubrick oder Andrzej Wajda sind musikalische Werke von ihm zu hören.

Das Gespräch führte Monika Skarżyńska.