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Pekings Minderheitenpolitik in der Sackgasse

1. März 2012

Kurz vor der Tagung des Nationalen Volkskongresses zeigte die Explosion von Gewalt in Westchina, dass die chinesische Minderheitenpolitik in einer Sackgasse steckt, meint Matthias von Hein in seinem Kommentar.

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Was wirklich am Mittwoch (29.02.2012) in der Oasenstadt Yecheng in der westchinesischen Region Xinjiang geschah, wird die Welt vielleicht nie erfahren. Auf jeden Fall handelt es sich um den heftigsten Ausbruch von Gewalt in der Unruheprovinz seit letztem Sommer. Mindestens zwanzig Menschen sollen getötet worden sein. Unbestätigten Quellen zufolge handelte es sich bei den Angreifern um Uiguren – die muslimische Minderheit in China – und bei den Opfern um Han-Chinesen. So stellen die lokalen Behörden die Fakten dar: Auf einem Markt soll eine Gruppe von Angreifern mit Messern 13 Menschen getötet haben. Anschließend habe die Polizei sieben Angreifer erschossen, zwei wurden verhaftet.

Unabhängige Nachrichten aus der Region sind nicht zu bekommen. Erste Meldungen der staatlichen chinesischen Medien sprachen von einem "Terrorangriff". Den dürren Statements der Behörden stehen die Schilderungen uigurischer Aktivisten aus dem Ausland gegenüber.

Aufgestaute Wut Organisierte Terrorgruppen gehen allerdings nicht Messern auf ihre Opfer los: Sie legen Bomben, entführen Flugzeuge, verüben Attentate. Das Bild messerschwingender Angreifer spricht eher dafür, dass lang aufgestaute Wut auf grausame Weise explodiert ist.

Viele der turksprachigen Uiguren klagen schon lange über religiöse, kulturelle und politische Unterdrückung, über fortgesetzte Benachteiligung gegenüber zugewanderten Han-Chinesen, die 90 Prozent der gesamten chinesischen Bevölkerung ausmachen. Ein legales Ventil für ihren Unmut haben sie nicht. Jede Äußerung von Unzufriedenheit wird als Separatismus diffamiert und verfolgt.

Die offiziell beschworene Harmonie unter den Nationalitäten im Vielvölkerstaat China ist nur vorgeschoben. Unterschwellig herrscht gegenüber den Minderheiten der Uiguren, Tibeter, Mongolen vielfach Rassismus: In fast schon imperialer Tradition blickt man herab auf die Menschen in den ärmlichen Randzonen Chinas, sieht sich selbst als Bringer von Zivilisation und Fortschritt, erwartet eigentlich Dankbarkeit als Gegenleistung.

Explosives Verhältnis

Dass Uiguren und Tibeter über ihre Gegenwart und Zukunft mit entscheiden wollen, wird ignoriert. Und man will auch nicht verstehen, dass die Bewahrung und Pflege kultureller Traditionen mehr als nur folkloristische Tänze für Touristen und in Fernsehshows ist. Nur so lässt sich beispielsweise die Brutalität erklären, mit der die über 1000 Jahre alte Altstadt von Kashgar im Westen Xinjiangs abgerissen wurde. Ein einzigartiges architektonisches und kulturelles Erbe der Menschheit wurde dem Erboden gleich gemacht. Das war 2009. In jenem Jahr war es in der Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang, Urumqi, zu den bislang heftigsten Übergriffen zwischen den Han-Chinesen und Uiguren mit Hunderten von Toten auf beiden Seiten gekommen.

Wie explosiv das Verhältnis untereinander ist, wird am Ausgangspunkt der Pogrome deutlich: Damals waren in einer südchinesischen Fabrik Han-Chinesen über uigurische Wanderarbeiter hergefallen – auf das falsche Gerücht hin, dass ein Uigure eine Chinesin vergewaltigt habe.

Wenn sich ab Montag (05.03.2012) in Peking die rund 3000 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses versammeln, werden auch Bilder von Abgeordneten der nationalen Minderheiten in ihren bunten Kostümen über die Fernsehbildschirme flimmern. Nur: wirklich etwas zu sagen haben sie nicht. Sie sind lediglich exotische Staffage in einem Scheinparlament.

Autor: Matthias von Hein
Redaktion: Ana Lehmann

(Foto: DW/Per Henriksen) Best Practice Day 11.03.2010.
China-Experte Matthias von Hein kommentiertBild: DW