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Parteien werben um Migranten

Naomi Conrad14. Mai 2013

In Deutschland leben viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. In den Parteien spielen sie nur eine Nebenrolle. Das ändert sich nur langsam, denn auch in der Politik sind sie nicht immer willkommen.

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Migranten bei der Wahl (Foto: Rainer Jensen)
Bild: picture-alliance/dpa

"Türke, du hast die deutschen Stimmen geklaut. Wie kannst du es wagen, dich aufstellen zu lassen?" Solche E-Mails und Briefe, die vor Feindseligkeit trieften, erreichten Ercan Kilic nach der Kommunalwahl in Niedersachsen vor zwei Jahren. Der türkischstämmige Politiker, die langen lockigen Haare im Pferdeschwanz zurückgekämmt, zuckt die Schultern. Das sei schon ein bisschen hart gewesen, sagt er trocken. Denn die Briefe stammten von Mitgliedern seiner Partei. Es waren also Parteifreunde, Kollegen zumindest, die ihn mit ihrer Ausländerfeindlichkeit anfeindeten.

Er sei daraufhin sofort aus der Partei ausgetreten, erzählt er. Um welche Partei es sich handelte, möchte er lieber nicht sagen. Das sei auch ziemlich egal: Beschimpfungen und Beleidigungen gehören für Politiker mit Zuwanderungsgeschichte in allen Parteien "leider einfach dazu", bestätigt Aydan Özoğuz. Die Integrationsbeauftragte der SPD lacht. Das Lachen hört sich erstaunlich gelassen an: Es sei nun mal Teil des politischen Geschäfts, dass Politiker ihren Konkurrenten, auch innerhalb der Partei, mit biografischen Daten Druck machten - und eben auch mit der Zuwanderungsgeschichte.Parteien auf Stimmenfang

31.07.2012 Deutsche Welle Magazine Typisch Deutsch Aydan Özoguz
Aydan Özoğuz: Integrationsbeauftragte der SPDBild: Thomas Fedra

Özoğuz Eltern sind als türkische Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, sie selbst ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Ihr Deutsch hat den weichen Einschlag des Nordens. Immer mehr Menschen wie Özoğuz, Menschen mit Migrationshintergrund also, engagieren sich politisch und spielen innerhalb der Parteien vor allem auf Kommunal- und Landesebene eine größere Rolle. Aber auch auf Bundesebene: Özoğuz selbst ist seit 2011 stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, auch der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, ist türkischstämmig. Özdemir zog als erster Politiker mit Migrationshintergrund Mitte der 1990er Jahre in den Bundestag ein. David McAllister, der ehemalige Ministerpräsident von Niedersachsen, ist Halb-Schotte

Der Bundesvorsitzende Cem Özdemir sitzt am 17.11.2012 bei der 34. Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen in der Eilenriedehalle in Hannover. Die Grünen stellen beim Parteitag die Weichen für die Bundestagswahl 2013. (Foto: Christian Charisius/dpa)
Cem Özdemir: Einer der ersten prominenten Politiker mit MigrationshintergrundBild: picture-alliance/dpa

Allerdings sei die Zahl derer, die solche wichtigen Parteiposten auf Bundesebene einnehmen, "noch immer schwindend gering", bedauert Özoğuz. Ende 2012 waren lediglich drei der 620 Abgeordneten im Bundestag bekennende Muslime. Offizielle Zahlen, wie viele Mitglieder des Bundestages oder der Landesparlamente einen Migrationshintergrund haben, gibt es nicht. "Das können Sie nur von den Namen ableiten", sagt eine Pressesprecherin des Deutschen Bundestages. Allerdings werden es wohl bald mehr werden: "Alle politischen Parteien sind momentan auf Stimmenfang bei den Migranten", sagt Filiz Demirel, die sich im Vorstand des Netzwerkes türkeistämmiger MandatsträgerInnen engagiert. Im Kampf um die Migranten geht es um nicht wenige Stimmen: 2009 waren 5,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund wahlberechtigt. Die Daten für 2013 liegen noch nicht vor.

Filiz Demirel, Portrait Filiz Demirel, Landtagsabgeordnete der Grünen in Hamburg. Copyright Privat, zugeliefert von Naomi Conrad
Filiz Demirel: kann sich einen deutschen Außenminister mit Migrationshintergrund vorstellenBild: Privat

Demirel ist selbst bei den Grünen in Hamburg, unterstützt aber nach eigenen Angaben auch türkischstämmige Politiker in Konkurrenzparteien, "damit die bloß nicht aufgeben und sich endlich mal eine gewisse Normalisierung ergibt". Ihr Ziel ist, dass Menschen nicht mehr über ausländische Namen stolpern, sondern sich lediglich auf Inhalte konzentrieren. Hält sie es also für möglich, dass es mal eine Kanzlerin mit Migrationshintergrund geben könnte? Sie schüttelt den Kopf. "Nicht mittelfristig. Nein. Aber vielleicht einen Außenminister." Sie lacht. Das wäre vielleicht möglich in nicht allzu ferner Zukunft. Schließen setzten in dieser Wahl selbst die konservativen Parteien gezielt auf Politiker mit ausländischen Namen.

Muslime bei der CDU

Auf den Parteitagen der CDU werden zwar noch keine Halal-Gerichte, also Islam-konformes Essen, gereicht, aber es gebe immer ein Menü, das kein Schweinefleisch enthalte, erzählt Serap Güler. Die Muslimin ist 2009 in die CDU eingetreten und hat einen rasanten politischen Aufstieg hinter sich: 2012 wurde sie in den Landtag in Nordrhein-Westfahlen gewählt, Endes des Jahres in den Bundesvorstand der CDU. Sie gibt offen zu, dass sie diese Wahl in der christlichen CDU auch ihrem muslimischen Glauben zu verdanken hat. "Natürlich wollte die CDU schon ein Zeichen setzen, dass sie für Menschen mit Zuwanderungshintergrund offen ist." Diese rasante Beförderung sei nicht immer auf Verständnis bei ihren Parteikollegen gestoßen, die schon viel länger ein Parteibuch haben.

Serap Güler Landtagsabgeordnete CDU
Serap Güler: eine Muslima bei den ChristdemokratenBild: serap-gueler.de

In der Vergangenheit habe die CDU es versäumt, Wähler mit Migrationshintergrund gezielt anzusprechen - möglicherweise aus Angst, bestimmte Wählerschichten abzuschrecken. "Das haben wir jetzt überwunden", sagt sie voller Überzeugung. Was, wenn eine Frau mit Kopftuch kandidieren wollte? Eine kurze Pause. Nein, sie glaube nicht, dass die Gesellschaft bereit für eine Politikerin mit Kopftuch sei. "Eine Partei mag vielleicht eine Frau mit Kopftuch aufstellen, aber ob sie die Akzeptanz aus der Gesellschaft bekommt?" Das bezweifelt sie.

Sommerfest und Interviews mit türkischen Medien

Auch Michael Frieser von der CSU wählt seine Worte mit Bedacht, wenn es um die Kopftuchfrage geht: Er sei selbstverständlich vorstellbar, dass eine Frau mit Kopftuch auch mal in der Partei aufgestellt werde. "Aber sie muss die Ideale der Politik teilen und kein Klientelvertreter sein." Der Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird in den nächsten Monaten viele Gläser schwarzen Tee trinken: Beim Sommerfest des Moscheenverbandes in seinem Wahlkreis Nürnberg, bei Interviews mit türkischen Zeitungen und den vielen Treffen mit Integrationsräten und Verbänden wird er versuchen, die Menschen zu überreden, eine christliche Partei zu wählen, deren Politiker auch mal gegen die doppelte Staatsbürgerschaft wettern und dem Islam absprechen, dass er zu Deutschland gehört. Geholfen habe diese Debatte den Christdemokraten sicherlich nicht, gibt Frieser vorsichtig zu. Aber seine Partei stehe für wirtschaftliche und politische Programme, die durchaus für Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte attraktiv seien. Und die christliche Grundlage? "Die Partei legt Wert auf religiöse Werte", erklärt Güler bestimmt, darum sei sie als Muslimin der Partei beigetreten.

Grüne Talismane (Foto: Naomi Conrad)
Das grüne AugeBild: DW/N. Conrad

Die CDU macht vor allem den Linken, der SPD und den Grünen Konkurrenz, also den Parteien, die traditionell von Menschen mit Migrationshintergrund gewählt wurden. "Die anderen Mitbewerber sind sehr aktiv geworden", gibt Ercan Kilic zu, der sich mittlerweile bei den Grünen engagiert. Deshalb hat er die Initiative "Yesiliz" gegründet. Das bedeutet "Wir sind Grün" auf Türkisch. In den kommenden Monaten werden Kilic und seine Mitstreiter gezielt Vereine und Verbände von Migranten aufsuchen, Flugblätter mit dem Wahlprogramm der Grünen auf Türkisch, aber auch Spanisch und Englisch, verbreiten und die Menschen zur Wahl animieren. Dabei setzten sie auf Themen wie die doppelte Staatsbürgerschaft und kommunales Wahlrecht für alle Ausländer: EU-Bürger dürfen an Kommunalwahlen teilnehmen, Menschen aus anderen Ländern bislang nicht. Zwei Themen, also, mit denen sich die regierende CDU/CSU schwer tut und mit denen die Grünen punkten wollen.

"Da, das schützt gegen Schwarz-Gelb." Er meint damit die schwarz-gelbe Bundesregierung. Zum Abschied überreicht Kilic einen kleinen Talisman aus Glas: Eine grüne Variante vom blauen Auge, das in der Türkei weit verbreitet ist und gegen den bösen Blick schützen soll. Er lacht. Ob der Talisman ihn allerings auch gegen die Beschimpfungen und Beleidigungen schützen kann? Das lässt der Anfang Zwanzigjährige offen.