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Vorsitz trotz Demokratiedefiziten

Roman Goncharenko31. Dezember 2012

Die Ukraine übernimmt den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und will Menschenrechte stärken. Dabei steht das Land selbst wegen Verletzungen der Menschenrechte in der Kritik.

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Internationale Beobachter analysieren die Parlamentswahl in der Ukraine (Foto: DW)
OSZE-Wahlbeobachter kritisieren Ende Oktober 2012 den Verlauf der Parlamentswahl in der UkraineBild: DW

Walburga Habsburg Douglas war empört. "Das ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte", sagte die Sonderkoordinatorin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am 30. Oktober 2012 vor einem Krankenhaus im ostukrainischen Charkiw. Die Behörden verweigerten ihr das Treffen mit der ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko, die dort wegen eines Rückenleidens behandelt wird. Die Oppositionsführerin wurde 2011 in einem international kritisierten Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt. Deshalb konnte Timoschenko an der Parlamentswahl am 28. Oktober nicht teilnehmen. Das ist einer der Gründe, warum die OSZE-Beobachtermission diese Wahl als unfair und als "Rückschritt" bezeichnete.

"Schlechteste Ausgangsbedingungen für Vorsitz"

Vor diesem Hintergrund übernimmt die Ukraine 2013 für ein Jahr die Führung in der OSZE. Vorwürfe politisch motivierter Justiz und Zweifel an den Parlamentswahlen seien die schlechtesten Ausgangsbedingungen für den ukrainischen OSZE-Vorsitz, schrieb im Dezember die Kiewer Wochenzeitung "Dserkalo tyschnja". Diese Einschätzung teilen auch deutsche Experten. "Der Vorsitz ist natürlich implizit belastet", sagte Wolfgang Zellner, Leiter des Zentrums für OSZE-Forschung (CORE) an der Universität Hamburg im DW-Gespräch.

Ähnlich sieht es Susan Stewart von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Der Ruf der Ukraine habe in den letzten Jahren wegen Menschenrechtsverletzungen, aber auch wegen demokratischer Rückschritte gelitten, so die Expertin. "Deswegen glaube ich, dass es schwierig sein wird für die Ukraine, eine starke Führungsrolle auszuüben", betonte Stewart.

Portrait von Susan Stewart (Foto: Marc Darchinger)
Susan Stewart rechnet nicht mit einem starken OSZE-Vorsitz der UkraineBild: Marc Darchinger

"Unbehagen hinter den Kulissen"

Die Ukraine ist bereits die zweite ehemalige Sowjetrepublik an der Spitze der OSZE. 2010 übernahm Kasachstan den Vorsitz in der internationalen Organisation. Das zentralasiatische Land bereitete damit indirekt den Weg für die Ukraine vor.

Auch Kasachstan wurde wegen Menschrechtsverletzungen kritisiert. "Bis vor wenigen Jahren hat man in der OSZE den Brauch gehabt, nur solche Länder zu Vorsitzenden zu wählen, die in menschenrechtlicher Hinsicht bestimmten Minimalerfordernissen genügt haben", sagte Wolfgang Zellner vom CORE-Zentrum. Doch mit diesem Brauch sei nun gebrochen worden. Als sich die Ukraine um den OSZE-Vorsitz beworben hatte, habe es keine Diskussion mehr gegeben, so Zellner. Er gibt aber zu, dass es "hinter den Kulissen Unbehagen" wegen der Ukraine gebe.

OSZE dringend reformbedürftig

Dabei scheint die OSZE eine starke Führung gut gebrauchen zu können. Denn die als Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in den 1970er Jahren gegründete Organisation muss gegen Bedeutungsverlust kämpfen.

Portrait von Wolfgang Zellner (Foto: Wolfgang Zellner)
Wolfgang Zellner befürchtet Spaltungen innerhalb der OSZEBild: Wolfgang Zellner

Die OSZE entstand während des Kalten Krieges als Dialogforum zwischen den verfeindeten Blöcken West und Ost. Heute vereint die Organisation mit dem Hauptsitz in Wien 57 Staaten aus Europa, Zentralasien und Nordamerika. Sie bekämpft Terrorismus, bemüht sich um Konfliktlösungen oder hilft beim Umweltschutz. Die Achtung von Menschenrechten und Grundfreiheiten zählt die OSZE zum "Schlüsselteil" ihres Sicherheitskonzepts.

Doch große Erfolge gebe es kaum, meinen Kritiker. Stattdessen drohen alte Spaltungen die Arbeit der OSZE zu lähmen. Wolfgang Zellner vom CORE-Zentrum in Hamburg hält "das Auseinanderlaufen in verschiedene Richtungen" für das größte Problem: "Auf der einen Seite die USA und westliche Staaten, die sich stark hinter Menschenrechtsforderungen verschanzen, auf der anderen Seite Russland - was schwer macht, zu erkennen, wo Kooperation gewünscht sein soll." Russland und andere ehemalige Sowjetrepubliken werfen der OSZE wegen ihrer Kritik an Wahlen Einmischung in innere Angelegenheiten vor. Auf der Außenministerkonferenz in Dublin im Dezember 2012 einigten sich die Mitgliederstaaten darauf, die OSZE handlungsfähiger zu machen. Die Reform soll 2015 abgeschlossen sein.

Kein Durchbruch im Transnistrien-Konflikt?

Ob die Ukraine diese Reform vorantreiben kann, darf bezweifelt werden. Die Regierung in Kiew bemüht sich, keine zu großen Erwartungen aufkommen zu lassen. Zu den Prioritäten des ukrainischen Vorsitzes zähle der Schutz der Grundrechte, teilte das Außenministerium mit, ohne konkret zu werden. Außerdem wolle die Ukraine Themen wie Energiesicherheit oder Lösungen alter Konflikte vorantreiben, hieß es.

Karte der von der Republik Moldau abgefallenen Region Transnistrien (Grafik: DW)
Transnistrien hat sich 1992 für unabhängig erklärtBild: DW

Ein Beispiel liegt dabei auf der Hand: Transnistrien. Der Konflikt um die abtrünnige Provinz der Republik Moldau schwelt seit 20 Jahren: Die selbsternannte Republik erklärte 1992 ihre Unabhängigkeit. Die Ukraine ist als direkter Nachbar an den internationalen Gesprächen über eine Lösung beteiligt. Wolfgang Zellner vom CORE-Zentrum erwartet jedoch keinen Durchbruch: "Selbst wenn die Ukraine das möchte, ist ihre Position zu schwach, um das alleine zu erreichen." Außerdem glaubt der Hamburger Experte nicht, "dass Russland bereit ist, diesen Erfolg der Ukraine zu schenken".

"Die Ukraine hat es in der Hand"

Manche Beobachter in Kiew glauben, dass der ukrainische OSZE-Vorsitz in der diplomatischen Routine versinken könnte. Der Vorsitz bedeute in erster Linie, Kontakte zu pflegen, Treffen zu organisieren oder Leiter der Feldmissionen wie etwa in Kosovo zu ernennen, erklärte Wolfgang Zellner. Mit Wahlbeobachtung habe der Vorsitz dagegen "nichts zu tun", so der Experte.

Seine Erwartungen an den ukrainischen OSZE-Vorsitz bleiben jedoch optimistisch. Zellner verweist dabei auf das Beispiel Kasachstans. Das Land sei zwar nicht eine Demokratie wie im Westen geworden, konnte jedoch während der Unruhen in Kirgistan zeigen, dass es zur Konfliktlösung beitragen kann. Zellners Fazit: "Die Ukraine hat es in der Hand."