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Osteuropa auf Atomkurs

Keno Verseck23. Oktober 2013

Viele osteuropäische Länder setzen auf den Ausbau der Atomkraft. Sicherheitsbedenken gibt es kaum - am wenigsten in dem ungarischen Örtchen Paks. Das einzige Atomkraftwerk des Landes dort ist ein beliebter Arbeitgeber.

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Atomkraftwerk im ungarischen Paks (Foto: picture-alliance/dpa/epa)
Bild: picture-alliance/dpa/epa

József Bordács hat es sich in einem Sessel neben der Wohnküche bequem gemacht. Gerade ist er von der Arbeit gekommen, er wirkt entspannt. "Das Atomkraftwerk ist der beste Arbeitgeber in der Region", sagt der 41-Jährige. "Und was die Sicherheit angeht, so hat es keinerlei schädliche Wirkung auf die Stadt und die Umwelt." Seine Frau Mónika pflichtet ihm bei. "Atomenergie ist billig und schadet der Umwelt weniger als konventionelle Wärmekraftwerke."

Paks - eine Kleinstadt in Zentralungarn, schön gelegen an der Donau, 20.000 Einwohner. Jeder Einheimische kennt sie. Der Name des Ortes ist ein Synonym für das Atomkraftwerk, das hier steht - das einzige des Landes: vier sowjetische Druckwasserreaktoren mit 2000 Megawatt Gesamtleistung, 1983 in Betrieb genommen. Zusammen erzeugen sie 40 Prozent des ungarischen Strombedarfs.

József und Mónika Bordács leben mit ihren beiden Kindern komfortabel: Einfamilienhaus, sechs Zimmer, großes Grundstück am ruhigen Ortsrand. József Bordács arbeitet seit 16 Jahren im Atomkraftwerk. Der Gebäudetechniker ist Kontrolleur für bauliche Instandhaltung. Seine Frau Mónika unterrichtet Geographie und Geschichte an einer Schule mit dem Fachprofil Energie und Kraftwerkstechnik.

Ein Plastikzelt (r) bedeckt am 22.04.2003 einen Reinigungsapparat im Block zwei des Atomkraftwerks Paks, der die noch austretenden geringen Mengen an radioaktiven Gas auffängt. (Foto: picture-alliance/dpa)
2003 gab es ein Leck in dem ungarischen Atomkraftwerk Paks - radioaktives Gas trat ausBild: picture-alliance/dpa

Atomenergie? Ja bitte!

Ähnlich wie die Familie Bordács leben und denken viele Menschen im Atomstädtchen Paks. Etwa 2500 Einwohner, rund ein Drittel aller Arbeitskräfte im Ort, sind im Atomkraftwerk angestellt und verdienen im Schnitt 1200 Euro im Monat - ungefähr das Doppelte des ungarischen Durchschnittslohnes. Kein Wunder, dass die Zustimmung zur Atomenergie in Paks hoch ist.

Doch auch anderswo im Land stehen die Ungarn der Atomenergie positiv gegenüber, eine nennenswerte Bewegung gegen Atomkraft gab und gibt es nicht. Selbst die in tief verfeindete Lager gespaltene politische Klasse ist sich in Energiefragen weitgehend einig: Die Atomenergie soll ausgebaut werden. Ungarn will die vier Blöcke in Paks modernisieren, ihre Laufzeit verlängern und voraussichtlich zwei neue Blöcke dazubauen.

Ungarn liegt damit im Trend der gesamten Region. Vom Baltikum bis Bulgarien setzen fast alle Länder auf Atomenergie. In Litauen und Polen ist die Bevölkerung zwar eher gegen Atomkraft, beide Länder erwägen dennoch den Bau von Atomkraftwerken. In Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien gibt es zum Teil konkrete Ausbaupläne für neue Reaktoren, eine Mehrheit der Bevölkerung befürwortet das.

Kernkraftwerk Kosloduj (Foto: Dimitar Dilkoff/AFP/Getty Images)
Das Kernkraftwerk Kosloduj gilt als gefährlichster Meiler der osteuropäischen EU-LänderBild: Dimitar Dilkoff/AFP/Getty Images

Viele offene Fragen

Erst Anfang letzter Woche (14.10.2013) bekräftigten die Ministerpräsidenten der Visegrád-Länder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn bei einem gemeinsamen Treffen noch einmal ihre Pro-Atomenergie-Haltung und forderten die Europäische Union zugleich auf, keine Atomenergie-Richtlinie zu verabschieden. Welche Primärenergiequellen ein Land nutze, dürfe nicht in Brüssel entschieden werden, erklärten die Regierungschefs.

Trotz der vergleichsweise hohen Zustimmung der Bevölkerung - unproblematisch sind die Pläne nicht. In Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien hatten die derzeit laufenden Atomkraftwerke in der Vergangenheit immer wieder Sicherheitsprobleme. Das bulgarische Atomkraftwerk Kozloduj gilt nach dem 2009 abgeschalteten litauischen Ignalina als gefährlichster Meiler der osteuropäischen EU-Länder. Selbst im als sicher geltenden Paks gab es 2003 einen ernsthaften Störfall. Zudem ist in fast allen Ländern der Region die Frage der Atommüllendlagerung nicht geklärt.

Nicht nur deshalb sehen kritische Energieexperten in den osteuropäischen Ländern die einseitige Orientierung in Richtung Atomenergie als problematisch an. "Wir sind für eine Nachhaltigkeit des ungarischen Energiesystems und dafür, dass informierte Menschen auf europäische Weise darüber diskutieren und entscheiden", sagt Ada Ámon, die Vorsitzende des Budapester Energieklubs. "Leider fehlt der politische Wille, neue Energie-Technologien ernst zu nehmen." Der ungarische Regierungssprecher Ferenc Kumin kontert: "Natürlich werden die erneuerbaren Energien gemäß unseren EU-Verpflichtungen bis 2020 ausgebaut, sie sollen dann einen Anteil von 20 Prozent haben."

Blick in die Steuerungszentrale des Atomkraftwerks im ungarischen Paks (Foto: picture-alliance/dpa)
Die Menschen in Paks vertrauen der AtomkraftBild: picture-alliance/dpa

"Atomenergie ist das Beste"

In Paks werden erneuerbare Energien auf absehbare Zeit kaum eine Rolle spielen. Das Vertrauen in die Atomtechnologie ist bei den meisten Menschen im Ort unbegrenzt. Das zeigt sich auch an der Schule für Energie und Kraftwerkstechnik. Hier lernt Péter Rácz, 21, geboren und aufgewachsen in der Stadt. Schon seine Großmutter und seine Eltern haben im Atomkraftwerk gearbeitet, er möchte diese Tradition fortführen. Gerade absolviert er einen Schweißer-Kurs, im kommenden Jahr will er sich für ein Ingenieurstudium anmelden. Er hofft, dass er später im Atomkraftwerk einen Job für Hochqualifizierte bekommt.

Dass beispielsweise die Mehrheit der Deutschen keine Atomenergie mehr will, versteht Péter Rácz nicht. "Diese Technologie wird immer genutzt werden, sie ist sicher und schafft viele Arbeitsplätze", sagt er. "Haben die Deutschen denn eine Idee, wie sie ihr Energieversorgung sichern? Ich denke, es gibt nichts besseres als Atomenergie."