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Orchesterfusion aus Sparzwang

Dennis Große-Plankermann 24. Juli 2014

Untragbarer Kulturabbau oder verständlicher Luxusverzicht? Nach langem Für und Wider werden die beiden hauseigenen Sinfonieorchester des Rundfunksenders SWR fusionieren. Kulturpolitisch ist das umstritten.

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Das Sinfonieorchester des Südwestrundfunks (Ausschnitt)
Bild: picture-alliance/dpa

"Die Zeiten des üppig ausgestatteten Mäzenatentums scheinen vorüber", stellte SWR-Intendant Peter Boudgoust fest. Das "Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg" und das "Radio-Sinfonieorchester Stuttgart" werden 2016 zum SWR Symphonieorchester verschmelzen. Vor dem Hintergrund seiner kritischen Haushaltslage will der Sender auf diese Weise fünf Millionen Euro pro Jahr einsparen.

Massive Proteste

"Marginalisierung von Kultur", schrien Dirigenten und Komponisten, "Versündigung an der kulturellen Vielfalt", schimpfte der Deutsche Musikrat, als "Kulturbarbarei" bezeichnete sein Generalsekretär Christian Höppner den Vorgang. Der Begriff "Fusionierung" sei eine Beschönigung, kommentiert er im Interview mit der Deutschen Welle: "Die sogenannte Fusion kommt der Vernichtung des Freiburger Orchesters gleich - eines Kunstwerks", ist Höppner überzeugt. Besonders für die Erhaltung des Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg gab es bis zuletzt massive Proteste.

Beide Ensembles, so Unternehmenssprecher Wolfgang Utz, würden aufgrund der Finanzlage auf Dauer in die Mittelmäßigkeit abrutschen. Deshalb habe man sich entschieden, den gesamten verfügbaren Etat in ein einziges Orchester zu stecken und diesem die besten Startbedingungen zu ermöglichen. Auch neue Wege in der Kulturvermittlung seien nur durch die fusionsbedingten Einsparungen möglich - eine digitale Konzerthalle etwa, mit deren Hilfe neuen Zielgruppen der Zugang zu klassischer Musik eröffnet werden könne.

Christian Höppner
Christian Höppner vom Deutschen Musikrat spricht sich vehement gegen die Fusion ausBild: DW/Jan Röhl

Aufschrei in der Neuen Musikszene

Mit dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg geht in der Fusion ein Orchester auf, das während seines knapp 70-jährigen Bestehens Musikgeschichte geschrieben hat. Insbesondere um die Pflege der Neuen Musik hat es sich verdient gemacht. In offenen Briefen hatten sich deshalb noch Ende 2013 mehr als 300 Dirigenten und Komponisten - unter ihnen die größten der Branche - für das Orchester stark gemacht: Auf der Welt gebe es wohl kein zweites Orchester, "dessen Musiker sich so vorbehaltlos und selbstverständlich für die Musik der Gegenwart einsetzen".

Darüber hinaus bedeute die Verschmelzung zweier klangdynamischer Organismen ein enormes künstlerisches Problem: "Kein Dirigent wird in der Lage sein, auf absehbare Zeit aus den zwangsfusionierten Musikern einen Klangkörper zu formen, dessen Rang mit dem der beiden mutwillig zerstörten Sinfonieorchester auch nur im Entferntesten konkurrieren könnte", warnten sie eindringlich. Denn ein gutes Orchester ist mehr als die Kombination fähiger Musiker, wie auch Höppner weiß: "Weltklasse-Orchester arbeiten Jahrzehnte lang daran, ein individuelles Klangprofil zu entwickeln, um nicht in die Beliebigkeit einer Globalisierung von Klangästhetik zu verfallen."

französischer Dirigent und Komponist Pierre Boulez
Namhafte Dirigenten wie der Franzose Pierre Boulez standen beim Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg am PultBild: picture-alliance/dpa

Rundfunk als Kulturträger

Genützt haben alle Aufschreie letztendlich nichts. Dabei ist das "Land der Dichter und Denker" stolz auf die vergleichsweise großzügige staatliche Pflege seiner Kultur. Dieser unbestrittene Reichtum ist ein Erbe der Kleinstaaterei im 18. und 19. Jahrhundert, als jeder Flicken des großen Teppichs ein eigenes Orchester vorweisen konnte. Heute gibt es 131 Berufsorchester in Deutschland, von denen 13 den verschiedenen Landesrundfunkanstalten angehören.

Auch letztere sind historisch gewachsen: Nach dem Krieg entwickelten die Besatzungsmächte ein dezentrales Modell öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten, um einem potentiellen Missbrauch des Rundfunks als Propaganda-Instrument wie zu Nazi-Zeiten vorzubeugen. Die Aufgabe der Sender ist nicht nur auf reine Informationsvermittlung begrenzt, sie sollen auch als Kulturträger agieren. Als solche betreiben sie eigene Ensembles, zeichnen auf, veranstalten Konzerte, erteilen Kompositionsaufträge. Ein staatlich verankertes Förderungssystem solchen Ausmaßes gilt als einzigartig auf der Welt.

Deutschland Geschichte Wirtschaftswunder Familie vor dem Fernseher
Die Konzerte der Landesrundfunkorchester wurden regelmäßig im Radio ausgestrahltBild: picture-alliance / akg-images

Ursprünglich selbst aus einer Fusion zweier Sender entstanden, unterhält der SWR gleich zwei große Sinfonieorchester: Ist die Aufregung nicht eine Klage auf hohem Niveau? "Jeder, der sagt, dass es zu viel öffentlich finanzierte Kultur gebe, hat die Entwicklung der letzten Jahrzehnte nicht mitbekommen", meint Höppner.

Abwärtstrend

Denn analog zu einem globalen Trend geht es mit der Orchesterdichte auch in der Bundesrepublik bergab. Seit der Wiedervereinigung hat Deutschland 37 öffentlich finanzierte Orchester verloren, vor allem im Osten. Ein Ende der Entwicklung sei nicht absehbar, meldete der Deutsche Orchesterverbund im Januar. Nun gibt es bald gar ein namhaftes Rundfunkorchester weniger. Dem kulturellen Leben gehe es hierzulande zwar noch immer vergleichsweise gut, räumt Höppner betont vorsichtig ein: "Langfristig steht aber etwas auf dem Spiel, mit dem Deutschland sich so gern rühmt: sein Ruf als Kulturnation."