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Opfer-Anwälte verlieren die Geduld

Marcel Fürstenau, zurzeit München23. April 2015

Am 200. Verhandlungstag gegen den Nationalsozialistischen Untergrund sorgt ein Brief der Nebenkläger-Vertreter für Aufsehen. Sie werfen den Behörden fehlenden Aufklärungswillen vor und verlangen Konsequenzen.

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NSU-Prozess in München 05.09.2013
Bild: picture-alliance/dpa

Am Mittwoch platzte ihnen der Kragen. Der Frust über den Auftritt von zwei Zeugen staatlicher Behörden entlud sich in einem tags darauf veröffentlichten Brief, den der Berliner Anwalt Sebastian Scharmer und 21 Kollegen unterschrieben haben. Die Vorwürfe haben es in sich. Der Verfassungsschutz sei "nicht auf dem rechten Auge blind, sondern zu nah dran". Auslöser ihres harschen Vorwurfs waren die Aussagen des sächsischen Verfassungsschutz-Präsidenten und eines pensionierten Beamten des Landeskriminalamtes Thüringen. Gordian Meyer-Plath und Norbert Wiesner hatten mit der Führung von V-Leuten des Verfassungsschutzes zu tun.

Von den staatlich bezahlten Spitzeln aus der rechtsextremen Szene erhofften sich die Dienste Informationen über das 1998 untergetauchte NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Durch die Aussagen Meyer-Plaths und Wiesners sehen sich die Nebenkläger-Anwälte in ihrer Skepsis gegenüber dem Verfassungsschutz bestätigt. Oft seien "angebliche und manchmal groteske Erinnerungs- und Ahnungslosigkeit" bei den Zeugen der Dienste zu beobachten. Das gleiche gelte für die von ihnen geführten V-Leute und deren "offene und nicht geahndete Verstöße gegen die Wahrheitspflicht".

Heftige Kritik an der Bundesanwaltschaft

Außerdem werfen die Anwälte dem Verfassungsschutz seine "unzähligen echten und scheinbaren Fahndungspannen" bei der Suche nach dem Trio vor, sowie das Zurückhalten und Schreddern von relevanten Akten. Diese Umstände würden trotz der Aufklärungsbemühungen des Gerichts "keine substantielle Rolle" spielen. Daran ist aus Sicht der Anwälte vor allem die Bundesanwaltschaft schuld, die Akten und Erkenntnisse "systematisch" zurückhalte. Es werde der "falsche Schein" erzeugt, im NSU-Prozess könne ein Urteil gefällt werden, "ohne die Rolle der Geheimdienste zu thematisieren".

Deutschland NSU Prozess Protest
Am Mittwoch protestierte die Initiative "Blackbox Verfassungsschutz" gegen die Praxis der BehördenBild: DW/M. Fürstenau

Mit einem nach ihren Kriterien angemessenen Urteil rechnen die Anwälte anscheinend nicht mehr. Um die Schwere der Anklagevorwürfe zu bestimmen, "sind schon von Gesetzes wegen die Größe und Gefährlichkeit des NSU aufzuklären". Problematisch könne diese Aufklärung nach Überzeugung der Anwälte für die Behörden aber nur sein, wenn sich weitere V-Personen im Unterstützerumfeld des NSU befanden, "deren Identität und gelieferte Informationen über das Trio und den NSU zurückgehalten werden sollen".

Am Freitag debattiert der Bundestag über den Verfassungsschutz

Das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz Thüringen, Sachsen und Brandenburg hätten bereits Mitte 1998 gewusst, "dass sich das Trio im Raum Chemnitz aufhielt, sich bewaffnen wollte, einen Raubüberfall begangen hatte, einen weiteren plante". Die entsprechenden Informationen des V-Mannes Carsten Szczepanski alias "Piatto" seien durch andere V-Männer, darunter Tino Brandt aus Thüringen, bestätigt worden.

Von der Politik erwarten die Nebenkläger-Anwälte im Namen ihrer Mandanten durchgreifende Konsequenzen. Die Geheimdienste müssten von der Bundes- und den Landesregierungen angewiesen werden, im NSU-Prozess relevante Akten "vollständig, ungeschwärzt und nicht als geheim eingestuft" vorzulegen. Der Zeitpunkt des jetzt veröffentlichten Brandbriefs dürfte kein Zufall sein. Am Freitag debattiert der Bundestag über die Reform des Verfassungsschutzes. Die Bundesregierung hat kürzlich einen Gesetzentwurf vorgelegt, den viele Kritiker für unzureichend halten.